Festliche Anlässe in China – auch nächstes Jahr
Das mächtig aufstrebende China hatte in den letzten Jahren einiges zu feiern. Mit dem wiedererlangten Stolz nach – wie es in Schulbüchern geschrieben steht und wie die Propaganda nicht müde wird, es zu betonen – zweihundert Jahren der «Erniedrigung und Demütigung», werden die Feste patriotisch, zuweilen nationalistisch oder gar chauvinistisch gefeiert. Und wie! Die Festwelle begann mit den Olympischen Spielen 2008 in Peking – natürlich die besten Spiele je – gefolgt 2009 vom 60. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik. Dann die Weltaustellung 2010 in Shanghai – selbstredend auch hier die beste je – und schliesslich 2011 der hundertste Jahrestag der Revolution von1911.
Katastrophen allerdings werden lieber vergessen
Damals wurde nach exakt 2132 Jahren die letzte Dynastie seit der erstmaligen Vereinigung Chinas in einem Zentralstaat, die mandschurische Qin, in den Abfallkübel der Geschichte entsorgt. Es war ein neuer Anfang. Bis zur «Befreiung» durch die Kommunisten nach einem bitteren Bürgerkrieg 1949, einer von Mao zu verantwortenden katastrophalen Hungersnot während des «Grossen Sprungs nach vorn» mit 45 Millionen Toten und dem Desaster der «Grossen Proletarischen Kulturrevolution» (1966-76) und schliesslich der Wirtschaftsreform ab 1979 war es ein langer, schmerzhafter Weg.
Auch Konfuzius ist wieder «in»
Heute sind Chinesinnen und Chinesen mächtig stolz auf den Wiederaufstieg, mit Betonung auf «wieder». Endlich, so die historisch akkurate parteiliche Propaganda, ist China wieder dort, wo es schon einmal war und im Grunde genommen auch hingehört. Marxismus-Leninismus-MaoDsedong-Dengen ist zwar noch gut für Sonntagsreden, aber längst passé. Wie in längst vergangenen kaiserlichen Zeiten wird die Überlegenheit der chinesischen Kultur gefeiert, an der auch die Barbaren, das heisst heute die weitere Welt, teilhaben können. Der unter Mao verteufelte und als reaktionär beschimpfte Philosoph Konfuzius wird heute wieder als Säulenheiliger für den «Sozialismus chinesischer Prägung» vereinnahmt. In der ganzen Welt gibt es mittlerweile über 350 Konfuziusinstitute, um die überlegene chinesische Sprache und Kultur zu verbreiten und die friedlichen Absichten des Reichs der Mitte ins rechte Licht zu rücken.
Und jetzt das wichtigste «Fest»…
Auch im kommenden Jahr wird weiter gefeiert. Aber dann geht es ans Eingemachte. Kein Schaulaufen für die Welt. Es geht nämlich schlicht um die Macht. Der alle fünf Jahre abgehaltene Parteikongress der allmächtigen KP überstrahlt alles. Programmgemäss werden Staats- und Parteichef Hu Jintao und Premier Wen Jiabao nach zehn Jahren an der Spitze abgelöst. Nachfolger werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Prinzlinge – Söhne oder Enkel hoher und höchster Parteiveteranen – Xi Jingping, derzeit Vize-Staatschef und Li Kejiang, erster Vizeregierungschef. In die chinesische Machtzentrale – dem Ständigen Ausschuss des Politbüros – wird auch Bo Xilai Einzug halten. Bo, auch er ein Prinzling, war jahrelang Bürgermeister der Modell-Stadt Dalian, dann Handelsminister in der Zentralregierung. Als Bürgermeister in Chongqing, der grössten Stadt der Welt, hat sich nun Politbüromitglied Bo mit Kampagnen gegen das organisierte Verbrechen und einem nostalgischen Mao-Revival für allerhöchste Ämter empfohlen.
Feiern – aber besteht Grund dazu?
Das Parteifest ist sozusagen die Mutter aller Feste. Nichts darf schief gehen. Das Land und die chinesische Gesellschaft müssen sich, wie am letzten Kongress als Parteilinie festgelegt, in konfuzianischer «Harmonie» befinden. Die Wirtschaft wächst zwar noch immer, wenn auch leicht gebremst. Die grösste Sorge der roten Mandarine freilich ist die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, Stadt und Land sowie Korruption von Oben bis Unten. Diese Probleme werden weder durch den Markt noch durch Social Engeneering gelöst werden. Es braucht vielmehr Strukturreformen und mehr Transparenz. Davon allerdings ist trotz vielen schönen Worten, vor allem von Premierminister Wen Jiabao, bislang noch wenig bis nichts im Alltag festzumachen.
Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst
Bis zum Parteitag bleibt noch genau ein Jahr. In der Parteizentrale Zhongnanhai im Zentrum Pekings, der neuen «Verbotenen Stadt», wird fieberhaft gearbeitet und nachgedacht. Kein Wunder, der Gini-Koeffizient ist mittlerweile auf 0,49 gestiegen, sozial eine explosive Zahl. Der Masstab, einst vom italienischen Ökonomen Corrado Gini in den 50er-Jahren entwickelt, fängt nach verschiedenen Kriterien zusammengestellt mit absoluter Gleichheit bei null an und endet bei absoluter Ungleicheit bei 1. Nach Ansicht von Ökonomen ist ab 0,4 die von den chinesischen Kommunisten immer wieder beschworene «soziale Stabilität» bedroht. Zu Maos Zeiten, als alle gleich arm waren, betrug der Koeffizient 0,24; niemand will natürlich zu jenen Zeiten zurück. Aber gefährliche 0,49 sind für die Gesellschaft ebenso bedrohend wie die desaströsen Kampagnen des «Gossen Vorsitzenden».
Die Reformen hatten ein anderes Ziel
Die Schweiz – zum Vergleich – kann sich trotz aller Boni und exorbitanten Spitzengehältern von durchschnittlichen bis unfähigen Managern mit einem Gini-Koeffizienten von 33,8 durchaus sehen lassen. Wohlstand ist mit andern Worten in der Schweiz gerechter verteilt als im sozialistischen China. Trotz Vasella, Grübel, Villiger, Ospel und wie sie alle heissen.
Bereits vor Jahrzehnten schrieb der Übervater der Reform und des chinesischen Wirtschaftswunders, Deng Xiaoping, den Wirtschaftsplanern ins Stammbuch: «Wenn die Reform zu einer Polarisierung der Einkommens- und Vermögensverteilung führt, dann bedeutete dies das Scheitern der Reform».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine