«Die verdammten Atomwaffen»
Ende Dezember 2011 kam Kim Jong-un in Nordkorea an die Macht. Der heute 33 Jahre alte Enkel des «Ewigen Präsidenten» und Staatengründers Kim Il-sung und jüngste Sohn des «Ewigen Führers» Kim Jong-il ist inzwischen zum «Grossen Führer» gereift.
Nach fünf Jahren hat Kim Jong-un seine Macht offensichtlich konsolidiert. Dabei ist er in den letzten Jahren rücksichtslos und ohne Skrupel vorgegangen. Es gab Säuberungen sowohl im Partei- und Regierungsapparat als auch in der Armeespitze. Der spektakulärste Coup war wohl die Verhaftung, die öffentliche Blossstellung und schliesslich die Hinrichtung von Jang Song-thaek. Jang war als Mentor des Jungspunds Kim nicht nur die Nummer Zwei Nordkoreas, sondern als Onkel auch ein enger Verwandter und Ehemann der Schwester von Kim Jong-il. Jang wurde in einem am Fernsehen verbreiteten Verhör Geldverschwendung, Hochverrat, Bestechlichkeit, Spielsucht und Drogenmissbrauch vorgeworfen.
Atomare Provokation
Kim Jong-un und seine vermutlich im Hintergrund agierenden – militärischen? – Berater bauten in den vergangenen fünf Jahren vor allem das Atomprogramm aus. Drei der insgesamt fünf unterirdischen Atomversuche seit 2006 wurden unter der Ägide des jungen Kim durchgeführt, zwei allein 2016. Hinzu kamen unzählige Tests mit Lang- und Mittelstreckenraketen. Dafür wurde Nordkorea von den Vereinten Nationen mit immer schärferen Sanktionen belegt, mit dem Einverständnis notabene von China, dem letzten Verbündeten Nordkoreas und Hauptlieferanten von Erdöl, Elektrizität und vor allem Nahrungsmitteln. Über wie viele Atom-Sprengköpfe Nordkorea heute tatsächlich verfügt, darüber gehen die Meinungen chinesischer und internationaler Experten auseinander. Die Schätzungen reichen von fünf bis zwanzig. Allerdings, so dieselben Experten, ist Nordkorea noch weit entfernt davon, diese Sprengköpfe auch auf Mittel- und Langstreckenraketen montieren zu können. Dennoch droht der «Junge General» Kim Jong-un mit dem in Nordkorea üblich schrill-grotesken Propaganda-Sprech, «Soeul und Washington auf koreanische Weise durch einen präventiven Nuklearschlag in einen Aschenhaufen zu verwandeln».
Überlebensversicherung
Jedenfalls hat sich Nordkorea bereits 2012 als «Atommacht» deklariert und das auch in der Verfassung niedergelegt. Das Ziel des Atomprogramms und der fortgesetzten Präventivschlag-Provokationen ist klar Abschreckung. Für den jungen Kim sind vor allem die Erfahrung des einstigen lybischen Herrschers Gaddafi und des irakischen Diktators Sadam Hussein abschreckende Beispiele. Hätten sie Atombomben gehabt, so die nordkoreanische Überlegung, hätten sie niemals die Macht verloren. Das Atomprogramm dient Kim Jong-un folglich als Lebensversicherung, die das Überleben der Kim-Dynastie und der schmalen nordkoreanischen Elite sichert. Das Nuklearprogramm dient allerdings auch innenpolitischen Zwecken. Als Atommacht profiliert wirkt Nordkorea auf seine 24 Millionen Menschen unüberwindlich und der «Grosse Führer» Kim als gross und stark.
Abschreckung statt Verhandlungen
Gleichzeitig mit dem Atomprogramm hat Kim in den letzten fünf Jahren auch von einer bewährten Politik seines Grossvaters und Vaters Abschied genommen. Noch unter Kim Il-sung und danach Kim Jong-un wurde stets verhandelt. Es wurden Zugeständnisse gemacht und grossmundige Versprechen abgegeben. Gehalten wurde wenig bis nichts, dennoch aber erhielt Nordkorea von den USA, Japan, Südkorea und China als Gegenleistung grosszügig Hilfe. Kim Jong-un hingegen verhandelt nicht mehr. Die Pekinger 6er-Gespräche – Nord- und Südkorea, China, USA, Japan und Russland – sind wohl endgültig auf Eis gelegt. Der junge Kim verlässt sich allein auf Abschreckung.
Trump als «weiser Politiker»
Die von der UNO verhängten Sanktionen haben bislang wenig bewirkt. Der Status Quo, so macht es den Anschein, ist für alle Beteiligten derzeit wohl die beste Lösung. China befürchtet bei einer Implosion Nordkoreas einerseits riesige Flüchtlingsströme, andererseits aber auch den Verlust eines Puffers zwischen Korea und der amerikanischen Armee. Amerika wiederum hat derzeit keine Alternative, denn ein militärisches Eingreifen zur Verhinderung einer nordkoreanischen Atombewaffnung ist unvorstellbar. Präsident Obama jedenfalls hat acht Jahre lang die bereits unter Vorgänger Bush gescheiterte Nordkorea-Politik in den Grundzügen fortgesetzt. Wird sich das unter Präsident Trump ändern? Noch während des Wahlkampfes fand die nordkoreanische Propaganda lobende Worte. Trump wurde als «weiser Politiker» und «vorausschauender Präsidentschaftskandidat» apostrophiert. Trump seinerseits zwitscherte damals locker, dass er gerne mit Kim Junior Hamburger essen gehen würde. Allerdings schätzte er die Erfolgschancen nur auf zehn bis zwanzig Prozent ein. Trump twitterte aufgeregt: «Die verdammten Atombomben» und «die Atomwaffen müssen weg».
Am Tropf der internationalen Hilfe
Die neue Atomstrategie lässt der junge «Grosse Führer» sein Volk etwas kosten. Am Parteitag im Mai – dem ersten seit 36 Jahren – liess er sich feiern und legte in der Byongjin-Politik sein wirtschaftliches Glaubensbekenntnis ab: militärische Aufrüstung und wirtschaftlicher Fortschritt. Real allerdings ist von wirtschaftlichem Fortschritt wenig, von militärischer Aufrüstung aber umso mehr festzustellen. Wie bei der grossen Hungersnot vor zwanzig Jahren sprachen zu Beginn des Partei-Powwows die Staatsmedien von einem «beschwerlichen Marsch». Trotz der von Grossvater Kim Il-sung 1977 eingeführten Juche-Ideologie der Autarkie kann sich Nordkorea kaum über Wasser halten. Jährlich bräuchte Nordkorea 5,5 Millionen Tonnen Getreide, kann aber nur vier Millionen produzieren. Jedes Jahr kommt es zu Nahrungsmittel-Engpässen. Mangel- und Unterernährung sind weitverbreitet, ebenso fehlen Medikamente. Nach einem Bericht der UNO ist über die Hälfte der 24 Millionen Nordkoreanerinnen und Nordkoreaner unterversorgt. Die Elektrizitätsversorgung ist extrem mangelhaft. Nordkorea hängt am Tropf der internationalen Hilfe. China ist der grösste Lieferant von Lebensmitteln und Energie.
«Meister des Geldes»
Allerdings haben sich trotz diesem dunklen Bild in den letzten Jahren einige positive Aspekte entwickelt. Das ist freilich nicht das Verdienst des einst auch in Bern für zwei Jahre eingeschulten Kim Jong-un. Offiziell gilt – nach einigen marktwirtschaftlichen Experimenten kurz nach der Jahrtausend-Wende – wieder die staatliche Planwirtschaft. Doch in den letzten Jahren haben sich inoffizielle, illegale Märkte fast explosionsartig verbreitet. Nur deshalb ist die Versorgung, ja die ganze Wirtschaft nicht kollabiert. Ohne allzu grosse Spekulation darf angenommen werden, dass Kim diese Märkte stillschweigend duldet, um den Zusammenbruch Nordkoreas nicht zu provozieren. So ist eine neue «Mittelklasse» entstanden, auf Koreanisch «Donju», was so viel heisst wie die «Meister des Geldes». Sie verdienen sich eine goldene Nase in der inoffiziellen Wirtschaft, inklusive gross angelegtem Schmuggel über die chinesisch-nordkoreanische Grenze. Ohne Mithilfe der Armee und der Elite geht das selbstverständlich nicht. Korruption ist weit verbreitet. Mit Geld, so ein gut unterrichteter südkoreanischer Beobachter, ist heute in Nordkorea alles möglich.
Mobilfunk und Intranet
Es gibt auch andere Zeichen einer sachten Öffnung, wiederum ohne den Segen von Partei und Regierung. Noch unter dem Vater des jungen Kim wurde von Ägyptens Orascom Telekom (Sawiri) mit Koryolink ein Netz für mobile Telephone aufgebaut. Waren zum Machtantritt von Kim Junior nur wenige Zehntausend aufgeschaltet, besitzen heute 3,5 Millionen Nordkoreanerinnen und Nordkoreaner ein Handy. Damit können sie allerdings nur innerhalb des Landes kommunizieren. Immerhin. In Südkorea kommen auf 25 Millionen Einwohner rund 30 Millionen mobile Telephone. Dort nutzen praktisch alle das Internet. In Nordkorea sind es weniger. Immerhin hat seit Amtsantritt von Kim Jong-un die Zahl der Nutzer auf dem landeseigenen Intranet markant zugenommen. Allerdings können auch auf dem Intranet nur Nordkoreanische Websites besucht werden. Der Zugang zum weltweiten Internet ist nur einigen wenigen Tausend Mitgliedern der Elite gestattet. Abschottung zur globalisierten, digitalisierten Welt wird nach wie vor mit aller Härte durchgesetzt.
Rational, nicht verrückt
Nach fünf Jahren Kim Jong-un ist Nordkorea so undurchsichtig wie zuvor. Niemand ausserhalb von Nordkorea weiss, was wirklich vor sich geht. Auch die Experten nicht. Nach glaubwürdigen Untersuchungen der UNO werden Menschenrechte nach wie vor krass verletzt. Es soll noch immer Konzentrations- und Arbeitslager bis mit zu 200’000 vorab politischen Gefangenen geben. Andrerseits ist Nordkorea heute etwas offener als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Mit andern Worten, Kim Junior kann heute nicht mehr wie sein Vater oder Grossvater den Nordkoreanerinnen und Nordkoreanern weismachen, dass Südkorea in tiefer Armut lebt. Der junge Kim hat, wenn nicht alles täuscht, alles mehr oder weniger im Griff. Und dies vor allem: Kim Jong-un ist nicht, wie oft im Ausland dargestellt, ein Verrückter, ein Spinner. Vielmehr ist er, wie schon sein Vater und Grossvater, ein rationaler, hart und genau kalkulierender Politiker. Ein nordkoreanischer Machiavelli sozusagen. Nach allem, was man weiss, soll er – mit oder ohne Hilfe der Armee – so fest im Sattel sitzen wie einst Kim Il-sung und Kim Jong-il.
Ob das noch lange so bleiben wird? Niemand weiss es.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.
Solche Artikel lassen mich an der Seriosität des Infosperbers zweifeln. Ein Artikel, der neben einer kritischen Sicht stereotype Propaganda elegant einwebt. So schreibt Peter Achten zu Nord Korea:
Es wurden Zugeständnisse gemacht [von Seiten Nord Korea] und grossmundige Versprechen abgegeben. Gehalten wurde wenig bis nichts, dennoch aber erhielt Nordkorea von den USA, Japan, Südkorea und China als Gegenleistung grosszügig Hilfe.[1]
Gemäss Noam Chomsky verhält es sich gerade umgekehrt. Mehrfach haben die USA ihre Zugeständnisse nicht eingehalten [5]:
In 2005, there was a very sensible deal between the U.S. and North Korea. This deal would have settled North Korea’s so-called nuclear threat, but was subsequently undermined by George W. Bush, who attacked North Korean banks in Macau and blocked the North’s access to outside the world.[2]
Es war nicht Nord Korea, das bösartig die Abmachungen nicht einhielt, sondern die USA, entweder zu töricht waren, ein Scheitern in Kauf nahmen oder gar absichtlich das Scheitern anvisierten[3]. Doch Achten zeichnet hier das Bild des gütigen Uncle Sam und des Schurkenstaaten …
Weiter schreibt Achten:
weiterlesen hier: https://senfundpfeffer.wordpress.com/2017/01/04/peter-achten-zu-nord-korea/
Ohne Kim jetzt irgendwie verteidigen zu wollen: Nordkoreas Wirtschaft ist ja nicht wirklich «unvergleichlich» schlecht. Auch viele Länder, die sich klar zur westlichen Wertegemeinschaft bekennen, haben ähnliche Probleme, ihre Bevölkerung mit Nahrung aus eigener Produktion zu ernähren. Zum Beispiel auch die Schweiz ist auf Nahrungsmittelimporte angewiesen. Wie würde es uns gehen, wenn Handelssanktionen uns den Handel mit dem Ausland stark erschweren oder gar verunmöglichen würden? Von ärmeren Ländern der westlichen Sphäre ganz zu schweigen. Wie würde Griechenland ohne Hilfe und mit blockiertem Handel aussehen?
Der Teufelskreis ist: Der Westen verlangt atomaren Abbau und «demokratische Fortschritte», bevor mehr Zugeständnisse möglich sind, und der Diktator fürchtet, wohl nicht ganz zu Unrecht, dass die westliche Wertegemeinschaft ihn mit einer ihrer Demokratisierungsbombardierungen wegputschen wird, sobald er kein glaubwürdiges Drohpotential mehr hat.
Gegenseitiges Vorwürfe sind da wohl kein geeignetes Mittel zur Entspannung.