Indien_Bevölkerung

Tausende Menschen bei einem religiösen Fest in Indien © Depositphotos

Grösste Bevölkerung: Indien überholt China

Andreas Thommen /  Während China nach Jahren der Ein-Kind-Politik vor einem demografischen Wandel steht, wächst die Bevölkerung in Indien weiter.

Red. Der Autor dieses Gastbeitrags ist Geschäftsführer von Ecopop und ehemaliger landwirtschaftlicher Berater am Forschungsinstitut für biologischen Landbau.

1,4286 Milliarden Menschen werden laut UN-Prognosen bis Mitte Jahr in Indien leben, knapp drei Millionen mehr als in China. Damit wird Indien zum bevölkerungsreichsten Land der Erde. Laut neusten Schätzungen der Vereinten Nationen ist Indien bereits jetzt Spitzenreiter. Ganz genau weiss das niemand, denn es fehlen verlässliche Daten. Die letzte Volkszählung Indiens liegt schon zwölf Jahre zurück. Klar ist jedoch: Die Bevölkerung Indiens wird weiter wachsen, während jene von China langsam zu schrumpfen beginnt.

Zum ersten Mal seit sechs Jahrzehnten verzeichnete China im vergangenen Jahr einen Rückgang seiner Bevölkerung. Ende 2022 lebten dort rund 1,411 Milliarden Menschen – 850’000 weniger als im Jahr davor, teilte das Statistikamt in Peking mit. Die Anzahl Neugeborener pro 1000 Einwohner sank vor zwei Jahren erstmals in den einstelligen Bereich. Aktuell kommen auf 1000 Einwohner 8 Neugeborene. Die Geburtenrate Chinas liegt bei durchschnittlich 1,2 Kindern pro Frau. Das ist so wenig wie noch nie. Die Zahlen Chinas zeigen, wie lange es dauern kann, bis auch sehr einschneidende Massnahmen – wie die rigorose chinesische Ein-Kind-Politik – Wirkung zeigen.

Indien wächst weiter

Demgegenüber wächst Indiens Bevölkerung noch immer in dramatischem Tempo. Die Anzahl Geburten pro 1000 Einwohner liegt bei 20. Und obwohl Inderinnen im Durchschnitt «nur noch» 2,1 Kinder haben – also gerade jene Zahl, die es bräuchte, um die Bevölkerungszahl langfristig stabil zu halten – wird das Bevölkerungswachstum in Indien laut UNO-Prognosen noch einige Jahrzehnte weitergehen.

Aktuell wächst die Bevölkerung Indiens um 1,4 Prozent pro Jahr. Für das Jahr 2035 erwartet die UNO bereits 1,56 Milliarden Menschen in Indien, für das Jahr 2050 rechnet man mit 1,67 Milliarden. Auf welchen Höchststand die indische Bevölkerung dereinst kommen wird, lässt sich nur schwer abschätzen. Es hängt davon ab, in welchem Alter die heutige Jugend Indiens Kinder haben wird und wie viele.

Einem neuen Bericht des UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) zufolge sind rund 357 Millionen Inderinnen und Inder jünger als 15. Die Hälfte der indischen Bevölkerung ist unter 30. Nur 7 Prozent der Einwohner sind älter als 65. Aktuell liegt die durchschnittliche Lebenserwartung der Inderinnen bei 71 Jahren. Wenn die Lebenserwartung in Indien nur geringfügig ansteigt, bedeutet dies – nebst den Geburten – nochmals einen massiven Zuwachs der Bevölkerung.

Weltweites Landgrabbing der Chinesen und Inder

In China leben auf einem Quadratkilometer rund 148,5 Einwohner. In Indien ist die Bevölkerungsdichte dreimal höher und liegt bei rund 476,7 Menschen/km2. Wichtiger ist aber die Anbaufläche pro Person. In China teilen sich 1208 Personen einen Quadratkilometer Ackerfläche. In Indien kommen auf einen Quadratkilometer Ackerfläche 918 Personen. Das ist zwar deutlich weniger als in China, aber trotzdem besorgniserregend. Dies erklärt das weltweite «Landgrabbing» der Chinesen und Inder. Das noch dringlichere Problem Indiens ist aber der chronische Wassermangel. Einem Regierungsbericht zufolge haben rund 600 Millionen Menschen keinen oder erschwerten Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Zum Vergleich: Im Jahr 1961 teilten sich weltweit durchschnittlich 270 Menschen einen Quadratkilometer Ackerfläche. Rund 60 Jahre später, im Jahr 2020, sind es bereits 555 Personen/km2, aber immer noch deutlich weniger als in Indien oder China.

Mangelhafte Familienplanung

Schon seit Jahrzehnten versucht die indische Regierung mit Kampagnen zur Familienplanung das Bevölkerungswachstum zu bremsen. Trotz einiger Erfolge hat sie ihre Ziele damit aber nicht erreicht. Gemäss Poonam Muttreja, Geschäftsführerin der Population Foundation of India, müssten die Programme zur Familienplanung in Indien verstärkt werden. Männer müssten stärker einbezogen werden und es müsste auch auf die sexuellen und reproduktiven Bedürfnisse der Jugend eingegangen werden. Laut Muttreja muss die indische Regierung dafür sorgen, dass die Familienplanung in der nationalen Entwicklungsagenda Vorrang erhält.

Demografische Dividende

Die sogenannte «demografische Dividende» einzufahren, wird für Indien eine grosse Herausforderung werden. «Demografische Dividende» nennt man den Effekt, wenn geburtenstarke Jahrgänge mit einem guten Beschäftigungsgrad ein grosses Vermögen aufbauen können, welches sie dann später, bei sinkender Geburtenrate, an relativ wenige Kinder weitervererben. So geschehen in der Schweiz der Nachkriegsjahre oder eben in China während der letzten drei Jahrzehnte.

«Die jungen Menschen haben ein grosses Potenzial, einen Beitrag zur Wirtschaft zu leisten», sagt Poonam Muttreja, die Geschäftsführerin der Population Foundation of India. «Aber damit sie das tun können, muss das Land nicht nur in Bildung, sondern auch in Gesundheit, Ernährung und berufliche Qualifizierung investieren.»

Bis 2030 müsste Indien 90 Millionen neue Arbeitsplätze ausserhalb der Landwirtschaft schaffen, um die aktuellen Beschäftigungsquoten stabil zu halten. Keine leichte Aufgabe für die bürokratische und oft festgefahrene Wirtschaftspolitik des Subkontinents. Selbst in den Jahren unmittelbar vor der Pandemie blieb Indien weit hinter diesem Tempo zurück.

China fand seinen Weg zu einem transformativen Wachstum durch eine exportorientierte Produktion, wie es kleinere ostasiatische Länder vor China taten. «Indien ist noch nicht in der Lage, diese Formel zu wiederholen oder einen eigenen Weg zu finden, der mehr als nur schrittweise Gewinne bringt», so Poonam Muttreja.

Im Gegensatz zu China ist Indiens Bevölkerung nach wie vor weitgehend ländlich geprägt. Auch wenn in beiden Ländern Arbeitnehmer auf der Suche nach besseren Perspektiven in die Megastädte abwandern, wird die Mehrheit der indischen Bevölkerung im Hinterland bleiben, während der Grossteil Chinas nach Schätzungen der UNO bis 2035 zunehmend städtisch sein wird.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Andreas Thommen ist Geschäftsführer von Ecopop und ehemaliger landwirtschaftlicher Berater am Forschungsinstitut für biologischen Landbau.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Bevlkerung_Erde

Pro und Contra Bevölkerungszunahme

Die Bevölkerung auf unserem Planeten hat in den letzten 200 Jahren enorm zugenommen.

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4 Meinungen

  • am 2.05.2023 um 10:43 Uhr
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    Gemäß dem heutigen Stand der Wissenschaft kommt 2035 der Klimakollaps und 2050 erreicht dann die Bevölkerungszahl neue Höchstwerte? Finde den Fehler…
    Alle diese Projektionen beruhen darauf, dass man annimmt, es gehe alles so weiter, wie bisher. Es könnte aber auch gut sein, dass aufgrund der hohen Bevölkerungszahl die natürlichen Ressourcen knapp werden und das Wachstum automatisch gebremst wird.

  • am 3.05.2023 um 13:22 Uhr
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    In Europa wird der Geburten-Rückgang durch Einwanderung kompensiert.
    So hat China u.a. die Möglichkeit die Einwanderung von Süd-West-Asiaten zu fördern.

  • am 3.05.2023 um 16:17 Uhr
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    Das einzige was nachhaltig zu einem Bevölkerungsrückgang geführt hat ist Wohlstand.

    China hat dies zwar durch drakonische Massnahmen, die einem Rechtsstaat unwürdig sind anfangs auch geschafft, aber nachhaltig wurde es erst jetzt durch Wohlstand. Die Ein-Kind Politik ist lange vorbei. China versucht wieder Familien zu mehr Kindern zu animieren. Das funktioniert aber nicht, da auch in China Frauen lieber arbeiten gehen, um Handys, Autos, Schmuck, Klamotten etc. zu kaufen.

    Dieses Streben nach mehr Wohlstand kollabiert natürlich fundamental mit der CO2 Reduktion. Billige Energie ist und war der Schlüssel für Wohlstand, außer dem grünen «Wohlstand des weniger».

    Auch deswegen baut Indien jetzt über 20 neue Kohlekraftwerke und steigt in die Atomkraft ein. Da sollte Deutschland mal drüber nachdenken.

  • am 4.05.2023 um 15:43 Uhr
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    Wasser ist DER Schlüssel für uns alle. Für die Inder umso mehr, weil China (selbst zunehmend unter Klimawandel leidend) an den Schleusen sitzt. Es sei denn, Indien würde das Wasser (so wie andere Rohstoffe) importieren. Bloss: Wer hat noch überschüssiges? Selbstreformation?
    Tagesanzeiger 31.12.2020 titelt: Mit allen Wassern bewaffnet / China gräbt halb Asien das Wasser ab

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