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Als europäische Stromdrehscheibe droht die Schweiz an Wert zu verlieren. © Heiko82 / Flickr

Grosser Andrang auf den verzerrten Strommarkt

Hanspeter Guggenbühl /  Der Anteil der grossen Schweizer Stromverbraucher, die vom Monopol in den Markt wechseln, wird sich 2014 verdoppeln.

Vor fünf Jahren öffnete die Schweiz ihren Strommarkt teilweise, nämlich für Verteilwerke und Grossverbraucher, die jährlich mehr als 100 000 Kilowattstunden (kWh) Strom konsumieren. Begünstigt wurden damit 27 000 Unternehmen, die zusammen rund die Hälfte des Stroms in der Schweiz verbrauchen. Doch in der Praxis bezogen die meisten Verbraucher, die Zugang zum Mark erhielten, ihren Strom weiterhin beim bisherigen Lieferanten im geschützten Versorgungsmonopol. Denn die Monopoltarife, die sich an den Produktions- und Bezugskosten orientieren müssen, blieben bis 2010 tiefer als die Marktpreise.

Ab 2011 aber sanken die Preise auf dem europäischen Strommarkt unter die mittleren Gestehungskosten der Schweizer Stromversorger, und sie werden noch einige Jahre auf diesem tiefem Niveau verharren. Der Grund: Der europäische Strommarkt ist verzerrt durch viele Subventionen und – seit der Wirtschaftskrise – durch Überkapazitäten an Kraftwerken (siehe Infosperber: «Warum der Strommarkt nicht funktioniert»).

Ein Viertel vom Markt

Auf diese Preissignale haben die Grossverbraucher jetzt reagiert: Ab 2014 werden 27 Prozent aller marktzutrittsberechtigten Schweizer Stromverbraucher 47 Prozent der zum Markt zugelassenen Strommenge auf dem Markt einkaufen. Das entspricht einem Viertel des gesamten Stromkonsums in der Schweiz. Das gab die Schweizerische Elektrizitätskommission (ElCom) gestern am ElCom-Forum in Luzern bekannt. Gegenüber dem laufenden Jahr wird sich damit die auf dem Markt verkaufte Strommenge verdoppeln, gegenüber dem Jahr 2011 sogar vervierfachen.

Profiteure dieser Entwicklung sind nicht nur marktzutrittsberechtigte Grossverbraucher. Gewinner sind auch Strom-Konglomerate wie etwa die Swisspower (eine Vereinigung von Stadtwerken), die über wenig Eigenproduktion verfügen und damit einen grossen Teil ihres Stroms an den Strombörsen beschaffen können. Die Swisspower wird darum ihren Stromabsatz ab 2014 massiv erhöhen.

Produzenten und Haushalte als Verlierer

Verlierer sind Stromkonzerne mit hohem Anteil an Eigenproduktion wie etwa die Axpo, BKW oder das Stadtzürcher EWZ (das nicht mehr Mitglied der Swisspower ist). Sie müssen ihren selbst produzierten Strom nun oft unter den eigenen Produktionskosten verkaufen, wenn sie marktzutrittsberechtigte Kunden behalten oder neue gewinnen wollen. Allerdings mögen diese produktionsorientierten staatlichen Stromkonzerne solche Verluste vorübergehend verkraften, weil sie in den Jahren zuvor, als die Strompreise stetig stiegen, riesige Gewinne machten und Reserven anhäuften. Zu den Verlierern gehören auch Haushalte und andere kleine Stromkonsumenten, die im Monopol gefangen bleiben. Erst bei einer vollen Marktöffnung, die ursprünglich ab 2014 geplant war, werden sie in den Markt wechseln können.

Der Bundesrat strebt eine volle Integration der Schweiz in den europäischen Strommarkt an. Dazu braucht es sowohl ein Stromabkommen mit der EU, über das die Schweiz seit 2007 verhandelt, als auch die volle Marktöffnung in der Schweiz. Energieministerin Doris Leuthard hofft, dass die Verhandlungen über das Stromabkommen im Frühling 2014 erfolgreich abgeschlossen werden. Danach will sie dieses Stromabkommen gemeinsam mit einer Vorlage zur vollständigen Öffnung des Schweizer Strommarktes dem Parlament vorlegen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

Stromleitungd

Die Politik der Stromkonzerne

Elektrizitätsgesellschaften verdienen am Verkaufen von möglichst viel Strom. Es braucht endlich andere Anreize.

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

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2 Meinungen

  • am 26.11.2013 um 12:01 Uhr
    Permalink

    Die Stromverteiler haben längst vorgesorgt. Man hat die Preise für die «Dienstleistung» (Leitungskosten) so erhöht, dass der Gewinn auch beim Bezug des Stroms (Produkts) bei einem anderen Anbieter garantiert ist. z.B. Winterthur, das Stadtwerk musste vor 3 Jahren die überhöhten Leitungspreise um 10 % reduzieren. Jahr für Jahr liefert das Stadtwerk 10 Mio Fr an die Stadtkasse ab und übernimmt nun neu auch noch die Kosten für den Strom der Strassenbeleuchtung. Wir zahle also mit dem Strom auch nochmals Steuern!

  • am 27.11.2013 um 09:56 Uhr
    Permalink

    Nur Grossbezüger können vom geöffneten Strommarkt profitieren, die Preise kommen noch mehr unter Druck. Wir Privatkunden gleichen mit überhöhten Preisen aus. Und der von den Wirtschaftsliberalen sooooo gehasste Staat übernimmt weiterhin alle Garantien, auch jene, die ihn sowieso überforden. Die tiefen Preise begünstigen zudem die Verschwendung.
    Lösung: die Betreiber sollen ihre riskanten AKW abschalten, dann erholt sich der Strompreis wieder etwas. Der Staat soll nachhelfen, indem er die Haftungsgrenze kontinuierlich erhöht, – oder besser – ganz aufhebt: Eigenverantwortung gehört zur liberalen Grundhaltung!

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