Elfenbeinküste: Prekäre Rückkehr zum Frieden
Nach den verlorenen Wahlen von 2010 hatte sich der abgewählte Präsident Laurent Gbagbo verschanzt und geweigert, seine Abwahl zu akzeptieren. Es kam zu langen blutigen Auseinandersetzungen, die erst jetzt juristisch langsam aufgearbeitet werden.
Seit September laufen in Abidjan die ersten Prozesse gegen mehrere ehemalige Militäroffiziere, die dem abgewählten Präsidenten Laurent Gbagbo nahestehen. Angeklagt wegen Kriegsverbrechen sind unter anderem der General Brunot Dogbo Blé, ex-Chef der Präsidentengarde, und der persönliche Leibwächter der Präsidentengattin Simone Gbagbo, Anselme Séka Yapo.
Attacken noch bis vor wenigen Wochen
Diese Prozesse beginnen nur wenige Wochen nach den letzten Attacken auf Militärposten der ivorischen Streitkräfte, die offensichtlich zum Ziel hatten, das fragile Gleichgewicht der neuen Regierung zu erschüttern. Die Wahl des Zeitpunktes der Prozesse kann daher durchaus als ein Zeichen der Regierung an die Opposition gewertet werden, dass sie die Kontrolle über den politischen Fahrplan trotz den Einschüchterungsversuchen nicht aus der Hand geben wird.
In der Stadt Abidjan selbst, wo vor anderthalb Jahren noch Strassenschlachten wüteten, herrscht heute zum grossen Teil Ruhe. Die Menschen gehen ihrem gewohnten Alltag nach, und fährt man in diesen Tagen durch die Strassen der Stadt, hat man gewiss nicht das Gefühl, sich in einem Konfliktgebiet zu befinden. Doch unter der Oberfläche der Ordnung bleibt die Situation angespannt. Die Elfenbeinküste ist nach wie vor ein zutiefst gespaltenes Land.
Jahrelange ethnische Konflikte
Dies ist nicht erstaunlich, denn die Hauptfiguren der ivorischen Politik sind immer noch die gleichen wie vor zwei Jahrzehnten: FPI-Führer Laurent Gbagbo, Präsident Alassane Ouattara vom RDR und Henri Konan Bédié, Chef der ehemaligen Einheitspartei PDCI. Der Machtkampf zwischen diesen drei Köpfen führte die Elfenbeinküste am Anfang des letzten Jahrzehnts in einen ethnischen Bürgerkrieg, der nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl 2010 seinen letzten blutigen Höhepunkt fand.
Erstmals der muslimische Norden an der Macht
Nach der Verhaftung des unnachgiebigen Wahlverlierers Gbagbo und seiner Überführung nach Den Haag ist mit Alassane Ouattara, dessen politische Ambitionen die anderen Politiker mit allen Mitteln bekämpften, zum ersten Mal ein Mann aus dem überwiegend muslimischen Norden Präsident des Landes. Dieser Wechsel ist spürbar: An den Hebeln der Macht sitzen plötzlich Politiker und Funktionäre aus dem Norden, deren ivorische Identität vor ein paar Jahren noch angezweifelt wurde, und in ihrem Windschatten stellen Figuren der Zivilgesellschaft, die dem Lager des Präsidenten nahe stehen, unverhohlen ihre neue Nähe zur Macht zur Schau.
Aber Ouattara ist auch auf Unterstützung aus anderen Lagern angewiesen: Mit Bédié und seiner PDCI hat er sich zu einer relativ gut funktionierenden Zweckgemeinschaft verbündet, als hätte es die politische Feindschaft in den 1990er-Jahren nie gegeben. «Schliesslich ist der RDR aus der PDCI entstanden», wird heute von Parteivertretern beider Seiten allenthalben betont. Man schwört sich zur Zeit ganz auf den gemeinsamen Feind Gbagbo ein, der – wenn auch nicht ganz zu Unrecht – etwas einseitig als einziger Schuldiger dargestellt wird. Dabei wird gern übersehen, dass der Konflikt bereits 1994, unter dem damaligen Präsidenten Bédié seinen Anfang nahm. Bédié war es nämlich, der das Gesetz der «Ivoirité» erfand, welches «echte» von «unechten» Ivorern unterscheiden sollte. Damit schloss er seinen damaligen Widersacher Ouattara von der Politik aus – und mit ihm Millionen Menschen aus dem Norden, die nunmehr als Ausländer galten. 16 Jahre später, bei der Präsidentschaftswahl 2010, paktierte Bédié mit Ouattara und wurde so zum Königsmacher.
Gbagbo gibt nicht auf
Die Fronten zwischen dieser Koalition und Gbagbos Anhängern hingegen sind verhärtet. Der FPI hat die Parlamentswahlen boykottiert, weigert sich an der Regierung teilzuhaben und zeigt allgemein wenig Bereitschaft zum Dialog. «Wir folgen dir bis ans Ende», steht unter einem Porträt Gbagbos in der Parteizentrale geschrieben. Viele seiner Anhänger, vor allem die militantesten, sind ins umliegende Ausland geflüchtet, wo sie sich gemäss gewisser Stimmen für eine gewaltsame Rückkehr ins Land vorbereiten. Zur Zeit kreuzen die beiden Lager ihre Klingen vor allem über die nationalen Medien, die als Propagandamittel der Parteien dienen, wobei sie sich gegenseitig die Schuld an den neuerlichen Massakern im Westen des Landes zuschieben.
Fragile Lage an der Grenze zu Liberia
Die Gegend nahe der Grenze zu Liberia, der sogenannte «Wilde Westen» der Elfenbeinküste, ist und bleibt ein gefährliches Pulverfass. Hier kommen drei Faktoren zusammen, die für den bewaffneten Konflikt entscheidend waren: langjährige Streitigkeiten über Landrechte zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen, das Aufwiegeln der Menschen durch die Propaganda der nationalen Politiker und grenzüberschreitende kriminelle Machenschaften von lokalen Kriegsbossen, die sich am Konflikt bereichern. Die Entwicklungen in diesem «Wilden Westen» werden den Versöhnungsprozess des Landes entscheidend prägen.
Prekäre Ruhe in der Hauptstadt
In Abidjan, einst Westafrikas Wirtschaftsmotor, hat Ouattara das Leben in relativ kurzer Zeit wieder in Gang gebracht. Das ist eine eindrückliche Leistung, herrschten doch in der Stadt bis vor kurzem noch Anarchie und Gewalt. Aber auch hier bleibt die Lage brenzlig. Im Takt mit den gegenseitigen Schuldzuweisungen der beiden unversöhnlichen Lager schwelen ethnische Vorurteile und Feindseligkeiten in der Bevölkerung weiter. Zudem soll es vermehrt zu Vergeltungsaktionen der Sicherheitskräfte an den vermuteten Anhängern des Ex-Präsidenten kommen. An Stelle derjenigen aus dem Norden scheinen nun die Menschen aus dem Westen des Landes, der Heimat Gbagbos, Opfer von Polizeiwillkür und -gewalt zu werden. Solche Erscheinungen zeugen von der Gefahr, dass die selbstgefällige Regierungskoalition sich dazu verleiten lassen könnte, ausgerechnet die Praktiken des gehassten Ex-Präsidenten nachzuahmen.
Noch ist ein neuer blutiger Konflikt möglich
Es liegt nun an Ouattara und seiner Regierung, die Elfenbeinküste endgültig aus dem Sumpf des ethnischen Konflikts zu ziehen. Dazu müssen sie in den nächsten zwei, drei Jahren die Sicherheit im Land wiederherstellen und einen wirtschaftlichen Aufschwung herbeiführen. Noch entscheidender allerdings ist ein anderer Punkt: Jene Gefolgschaft des Nordens, die Ouattara an die Macht verholfen hat, fordert nun ihren Tribut ein. Doch der neue Präsident muss die Fehler der Vergangenheit überwinden und eine Politik betreiben, die keine Partei, Region oder ethnische Gruppe ausgrenzt. Dies erfordert einen äusserst prekären Balanceakt zwischen entschlossenem Regieren und der Annäherung an eine Opposition, die sich bewusst selbst von der Zusammenarbeit ausschliesst. Das Land steht am Scheideweg: Schafft Ouattara diesen Balanceakt nicht, droht die Elfenbeinküste erneut in einen gewaltsamen Konflikt abzusinken.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Autor ist Doktorand in Konfliktforschung an der ETH Zürich und war kürzlich für eine Feldforschung während mehrerer Wochen in der Elfenbeinküste.