Donald Trump, die Neocons und der Faschismus
Robert Kagan ist der Vorzeige-Vordenker der amerikanischen «Neocons» und gilt als einer der einflussreichsten amerikanischen Meinungsmacher. 2003 verfasste er ein Buch mit dem Titel «Macht und Ohnmacht: Amerika und Europa in der neuen Weltordnung», ein Buch, das auch in Europa aufmerksam gelesen wurde. Denn es vermittelte ziemlich genau den polit-philosophischen Überbau der zynischen, neokonservativen Machtstrategen im Umfeld von Präsident George W. Bush.
Den Europäern warf Kagan vor, einfach die Friedensdividende zu geniessen und das Geld in den Sozialstaat zu pumpen, statt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion so richtig aufzurüsten. Kagan interpretierte vor dem Hintergrund seines offensichtlich sozialdarwinistisch geprägten Weltbildes auch gesellschaftliche und politische Prozesse als «natürlichen» Kampf zwischen Starken und Schwachen. Er pflegte in seinem Buch einen eigenartig verkümmerten, auf das Militärische reduzierten Machtbegriff. Die Macht der USA pries er mit einer saftigen Portion Arroganz als «unter Umständen das beste – und vielleicht sogar das einzige – Mittel, um den Fortschritt der Menschheit zu befördern». Selbst eine kaum getarnte Drohung stiess er in seinem Buch aus: Den «anhaltenden Glauben der Amerikaner an die ausserordentliche Stellung ihrer Nation in der Geschichte, ihre Überzeugung, dass ihre Interessen und die Interessen der Welt identisch seien, mag man begrüssen, verspotten oder beklagen. Aber man sollte sie nicht in Zweifel ziehen».
Kagan fährt schweres Geschütz auf
Und nun das: Ausgerechnet Donald Trump, der mit dem Slogan «Make America great again» in die Schlacht um das Weisse Haus zieht, ist ins Schussfeld von Robert Kagan geraten. Und wie! Bereits im März hat er Trump als «Frankenstein-Monster der Republikaner» bezeichnet und öffentlich dazu aufgerufen, Hillary Clinton zu wählen, «um das Land zu retten», falls Trump offizieller republikanischen Kandidat werde. Nun hat Kagan nachgelegt. In einem Essay in der «Washington Post» und im «Spiegel» (22/2016) schreibt er, mit Trump «kommt der Faschismus nach Amerika: Nicht in Marschstiefeln und mit militärischem Gruss, sondern in Gestalt eines TV-Promis, eines verlogenen Milliardärs, eines Egomanen wie aus dem Lehrbuch, der sich gängige Ressentiments und Unsicherheiten zunutze macht».
«Bedrohung der Freiheit»
Kagans Argumentation ist durchaus lesenswert. Das Phänomen Trump habe gar nichts mit Politik zu tun, denn er biete seinen Anhängern keine wirklichen Mittel gegen die Krise. «Was er anbietet ist eine Haltung, die Aura von grobschlächtiger Stärke und Machismo, die prahlerische Missachtung der Feinheiten der demokratischen Kultur, die, wie er behauptet und wie seine Anhänger glauben, landesweit nur Schwäche und Inkompetenz hervorgebracht haben». Er provoziere, spiele mit Unmut und Verachtung, «dazu kommt ein bisschen Angst, Hass und Wut», er verhöhne und verspotte die jeweils «Anderen», «Muslime, Hispanics, Frauen, Chinesen, Mexikaner, Europäer, Araber, Immigranten, Flüchtlinge». Seit Jahrzehnten hätten Konservative vor einer Regierung gewarnt, die alle Freiheit erstickt. «Aber dies hier ist eine andere Bedrohung der Freiheit: (…) dass in einer Demokratie die Bürger selbst in ihrer ungezügelten Wut genau die Institutionen mit Füssen treten könnten, die erschaffen wurden, um ihre Freiheiten zu bewahren».
Trump schuldet der Partei nichts
Und dann kommt die Parallele zum Faschismus. Der deutsche Nationalsozialismus und der italienische Faschismus bestanden «aus einem Haufen Widersprüche, in erster Linie vereint dadurch», was und wen sie ablehnten. Und es ging immer nur «um den starken Mann an der Spitze, dem man das Schicksal der Nation anvertrauen konnte». Genau diesen Mechanismus fürchtet Kagan auch im Fall eines Wahlsiegs von Trump: Er sei nicht zu domestizieren, weil er, einmal an der Macht, auf keine Partei Rücksicht nehmen müsse; auch nicht auf die Republikaner, weil er «ihnen und ihrer Partei nichts schuldet», und weil er ohne oder gar gegen den ursprünglichen Willen des Partei-Establishments ins Weisse Haus katapultiert worden ist. Er fühle sich dann nur seiner wachsenden Anhängerschaft, «dem Volk», verpflichtet. Trump mache sich das zunutze, «was die Gründerväter am meisten gefürchtet haben, als sie die amerikanische Demokratie begründeten: die entfesselten Gefühle der breiten Masse, die Herrschaft des Mobs».
Der Warnruf von Robert Kagan hat manch einen aufgeschreckt. Carlo Strenger, Professor für Psychologie und Philosophie an der Universität Tel Aviv, schrieb in der NZZ über den Faschismus-Vergleich: «Hätte nicht Kagan geschrieben, hätte ich gedacht, das sei doch stark übertrieben. Wir sollten uns daher die Frage stellen, ob wir nicht unterschätzen, in welch epochaler Gefahr wir uns bewegen».
Wieso ist Kagan so erstaunt?
Diese Feststellung ist sicher richtig. Trotzdem bleiben Fragen zurück. Warum ist ein pointiert rechter Hardliner wie Robert Kagan, unter anderem Berater der republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain (2008) und Mitt Romney (2012), derart erstaunt und alarmiert ob einem Donald Trump? Schliesslich haben die Tea-Party-Bewegung und die zunehmende Radikalisierung innerhalb der Republikanischen Partei seit 2009 den Boden für diese Entwicklung geebnet. Die Republikaner und ihre intellektuelle Prätorianergarde haben es weitgehend sich selbst zuzuschreiben, dass eine derart unappetitliche Figur wie Donald Trump überhaupt möglich ist. Bei den Wahlen 2008 hat der von Kagan unterstützte und beratene Präsidentschaftskandidat McCain die spätere Tea-Party-Ikone Sarah Palin zur Vizepräsidentschaftskandidatin erkoren. Und im Januar 2016 verkündete Palin ihre Unterstützung für Trump. Es gab also frühe Anzeichen dafür, in welche Richtung die Republikanische Partei sich bewegt. Robert Kagan ist zwar mittlerweile auf Distanz zur Partei gegangen, weil sie zu keiner konstruktiven Politik mehr fähig sei. Eine späte Einsicht. Deshalb wäre ein wenig Selbstkritik seinem Essay gut angestanden.
Schwammiger Faschismusbegriff
Zudem bleibt der Begriff Faschismus, wie ihn Kagan verwendet, bemerkenswert schwammig und unscharf. Möglicherweise verwendet er ihn einfach wegen des grossen Schockpotenzials. Auch wenn Trump mit Elementen rechtsextremer Ideologie spielt (Rassismus, Hetze gegen Minderheiten aller Art, gegen Intellektuelle, Journalisten, Autoren, Künstler) reicht das noch nicht, ihn als Faschisten zu bezeichnen. Roger Griffin, einer der weltweit bekanntesten Faschismus-Forscher, sagte jüngst: «Selbst ein absolut xenophober, rassistischer, männlicher, chauvinistischer Dreckskerl muss nicht zwingend ein Faschist sein». Der Faschismus ist fundamental anti-individualistisch. Trump dagegen ist ein geradezu idealtypischer Individualist. Er möchte den Staat wenn nicht gerade abschaffen, so doch maximal zurückdrängen. Der Faschismus dagegen strebt den totalen Ein-Partei-Staat an.
Intellektuelle Anstrengung umschifft
Donald Trump ist für die liberale Demokratie und den amerikanischen Verfassungsstaat in der Tat eine existenzielle Bedrohung. Nur: Diese Gefahr mit dem Etikett «Faschismus» zu versehen, führt in die Irre. Dies auch deshalb, weil der Rückgriff auf den historisch belasteten Terminus die intellektuelle Anstrengung umschifft, neue, noch wenig bekannte illiberale, autokratische Herrschaftsformen der Zukunft zu analysieren und zu erkennen. Einige europäische Staaten sind in dieser Beziehung den USA bereits um eine Nasenlänge voraus. Nur sind zumindest die globalen Gefahren etwas geringer, wenn Länder wie Ungarn und Polen demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien über Bord werfen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Diese Analyse jenseits von mit Schlagworten unterfütterter Panik beeindruckt. Wichtiger als das Bekenntnis gegen Trump ist der Blick auf Hintergründe. Dabei betraf die bisher grösste westeuropäische Panik bei einer US-Präsidentschaftskandidatur 1964 Barry Goldwater, der damals von der jungen Hillary Rodham unterstützt wurde. Man befürchtete den 3. Weltkrieg, weil Goldwater, ein Abkömmling osteuropäischer Juden, offensiv den Sieg im Kalten Krieg forderte, die «Befreiung Armeniens» und dergleichen. Ich habe damals zwei Bücher von Goldwater gelesen, dem man im Nachgang als Vorgänger Reagans für einen amerikanischen Präsidentschaftskandidaten eine überdurchschnittliche analytische Fähigkeit zusprechen kann, wiewohl sein Drohen mit der Atomwaffe eine unheimliche und im Sinne von Kubricks Dr. Strangelove unverantwortliche Seite hatte. Im Vergleich zu Bush, Palin und Trump war Goldwater ein Staatsmann, zudem ohne Nixons Gaunerkoeffizienten. Insofern war die Panik der Linken, Goldwater betreffend, wohl unverhältnismässig. Was Trump betrifft, wird sich die Gefahr, die von ihm ausgeht, wohl unterhalb derjenigen der Bushs bewegen. Sollte er sich isolationistisch verhalten, könnte es für die Welt sogar eine Wohltat sein. Was er verbal absondert, macht einen grossen Unterschied etwa zu Hitler aus, ist weniger ideologisch als vielmehr populistisch-schwafelnd in den Wahlkampf hineingesprochen, ohne die geringste Gewähr oder gar eine politische Vision, also auch kaum «faschistisch».
Anti-Trump ist zu wenig, schreibt heute, am 9. Juni, die Franfurter Allgemeine Zeitung.