Gefährliche Chemikalien: Regulierung in Minischrittchen
Weltweit werden noch immer zu viele gefährliche Chemikalien hergestellt. Künstliche Substanzen bedrohen die Umwelt und die Gesundheit vieler Menschen, bringen das Ökosystem aus dem Gleichgewicht und behindern die Kreislaufwirtschaft – teilweise auf Jahrzehnte hinaus.
Die Chemikalienbelastung der Bevölkerung ist auch in den westlichen Ländern besorgniserregend hoch. Die Menge künstlicher Stoffe auf der Welt hat die planetaren Grenzen bereits überschritten, bis 2050 soll sich die Chemikalienproduktion gegenüber 2010 noch einmal verdreifachen. Mensch und Umwelt vor den negativen Auswirkungen gefährlicher Chemikalien zu schützen, ist dringend geboten.
Warum ist die Weltchemikalienkonferenz wichtig?
Die internationale Gemeinschaft tut sich jedoch noch immer schwer mit einer umfassenden und verbindlichen Regulierung. Das zeigte sich zuletzt auf der Weltchemikalienkonferenz ICCM5, die am 30. September in Bonn zu Ende ging.
Die internationale Tagung unter Führung des UN-Umweltprogramms UNEP legt den Grundstein dafür, wie weltweit mit Chemikalien umgegangen wird. Für das UNEP ist der Umgang mit Chemikalien die dritte grosse Umweltkrise neben Klimakrise und Biodiversitätsverlust und trägt zu beidem bei.
Warum ist Skepsis angebracht?
Die Tagung im deutschen Bonn war lange überfällig. Die letzte internationale Konferenz zum Chemikalienmanagement fand 2015 in Genf statt, die für 2020 geplante Ausgabe fiel aus. Entsprechend hoch waren die Erwartungen. Aus dem erwarteten Durchbruch wurde jedoch nichts.
Die teilnehmenden Länder brachten immerhin ihren Willen zum Ausdruck, die Verwendung der giftigsten Chemikalien zu beenden und den Umgang mit Chemikalien weltweit sicherer zu machen.
Das wollten sie allerdings schon einmal. Bereits 2002 hatten die Delegierten auf dem UN-Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg beschlossen, Chemikalien bis 2020 nur noch so zu produzieren und einzusetzen, dass Gefahren für Gesundheit und Umwelt vermieden werden. Ein Ziel, das die Weltgemeinschaft nicht erreichte.
2006 wurde das Rahmenwerk SAICM (Strategischer Ansatz zum Internationalen Chemikalienmanagement) beschlossen, das einen nachhaltigen Umgang mit Chemikalien schaffen sollte. Dieses muss nun erweitert und aktualisiert werden.
Ein Fonds soll neu 100 Länder dabei unterstützen, ein Chemikalien-Management-System aufzubauen, mit dessen Hilfe Chemikalien eingestuft und gekennzeichnet werden können. Deutschland hat dazu bereits 20 Millionen Euro zugesagt, Frankreich 400’000 Euro. Auch die chemische Industrie hat Zuschüsse angekündigt. Umweltminister:innen verschiedener Länder sowie der Veranstalter UNEP zeigten sich zufrieden.
Was konkret sind die Kritikpunkte?
Vielen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) gehen die Beschlüsse des ICCM5 nicht weit genug. Sie kritisieren die Abschlusserklärung als zu ambitionslos und zu unverbindlich. Grösster Kritikpunkt: Die Erklärung ist nicht verpflichtend.
Das Verursacherprinzip müsse endlich stärker in den Fokus rücken und die chemische Industrie in die Pflicht nehmen, kritisieren der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), das Pestizid Aktions-Netzwerk Deutschland (PAN Germany) und vier weitere Nichtregierungsorganisationen in einer gemeinsamen Pressemitteilung. Der BUND fordert eine Abgabe für die Hersteller von Primärchemikalien.
Überdies reichten die jetzt zugesagten Mittel bei Weitem nicht aus. Und die Länder des globalen Südens würden weiter mit den Folgen der Chemikalienschwemme alleingelassen.
Um welche Chemikalien geht es überhaupt?
Derzeit stehen vor allem Pestizide und sogenannte Ewigkeitschemikalien in der Diskussion. Zu deren prominentesten Vertretern, den per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS), gehören etwa 10’000 Einzelchemikalien, die breit eingesetzt werden. Regelmässig werden neue eingeführt, die Risikoeinschätzung und Regulierung hält damit nicht Schritt. Von einigen PFAS ist sicher, dass sie den Hormonhaushalt beeinflussen und das Immunsystem schädigen, von anderen weiss man es nicht.
Die weltweit giftigsten Chemikalien sind aber andere. Blei, Cadmium, Asbest und Stickoxide verursachten zehn Millionen vorzeitige Todesfälle jedes Jahr, sagte Valerie Hickey, Umweltdirektorin bei der Weltbank. Allein die Hälfte davon geht auf Blei zurück. Schädliches Blei verursache hohe Kosten von mehreren Billionen Dollar. Und noch immer gebe es kein globales Verbot, etwa von Blei in Farben, merken die «Klimareporter» an (via «Sonnenseite»).
Ein grosser Streitpunkt seien in Europa verbotene Pestizide, ihre Produktion und ihr Export, berichtete der «Deutschlandfunk» in einem Audiobeitrag. Belgien und Frankreich haben bereits ein Exportverbot für solche Substanzen, andere Länder sperren sich.
Kritisiert wurde von verschiedenen Seiten auch das Verhalten von Deutschlands Bundeskanzler. Während in Bonn ein besserer Schutz vor Chemikalien thematisiert wurde, verhandelte Olaf Scholz in Berlin mit der deutschen Chemieindustrie über Strom-Subventionen.
Was kam jetzt konkret bei der ICCM5 heraus?
Insgesamt gehe es vorwärts, aber in kleinen Schritten, resümieren die NGOs. Die Delegierten einigten sich unter anderem, die Nutzung hochgefährlicher Pestizide bis 2035 auslaufen zu lassen. Vorausgesetzt, es seien Alternativen verfügbar, schränkt Tom Kurz vom Forum Umwelt & Entwicklung, einer deutschen Dachorganisation, ein.
Immerhin sei das Abkommen von Bonn aber das erste multilaterale Abkommen zum Umgang mit Chemikalien, so die «Klimareporter». Bisher gab es nur einzelne Abkommen, zum Beispiel Montreal-Protokoll zum Umgang mit ozonschädigenden Stoffen oder die Stockholm-Konvention zu schwer abbaubaren (persistenten) Chemikalien.
Ein weiterer Fortschritt: Das auf der ICCM5 in Bonn vereinbarte Global Framework on Chemicals (GFC), das SAICM ablösen soll, legt Leitlinien für den gesamten Chemikalien-Lebenszyklus fest, von der Produktion bis zum Abfallmanagement. Die Delegierten vereinbarten ausserdem 28 Ziele mit konkreten Zeitvorgaben, die meist bis 2030 reichen.
Als positiv schätzen mehrere NGOs das wachsende kritische Bewusstsein gegenüber den Gefahren von Umweltchemikalien und deren Bekämpfung ein. Insofern sei das Bonner Abkommen «mehr als erwartet, aber weniger als notwendig». Das Abkommen unterstützt zudem die Schaffung eines Weltchemikalienrats analog zum Weltklimarat.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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