Die Stille über den Wolken
Der Flug von Peking nach New York ist ziemlich lang. Um die halbe Welt herum und quer durch 12 Zeitzonen und – schwupps! – über die Datumsgrenze. Vor zweihundert Jahren hätte man dafür Monate, vor hundert Jahren noch Wochen gebraucht. Jetzt fliegt es sich blitzschnell in knapp 16 Stunden direkt von der Hauptstadt des Reichs der Mitte in die Metropole des Reichs der Finanzen. Der Flug Peking-New York ist für mich eine ziemlich adäquate Metapher für die Beschleunigung in allen Bereichen.
Abgeschirmt von der Kommunikation
Und doch: lange Stunden ist man vom Cyberspace abgeschnitten. Auch kein Handy-Geklingel. Kein WiFi und folglich Ruhe vor der E-Mail-Flut. Endlich wieder stundenlang Musse für die Lektüre eines richtigen, langen Buches. Wenn es denn sein muss halt mit einer Konzession ans digitale Zeitalter, will sagen mit einem e-Book. Doch mit der, wenn auch nur kurzen Ruhepause wird es bald vorbei sein. Bereits soll Internet in der Luft bei einigen Fluggesellschaften zur Grundausstattung gehören. Und wenn nicht alles täuscht, wird die temporäre Bedächtigkeit hoch über den Wolken sehr bald der Vergangenheit angehören.
Reinhard Mey sang vor knapp vierzig Jahren: «Über den Wolken muß die Freiheit wohl grenzenlos sein. Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man, blieben darunter verborgen und dann würde, was uns groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein». Wenn man auch hoch über den Wolken auf dem Internet herumturnen kann, sind die Zeiten, die der deutsche Troubadour Mey so poetisch beschworen hat, endgültig vorbei.
Das Piepsen nach dem Touch down
Die Landung in New York, tief unter den Wolken: butterweich. Weniger sanft die Landung der neunmalklugen Smartphones. Denn Smart Phones sind nicht mehr wie vor noch zwei, drei Jahren «nice to have», sondern zu «must have» mutiert. So piepste, klingelte und quietschte es denn nach dem Touch down, dass es seine Art hatte. Vom kravattierten Businessman bis zum T-Shirt-Jeans gewandeten Teenager, von den Alten – exgüsi Senioren – bis zu Kindern im Vorschulalter hatten alle ihre Geräte am Ohr, hackten mit ein oder zwei Daumen hektisch SMS in den weiten Cyberspace oder waren bereits am Gamen. Auch ich bearbeitete natürlich mein smartes Handtelephon, säuberte die E-Mail-Boxen von der stündlichen Trash-Flut, verschickte SMS, unterbrochen erst vom streng blickenden und keine Widerrede duldenden Immigration Officer. Yes Sir!
Da reifte der Entschluss. Nach Jahren der Abhängigkeit zurück nicht gerade zur Natur, aber immerhin zur Einfachheit. Das allerdings ist leichter gesagt als getan. Ich erkläre dem Verkäufer, was ich will, der aber hört gar nicht richtig hin und bombardiert mich freundlich mit smarten Lumias, Galaxys, Ascebs, Xperia oder Apfel-Produkten, schlägt mir Vor- und Nachteile von Android, Windows und iOS sozusagen um die Ohren, lobt Hersteller vor allem aus Südkorea, China, Finnland und Amerika über den grünen Klee und unterstreicht die Alltags-Nützlichkeit von den in die gescheiten Phones verpackten Megapixel-Kameras, Radios, Music-Players und dergleichen. Alles, wo kämen wir sonst hin, selbstredend mit WiFi und Full Touchscreen. Dazu, wen wundert es, laut Verkäufer alles fast gratis oder zumindest extrem günstig.
Einfach nur ein Telefon?
Nichts als ein mobiles Telephon sollte es sein. Schlicht und einfach. Der freundliche Verkäufer zögert, aber dann fällt wohl endlich der Groschen. Natürlich, sagt er, ein ganz einfaches Telephon: «Also hier hätten wir eines, allerdings mit Radio». Dann greift er, schon fast salbungsvoll und leicht mitleidig lächelnd, zum finalen Verkaufsargument: «Ja natürlich, jetzt verstehe ich Sie. Sie wollen ein Senioren-Handy. No problem!». Senior hin, Alter her, als wohl schon schwer Cyberspace-Abhängiger blieb es halt schliesslich doch beim Apfel 5. Wohl oder übel.
Trotzdem: Allen Digital Natives und dem smarten Senioren-Handy-Verkäufer sei von einem digital erfahrenen Senior eines geraten: etwas Mut zur Lücke, zur Entschleunigung, Trägheit, Langsamkeit und Bedächtigkeit schadet keineswegs der Gesundheit. Und dem Denken schon gar nicht. Im Gegenteil. Gewiss nichts schaden kann vielleicht auch wieder einmal die vom Smart Phone ungestörte Lektüre eines Buches. Empfehlung: «Lob der Torheit» von Erasmus von Rotterdam. Er hat vor rund fünfhundert Jahren zu einer andern Zeitenwende ein grundlegendes Buch geschrieben, das bis auf den heutigen Tag seine Gültigkeit behalten hat. Das Buch erschien 1515 in Basel, dem Wirkungsort des holländischen Humanisten Erasmus, in der berühmten Druckerei von Johannes Froben mit Illustrationen von Hans Holbein dem Jüngeren. Das ironische Lob auf die Narrheit ist im Original natürlich auf Lateinisch erschienen. Aber keine Angst, für den des Lateinischen wohl unkundigen digitalen Eingeborenen sind auf e-Books wohlfeile bis kostenlose Übersetzungen auf Standarddeutsch erhältlich.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
ich finde diesen Artikel sehr sympathisch, fühle mich bestätigt, bin halt von gestern oder vorgestern.
Bin auch einer von diesen Gestrigen – ein altes Mobil-Tel für Notfälle im Rucksack/Tasche verstaut – ausgeschaltet selbstverständlich. Kein «Feissbuk", kein Gezwitscher (ausser von den Vögeln im Garten), aber ein Festnetz-Telefon mit Beantworter, und zeitnahe eMail-Beantwortung.
Bloss greife ich leider auch noch zu häufig zu den Gratisblättern, die einen mit unnötigem Klatsch zumüllen …
Lieber 8en – nimm das älteste Blackberry, das Du irgendwo noch auftreiben kannst: da kommen nur Deine 1500-Euro-Bettelbriefe – mit Verspätung! – durch…