Die Körpersprache, die sprachlos macht …
Die NZZ zeigte in ihrer Ausgabe vom 8.7.2017 das treffende Bild …
Angela Merkel begrüsst den früheren saudischen Finanzminister Ibrahim al-Assaf an der G20 (Bild aus der NZZ)
… und Paul Klee zeichnete dazu den passenden Kommentar:
«Zwei Männer, einander in höherer Stellung vermutend, begegnen sich.» Paul Klee, Radierung, 1903.
(Den kunsthistorisch interessanten Tipp verdanken wir der Infosperber-Leserin VT in Zürich.)
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Zweierlei glaube ich nicht: dass Angela Merkel und Ibrahim al-Assaf einander in höherer Stellung vermuten, und dass Paul Klee eine Ahnung davon gehabt hat, wie sich zwei Männer, die einander in höherer Stellung vermuten, begegnen; man schaue sich die Mimik der beiden gezeichneten Figuren an. Und den Titel «Die Körpersprache, die sprachlos macht …» verstehe ich schlicht nicht.
Ich vermute mal, links ist die Frau, mit Kopftuch und dunklem Kleid,
links ist der Finanzminister in roter Jacke, der der Dame links die Hand reicht und sie höflich zum Tanz auffordert.
Eindeutige Körpersprache aus alter Zeit, die die Ungleichheit der Geschlechter zeigt?
(Ironiemodus aus)
Das ist ein sehr schönes Beispiel dafür, das stehende Bilder nicht unbedingt das abbilden, was tatsächlich im bewegten Kontext zu sehen war, bzw. dass man Gefahr läuft sehr schnell die eigene Grundmeinung in ein Bild hineinzuinterpretieren: Jemand, der Frau Merkel als rückgratlose Politikerin hält, sieht sich in seiner Meinung mit diesem Bild genauso bestätigt, wie jemand der Sie als Person kennt, die auch mal einen lockeren Spruch fallen lässt (man könnte Ihr hier beliebig viele «Lustige» Sprüche in ihren Mund legen – sowie auch in seinen).
Sicherlich ist jedem schon aufgefallen, dass Körper- und Gesichtsmimik einer gefilmten Person eine ganz andere werden kann, sobald man den Film stoppt und sich das Standbild anschaut.
Schlussendlich will ich damit lediglich sagen, dass eine korrekte Interpretierung eines Bildes gar nicht möglich ist ohne den Vorspann – also den Hergang dieser Momentaufnahme – zu kennen.
@Uros Balsiger, danke für den Hinweis, dass Aufnahmen aus dem Zusammenhang gerissen oft beliebig interpretierbar sind.
Es trifft bereits darauf zu, dass wir statische Begriffe verwenden. Lebendige Situationen werden in ein Korsett gezwängt, das unseren Vorstellungen entspricht. Nur so ist es möglich, in Gegensätzen zu «denken», Ländergrenzen zu markieren, Schablonen wie links-rechts, konservativ-progressiv, Russland-freundlich – oder Kritik an der Besatzung und Menschenrechtspolitik Israels als antisemitisch abzustempeln.
Das Leben ist reicher an Erfahrungen. Marshall Rosenberg, der Begründer der Gewaltfreien Kommunikation, fragte, ob Sie einen Querulanten sehen? Ich sehe einen Menschen, der laut ruft, weil er sich ärgert, weil seine Bedürfnisse nach Gehörtwerden, nach Respekt und Mitbestimmung nicht beachtet werden. Doch ist er deswegen Querulant, Demonstrant, …?
Martin Buber schrieb: «Trotz aller Ähnlichkeit hat jede lebendige Situation, wie ein neugeborenes Kind, auch ein neues Gesicht, das es noch nie gegeben hat und das auch nie wiederkehren wird.“
Die Medien würden sich sehr verändern, wenn sie von der statischen und bewertenden Sprache wegkommen, denn Feindbilder werden durch statische Begriffe aufgebaut. Unsere Welt wäre eine andere: Die Kontaktschuld könnte nicht so schnell jemandem angedichtet werden, allein weil er anderen die Hand gibt.
Dass saudische Bomber mit NATO-Waffen im Yemen Felder verwüsten und Menschen hungern. Das ist traurig genug.
@ Andreas Bertram, ich vermute dieses Bild ist echt! Für Geld nimmt man gerne eine
devote Stellung ein, oder? Ein aussagekräftiges Bild der Raute. MfG
Werner Kämtner
Grüezi Herr Kämtner
Niemand behauptet, das Bild wäre gefälscht ;-). Sie sehen bei Frau Merkel eine devote Haltung. Ich sehe in ihrem halb bedeckten Gesicht –
und auch in ihrer Körpersprache – etwas, das sie zu belustigen scheint. Wer von uns hat nun recht? Mit letzter Sicherheit wissen das doch weder Sie noch ich, auch wenn jeder von uns davon überzeugt ist dass die eigene Sichtweise die richtige ist und keiner von uns versteht, wie der andere trotz offensichtlichen Zeichen ernsthaft auf eine andere Interpretation des Bildes kommen kann.
Trotz subjektiv empfundener Eindeutigkeit scheint das Bild mehrdeutig zu sein. Interessant nicht?
Noch viel spannender finde ich aber folgendes: Über wen erfahren nun die Leser unserer beiden publizierten Meinungen mehr? Über Frau Merkel, oder über sie und mich?