Gilad Erdan

Israels Botschafter Gilad Erdan schreddert vor der UN-Vollversammlung eine UNO-Charta. © uno

Die vulgäre und würdelose Rede des israelischen UN-Botschafters

Jeffrey Sachs /  Mit seiner Rede vor der UN-Vollversammlung hat Israels UN-Botschafter Gilad Erdan den Palästinensern in die Hände gespielt.

Red. Gastautor Professor Jeffrey Sachs ist Direktor des Zentrums für nachhaltige Entwicklung an der Columbia University in New York.


Die UN-Vollversammlung hatte dem UN-Sicherheitsrat am 10. Mai mit 143 zu 9 Stimmen beantragt, Palästina als Vollmitglied aufzunehmen (die restlichen Mitglieder stimmten nicht ab oder enthielten sich). Während der Debatte vor der Abstimmung provozierte Israels UN-Botschafter Gilad Erdan die Versammlung mit einer undiplomatischen, beleidigenden und vulgären Rede:


Die Rede machte deutlich, wie seine Partei, der Likud, den Krieg sieht. Der Likud ist die grösste rechtsstehende, nationalkonservative Partei in Israel. Unter Benjamin Netanjahus Führung bildet sie mit einer Reihe noch weiter rechtsstehender Parteien die Regierung Israels. 


Die absurden und beleidigenden Falschbehauptungen des Gilad Erdan

Israels Chefdiplomat bei der UNO in New York behauptete zusammengefasst, dass Palästina mit der Hamas gleichzusetzen sei und die Hamas wiederum mit Hitlers Nazi-Reich. Erdan warf den UN-Delegierten vor, sie würden einen Staat Palästina nur deshalb unterstützen, weil «so viele von Ihnen Judenhasser sind».

Dann nahm er an seinem Rednerpult einen elektrischen Papierschredder hervor und schredderte eine UN-Charta. Die Charta sei das Papier nicht mehr wert, erklärte Erdan, wenn die Versammlung für die UN-Mitgliedschaft Palästinas stimme. 

Erdans Tirade war voll von Hass und Falschbehauptungen. Am selben Tag, an dem er seine Rede hielt und die UN-Abstimmung stattfand, schickte Israel seine Streitkräfte für ein weiteres Gemetzel an unschuldige Zivilisten nach Rafah. Das Israelisches Militär dagegen sieht sich als «moralischste Armee der Welt»


Sich bei seinen Anhängern in Szene gesetzt

Eine Zweistaatenlösung wird nicht in einem diplomatischen Vakuum entstehen. Gemäss der arabischen Friedensinitiative von 2002, die von den islamischen Ländern im vergangenen November in Riad erneuert wurde, haben sich die islamischen Länder verpflichtet, als Teil der Zweistaatenlösung den Frieden und die Normalisierung der Beziehungen zu Israel zu unterstützen.

Es stellt sich die Frage, warum Erdan eine Rede hielt, die so extrem war, dass sie nur dazu dienen konnte, die bestehende weltweite Zustimmung für Palästina zu verstärken, statt sie zu verringern. Er tat eben das, was Politiker im Zeitalter der Social Media tun: Sich vor seinen 157’000 Anhängern auf X und vor den Anhängern seiner rechtsgerichteten Likud-Partei in Szene setzen.

Entgegen Erdans Diffamierung sind die Regierungen der UN-Generalversammlung keine Judenhasser. Vielmehr verabscheuen sie das Blutbad, das die israelische Regierung im Gazastreifen anrichtet. Vor dem Internationalen Gerichtshof ist Israel deswegen sogar wegen Völkermordes angeklagt.

Erdan ist eine erfahrene politische Persönlichkeit, gut ausgebildet und geschult. Er hatte seine sorgfältig vorbereitete Rede, zu deren Requisiten ein Plakat und der erwähnte Schredder gehörten, voll im Griff. Mein anfänglicher Irrtum war zu denken, er spräche zu den UN-Botschaftern und den Zuschauern, welche die Debatte verfolgten.

Doch Politiker sprechen nicht mehr mit der breiten Öffentlichkeit. Das war früher zur Zeit des Radios so, jedoch nicht mehr im Zeitalter der Social Media. Politiker kommunizieren meistens mit ihrer eigenen Anhängerschaft und Beinahe-Anhängern. 


Die Existenz der Hamas verhinderte eine Zweistaatenlösung

Erdan und seine Likud-Partei hatten gegen die Palästinenser gekämpft, schon bevor die Hamas die Politik in Gaza dominiert. Sogar schon bevor die Hamas existierte. Erdan ist seit seiner Jugend in einer Partei, die sich immer strikt gegen einen palästinensischen Staat und die Zwei-Staaten-Lösung ausgesprochen hat. 

Der Likud behandelt die Hamas seit langem als politische Waffe, um die Palästinenser zu spalten und so die internationalen Forderungen nach einer Zwei-Staaten-Lösung abzuwehren. Selbst israelische Medien berichteten darüber, wie Likud-Führer mit dem Segen der israelischen Regierungen über Jahre hinweg mit arabischen Staaten zusammenarbeiteten, um die Hamas weiterhin zu finanzieren. Die Hamas sollte für die palästinensische Autonomiebehörde eine ständige Herausforderung sein. Und mit Terroristen braucht Israel über einen Zweistaatenlösung nicht zu verhandeln.


Die USA als ewige Schutzmacht Israels

Wie sieht die Strategie des Likud aus, wenn Israel sich zunehmend vom Rest der Welt isoliert? Auch hier hilft ein Blick auf Erdans politische Vergangenheit.

Gilad Erdan war einer der klügsten und erfolgreichsten Politiker Israels beim Aufbau der Likud-Allianz. Seine Anhänger sind überzeugt, dass die USA immer helfen werden, durch dick und dünn. Denn die jüdische und christlich-evangelikale Israel-Lobby und der militärisch-industrielle Komplex der USA werden immer da sein. 

Diese Wette des Likud funktionierte in der Vergangenheit immer. Warum sollte sie also heute und in der Zukunft nicht funktionieren? Die Strategie des Likud verlässt sich in Bezug auf Israels Sicherheit ganz auf die USA als Veto-Macht in einer Weltgemeinschaft, die – zunehmend geeint – entsetzt ist über Israels Brutalität.


Der Likud könnte bald an die Grenzen seiner Arroganz stossen

Dem Likud ist es gleichgültig, wenn die Gewalt im Gaza Joe Biden im Herbst die Stimmen seiner jungen Anhänger und damit auch seine Wahl kosten würde. Denn falls Trump im November gewählt, umso besser für den Likud.

Erdan richtete sich mit seiner Rede an den Likud. Doch der Likud und seine extremistischen und unbarmherzigen Koalitionspartner werden wahrscheinlich bald an die Grenzen ihrer Arroganz, Gewalt und Grausamkeit stossen. Kurz nach der Abstimmung bei der UN-Vollversammlung anerkannten die europäischen Länder Spanien, Irland und Norwegen Palästina als Staat und unterstützen dessen Mitgliedschaft in der UNO. 

Jeffrey Sachs

Professor Jeffrey Sachs ist Direktor des Zentrums für nachhaltige Entwicklung an der Columbia University in New York. Er war Berater von drei Uno-Generalsekretären und amtet derzeit als SDG-Berater unter Generalsekretär Antonio Guterres. Sachs veröffentlichte etliche, viel beachtete, Bücher, die auf seiner Webseite zu finden sind.

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Übersetzt und bearbeitet von Georg R. Rettenbacher.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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4 Meinungen

  • am 6.06.2024 um 10:59 Uhr
    Permalink

    Wieder mal eine verpasste Chance

    Die Schweiz ist für eine Zweistaatenlösung in Nahost, wird überall betont. Aber wenn es konkret um die Anerkennung dieser Staaten geht, gilt diese nur für Israel. Ist dieses einseitige Vorgehen überhaupt vereinbar mit unserer Neutralität?
    Mehr als 140 Staaten haben den Schritt der Anerkennung Palästinas bereits getan. Damit nehmen sie Palästina aber auch in die Pflicht, für ein geordnetes Staatswesen zu sorgen.
    Palästina besteht nicht nur aus der Hamas, wie man den von Bundesrat Cassis angegebenen Gründen für die Ablehnung im Bundesrat entnehmen könnte. Jetzt müssen die einigenden Kräfte in beiden Ländern unterstützt werden, auch vom Ausland aus. Und das geht halt nur, wenn beide, Palästina und Israel, als souveräne Staaten gleichberechtigt behandelt werden.
    Oder will die Schweiz ihre «guten Dienste» erst anbieten, wenn Israel schon alles selber geregelt hat und das palästinensische Volk ermordet oder vertrieben ist?

    Werner Surbeck

    5415 Nussbaumen

  • am 6.06.2024 um 11:32 Uhr
    Permalink

    Jeffrey Sachs wurde von Antonio Guterres höchstpersönlich als SDG-Berater ernannt, vorher diente er drei Uno-Generalsekretären als Berater.

    Sachs ist Direktor des Zentrums für nachhaltige Entwicklung an der Columbia University in New York, wo die bisher gewaltsamsten antiisraelischen/antijüdischen Studenten-Demonstrationen stattfanden.

    Aber der Infosperber behauptet trotzdem, es bestünde keinerlei themenbezogene Interessenbindung.

  • am 6.06.2024 um 14:03 Uhr
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    Der Typ ist mir schon vor seiner Rede unangenehm aufgefallen, er hörte den anderen Rednern offenbar nicht zu und spielte gelangweilt mit seinem Mobiltelefon.
    Zitat : «it makes me sick»..he is sick».

  • am 8.06.2024 um 21:56 Uhr
    Permalink

    Sollte der Likud je an die Grenzen seiner Arroganz stossen, so wird seine Schutzmacht USA noch lange nicht an diese Grenzen stossen. Diese können in der Welt tun und lassen, was sie wollen, denn sie haben die unipolare Macht – schon allzu lange.

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