Ein Chinesischer Frühling ist nicht in Sicht
Vor zwei Jahren zeichneten viele Auslandkorrespondenten in China ein düsteres Bild sozialer Unruhen und weit verbreiteten Unmuts in der Bevölkerung. Nicht ganz zu Unrecht. Allein im Jahre 2011 kam es nach offiziellen Angaben zu über 150‘000 ernsthaften Zwischenfällen. Nicht selten arteten die Konfrontationen mit der bewaffneten Volkspolizei in handfeste Scharmützel aus. Autos wurden angezündet, Polizeiposten belagert, Verkehrsadern blockiert. Verwundete und gar Tote waren zu beklagen. Grund vieler Auseinandersetzungen waren Land-Dispute, Umweltprobleme, nicht bezahlte Wanderarbeiter oder willkürliches Vorgehen von Parteibeamten gegen Bürger.
Der Bürgerzorn hat sich bis heute gehalten. Nicht nur auf der Strasse wird demonstriert, auch im Internet greifen Blogger auf dem chinesischen Twitter-Ersatz Sina Weibo in die Tasten und verfassen ätzende Kritik an den herrschenden Zuständen. Die allmächtige Kommunistische Partei reagiert auf die Kritik ihrer aufmüpfigen Bürger und Bürgerinnen mit Zuckerbrot und Peitsche.
Wachsender Wohlstand hält das Volk bei Laune
Das Zuckerbrot besteht darin, dem Volk das zu geben, was es will: jedes Jahr mehr Lohn, mehr Wohlstand und natürlich möglichst Vollbeschäftigung. Die wachsende Mittelklasse, derzeit rund 250 bis 300 Millionen Menschen stark, hat stillschweigend so etwas wie einen Contrat social mit den Herrschenden abgeschlossen: Man mischt sich nicht in die Politik ein, solange die Quelle des wachsenden Wohlstandes nicht versiegt. Dieser Contrat social ist jetzt auf dem Prüfstand. Die Volkswirtschaft befindet sich mit sinkenden, aber immer noch guten Wachstumszahlen in einer entscheidenden Phase. Es gilt den Übergang zu meistern vom investitions- und exportabhängigen Wachstum hin zu mehr Binnennachfrage und Konsum.
Mit der Peitsche fuchtelt die Partei dann, wenn der Contrat social verletzt wird oder «sozialer Friede» und «Stabilität» bedroht sind. Die kleinste Äusserung von Unmut wird dann sofort im Keim erstickt. Die sozialen Medien werden von einer umfassenden Internet-Polizei lückenlos überwacht. Blogger, die «Gerüchte verbreiten», wandern nicht selten ins Gefängnis. Sämtliche Medien sind staatlich und parteilich. Die Kommunistische Partei betreibt zur Erhaltung ihrer Macht und ihres Informations- und Meinungsmonopols ein gut durchdachtes, effizientes Krisenmanagement.
China geht seinen eigenen Weg
Die China-Analyse westlicher Medien zieht gerade im Zusammenhang mit dem Arabischen Frühling falsche Parallelen und übersieht die langfristigen Perspektiven der chinesischen Führung. Der Politikwissenschafter Francis Fukuyama verkündete vor zwanzig Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der osteuropäischen Satellitenstaaten «das Ende der Geschichte». Die Konvergenztheoretiker und Liberalen jubelten und waren überzeugt, dass Liberalismus, Freiheit, Marktwirtschaft, Demokratie und Menschenrechte sich überall und für immer durchsetzen werden. Das werde sich, kommentierten viele, auch in China bewahrheiten. Der Tiananmen-Zwischenfall von 1989 habe deutlich die Tendenz angezeigt.
Allein, China wollte nicht am «Ende der Geschichte» stehen. Es ging unter der Führung der KP einen eigenen, äusserst erfolgreichen Weg. Marktwirtschaft gewiss. In beschränktem Rahmen wurden und werden aber auch Freiheiten, Demokratie und Menschenrechte weiterentwickelt. Aufgrund der chinesischen Geschichte und Tradition. Ohne – wie es parteiamtlich mantramässig wiederholt wird – «Einmischung von Aussen in die inneren Angelegenheiten» Chinas.
Lehren aus dem Arabischen Frühling
Was haben die Proteste, Demonstrationen und Aufstände des Arabischen Frühlings gebracht? War und ist der Arabische Frühling eine historische Zäsur? Was hat die Einmischung von Aussen in die inneren Angelegenheiten etwa von Irak, Libyen, Tunesien, Ägypten oder Syrien gebracht? Mehr Demokratie, mehr Wohlstand, mehr Sicherheit etwa? Mit Blick auf das arabische Chaos könnte man so auch formulieren: Die KP Chinas wird wohl noch zwei, drei Generationen an der Macht bleiben. Mit Zuckerbrot und Peitsche. Vorausgesetzt, es kommt zu keinen historischen Un- und Zwischenfällen. Ein Chinesischer Frühling ist nicht in Sicht, ebenso wenig aber auch – Fukuyama hin, Fukuyama her – das Ende der chinesischen Erfolgsgeschichte.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Ich erhalte regelmässig Berichte von einem Freund in China. Wir vergessen immer wieder, dass dieses Land von einer sehr alten Kultur geprägt ist, auch Mao konnte sie nicht ausrotten. Mit welchem Recht setzen wir voraus, dass unsere Kultur für die ganze Welt massgeblich sein soll? Und was in Sachen Ueberwacheung der Bürger bei uns sorgfältig aufgebaut wird zeigt der Skandal der amerikanischen Ueberwachungs-Geheimdienste. Unsere Regierungen denken gleich, deshalb kein energisches Zurückweisen und Massnahmen dagegen, nur leicht empörte Worte. Wir wissen nicht wie lange die grosse Krise noch hinausgezögert werden kann. Aber wenn es dann soweit ist, sind die Vorbereitungen beendet und die Ueberwachung à la «1984» bereits installiert.