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Nukleares Sperrgebiet: Die Stadt Futaba wird wohl für immer unbewohnbar bleiben © ZDF

Fukushima: Die Katastrophe geht weiter

Natalie Perren /  Eine ZDF-Reportage zeigt, wie Japans Regierung die Menschen über die Folgen von Fukushima belügt und Betroffene im Stich lässt.

Vor drei Jahren hielt die Welt den Atem an, als im japanischen Fukushima vier Reaktorgebäude explodierten. Erst kürzlich versicherte der japanische Premierminister Shinzo Abe der Welt öffentlich: «Die Lage in Fukushima ist unter Kontrolle». Doch das ist eine glatte Lüge. ZDF-Ostasienkorrespondent Johannes Hano hat sich in das verseuchte Gebiet begeben und mit einem japanischen Team mehrere Wochen recherchiert. In der ZDFzoom-Reportage «Täuschen, tricksen, drohen – die Fukushima-Lüge» bringt er erschreckende Erkenntnisse ans Licht.
Der Film deckt auf, was die Regierung und die Betreiberfirma Tepco hartnäckig abstreiten: Die Folgen des GAU sind längst ausser Kontrolle. «Das Gelände rund um Fukushima ist zu einer Art radioaktivem Sumpf geworden», sagt Atomphysiker Horoaki Koide von Universität Kyoto. Die radioaktive Verseuchung verbreite sich jeden Tag weiter. Die Gefahren für Mensch und Umwelt sind auch drei Jahre nach der Katastrophe gewaltig.
400 Millionen Liter verseuchtes Wasser in undichten Tanks
Von den Bergen strömen täglich rund Tausend Tonnen Grundwasser Richtung AKW-Ruinen. Durch Risse im Beton fliesst das Wasser in die zerstörte Atomanlage. Tepco, die umstrittene Betreiberfirma, pumpt jeden Tag 400 Tonnen radioaktiv verseuchtes Wasser ab und lagert es in riesigen Tanks auf dem Gelände. Inzwischen sind es etwa 400 Millionen Liter – und täglich werden es mehr.
Doch die Tanks werden rasch undicht, weil sie nicht für radioaktives Wasser konstruiert sind – die AKW-Betreiberfirma Tepco wollte sparen. Wie auch bei anderen Massnahmen der Profit des Unternehmens Vorrang hatte. Japans ehemaliger oberster Katastrophenbekämpfer Sumio Mabuchi berichtet, wie Tepco den Bau eines Schutzwalls um die zerstörte Atomanlage verhindert hat – mit Blick auf die hohen Kosten. Das geht aus einem internen Papier der Betreiberfirma hervor.
Bereits mehrmals flossen hunderttausende Liter hoch radioaktives Wasser unkontrolliert aus. Zusätzlich strömen täglich etwa 200’000 Liter verseuchtes Grundwasser in den Pazifischen Ozean. Yosuke Yamashiki vom Hydrologischen Institut der Universität Kyoto hat festgestellt, dass noch in 80 Kilometer Entfernung vom Unglücksort hohe Werte im Meer gemessen werden. So kann über Jahrzehnte hochgiftiges Cäsium in die Nahrungskette gelangen.

Radioaktivität von 10’000 Hiroshima-Bomben

Eine gigantisches Gefahrenpotential birgt auch der Reaktorblock 4. Im Abklingbecken des schwer beschädigten Gebäudes lagern noch mehr als 1500 Brennelemente mit der Radioaktivität von etwa 10’000 Hiroshima-Bomben. Die Bergung wird noch Jahre dauern, und ein neues schweres Erdbeben könnte das Gebäude jederzeit zum Einsturz bringen. Das würde zu einer globalen Atom-Katastrophe führen – 85-mal grösser als Tschernobyl (Infosperber berichtete).
Doch was unternehmen die Verantwortlichen angesichts solcher Schreckensnachrichten? Sie verharmlosen, lügen und tricksen. Yosuke Yamashiki von der Universität Kyoto kritisiert die Behörden massiv. Die Regierung habe inzwischen einfach die Grenzwerte neu festgelegt. Statt 100 Becquerel pro Kilo wie vor der Katastrophe sollen nun erst 8000 Becquerel gesundheitsgefährdend sein. «Weil unsere Werte tiefer sind, glauben die Leute, alles sei normal.»

Lachen als Schutz vor Strahlung

Wissenschaftler werden unter Druck gesetzt, um Gefahren zu verharmlosen. Ein Video, aufgenommen an einer Informationsveranstaltung, macht deutlich, mit welcher Einstellung Japans Offizielle an die Bewertung der Gesundheitsrisiken herangehen: «Wenn Sie nur genug lachen, dann wird die Strahlung Ihnen nichts anhaben können», beschwichtigt der Chef-Strahlenmediziner in Fukushima die Zuhörer. «Wenn Sie sich aber Sorgen machen, dann wird die Strahlung Ihnen etwas antun», diese Theorie sei durch Experimente an Tieren bestätigt worden.
Wie viele andere Bürger fühlt sich Katsutaka Idogawa von den Behörden im Stich gelassen: «Die japanische Regierung ist unmenschlich. Wir werden wie dummes Volk behandelt, ich verspüre starken Zorn.» Idogawa ist der ehemalige Bürgermeister des Städtchens Futaba – ganz in der Nähe des Atomkraftwerks Fukushima. Der Ort wird wohl für immer unbewohnbar sein, eine Geisterstadt innerhalb der nuklearen Sperrzone.

Die zwiespältige Rolle der Atomlobby

Die mächtige und einflussreiche Atomlobby – ein Klüngel aus Politikern, Wissenschaftlern und Medien, die bis heute die lukrativen Geschäfte der Atomkonzerne decken – scheint alles zu tun, um das wahre Ausmass der Katastrophe zu verschleiern und Kritiker auszuschalten. Das Ziel: Evakuierte Menschen sollen zurückkehren und Japans grösstes AKW in Niigata, das nach dem Unfall abgeschaltet wurde, soll möglichst rasch wieder hochgefahren werden.
Japans Ex-Premierminister Naoto Kan spricht in einem Interview mit dem ZDF gar von einer «Verschwörung der Atomlobby». Er ist überzeugt, dass er sein Amt verloren hat, weil er sich mit dem Atomfilz anlegte. Er wurde verleumdet – und musste gehen. Später stellten sich alle Vorwürfe gegen ihn als falsch heraus. Verfilzung und Interessenkonflikte waren wichtige Ursachen, dass es zur Atomkatastrophe kommen konnte. Das hatte die parlamentarische Untersuchungskommission festgestellt.
Die japanische Atomlobby geht buchstäblich über Leichen, wenn es um die eigenen Interessen geht. Der ZDF-Reporter Johannes Hano hat Menschen getroffen, die ohne Rücksicht auf ihre Gesundheit nach Fukushima zum Aufräumen geschickt werden. Handlanger der Yakuza, der japanischen Mafia, berichten, wie sie Obdachlose mit Drohungen und falschen Versprechen als Arbeiter anheuern.

Die Reportage von Johannes Hano ist schockierend und bedrückend. Aufnahmen aus dem verseuchten Gebiet und Aussagen von Wissenschaftlern machen deutlich, dass Fukushima längst nicht «unter Kontrolle» ist. Im Gegenteil. Die Regierung ist mit den immensen Problemen schlicht überfordert. Und Tepco hat sich kaum ernsthaft darum gekümmert. So dauert die Katastrophe mit ihren verheerenden Folgen an – und dies wohl noch eine lange Zeit.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

1103_Fukushima

Fukushima: Verharmlost und vergessen

Die Atomkatastrophe von Fukushima und deren Folgen für Hunderttausende.

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Eine Meinung zu

  • am 11.03.2014 um 23:43 Uhr
    Permalink

    Ach, Ihr bösen, bösen Infosperber!
    Jetzt waren wir gerade so schön am Vergessen und unsere Atomlobby witterte bereits die Morgenröte für den Ausstieg von Ausstieg- und da vermiest ihr uns unser wohliges Verdrängen. Shame on you!

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