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Trump-Anhänger vor dem Washingtoner Capitol am 6. Januar 2021. © cc-by-nc-sa-4 TapTheForwardAssist

Die Hearings zum 6. Januar zeigen auch, was richtig lief

Jennifer Selin /  Die US-Demokratie funktioniert trotz aller Schwächen dank der Menschen, die für sie arbeiten, schreibt eine Wissenschaftlerin.

psi. Dies ist ein Gastbeitrag von Jennifer Selin, Co-Direktorin des Levin Center for Oversight and Democracy an der Wayne State University in Washington D.C. Der Beitrag erschien zuerst am 17. Juni 2022 bei The Conversation.

Nach der Hälfte der Anhörungen des January 6th-Komitees sind neue Details ans Licht gekommen, die die Ereignisse des Angriffs auf das Washingtoner Capitol am 6. Januar 2021 erklären und sie in den Kontext einer grösseren Anstrengung zur Anfechtung der Präsidentschaftswahlen 2020 stellen.

In der ersten Anhörung gab die stellvertretende Ausschussvorsitzende Liz Cheney einen Überblick über die Argumentation des Ausschusses, dass Präsident Donald Trump eine Straftat begangen hat, als er einen weit verbreiteten Wählerbetrug behauptete und seine Anhänger ermutigte, die Wahl 2020 anzufechten. Die zweite Anhörung zeigte, dass Trump wiederholt von seinen eigenen Beratern darauf hingewiesen wurde, dass seine Behauptungen falsch seien. Die dritte Anhörung nutzte der Ausschuss, um sich auf einen illegalen und verfassungswidrigen Plan zu konzentrieren, mit dem die Bestätigung von Joe Biden als Präsident verhindert werden sollte.

Die im Rahmen der Anhörung vorgelegten Beweise – darunter auch Aufnahmen von Überwachungskameras, die zeigen, wie ein Mob Polizeibeamte im Capitol angreift – haben im ganzen Land und in der ganzen Welt zu Diskussionen über das demokratische Regierungssystem der USA geführt.

Während sich die Berichterstattung in der Regel auf all das konzentriert, was beim Übergang der Macht des Präsidenten schief gelaufen ist, haben die Anhörungen auch gezeigt, was alles richtig gelaufen ist. Nämlich das weit verbreitete und tiefgreifende Engagement für die Rechtsstaatlichkeit durch eine Reihe von Bürgern und Beamten, vom Vizepräsidenten über Mitarbeiter der Trump-Regierung bis hin zu externen Beratern.

Engagierte Staatsdiener

Verständlicherweise konzentrierte sich ein Grossteil der Aufmerksamkeit auf die Handlungen von Präsident Trump im Vorfeld des 6. Januar. Andere Medien haben sich auf die ParlamentarierInnen konzentriert, die dem Ausschuss angehören.

Als Wissenschaftlerin im Bereich der Kongressaufsicht bin ich jedoch der Meinung, dass zu den wahren Stars der drei Anhörungen die talentierten – und weitgehend unerkannten – Teams von Mitarbeitern gehören, die an der Beschaffung der in den Anhörungen vorgelegten Beweise gearbeitet haben. Diese oft unterbezahlten Mitarbeiter engagieren sich dafür, dass die Regierung funktioniert.

Und dieses Engagement hat auf Menschen in allen drei Zweigen der Regierung hingewiesen, die sich in ähnlicher Weise für die Aufrechterhaltung der Verfassung und der Rechtsstaatlichkeit einsetzen.

Bei der zweiten Anhörung wurde deutlich, dass Wahlkampfmitarbeiter, Beamte des Justizministeriums und sogar von Präsident Trump ernannte Politiker versuchten, ihn davon abzuhalten, falsche Behauptungen über die Wahl 2020 aufzustellen.

Bei dieser Anhörung wurde auch deutlich, dass von den 62 Klagen, die gegen das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen eingereicht wurden, 61 gescheitert sind. Diese Entscheidungen wurden von Richtern getroffen, die sowohl von Demokraten als auch von Republikanern, einschliesslich Präsident Trump selbst, ernannt wurden.

Wie der Ausschussvorsitzende Bennie Thompson den Zeugen J. Michael Luttig, einer konservativen Ikone und Berater von Vizepräsident Mike Pence, und Greg Jacob, Rechtsberater von Pence, in der dritten Anhörung sagte, war ihm bewusst, dass «unser System beinahe gescheitert und unsere demokratische Grundlage zerstört wäre, wenn es nicht Leute wie Sie gegeben hätte.»

Weitverbreitete überparteiliche Zusammenarbeit

Ein Grossteil der öffentlichen Diskussion im Vorfeld der Anhörungen am 6. Januar drehte sich um die Weigerung Präsident Trumps und seiner Verbündeten, dem Ausschuss Informationen zur Verfügung zu stellen.

Doch das sind die Ausreisser. Der Ausschuss hat mehr als 1’000 Personen befragt und mehr als 125’000 Dokumente geprüft. Zu denjenigen, die den Informationsanfragen des Kongresses nachkamen, gehören Familienmitglieder des Präsidenten und Mitglieder aus dem inneren Kreis von Pence.

Anerkennung des rechtlichen Rahmens

In der Vergangenheit hat es viele umstrittene Wahlen und Skandale um das Präsidentenamt gegeben.

Thomas Jeffersons und Aaron Burrs berüchtigter Kampf um die Präsidentschaft im Jahr 1800 und das «korrupte Geschäft», das John Quincy Adams 1824 zum Präsidenten machte, veranschaulichen den Ärger und die Uneinigkeit, die Wahlen begleiten können. Und der Bestechungsskandal, in den Präsident Warren Harding verwickelt war, sowie die Verwicklung von Präsident Richard Nixon in die Watergate-Affäre verdeutlichen, was bei der Präsidentschaft politisch auf dem Spiel steht.

Als Reaktion darauf wurde der Übergang der Macht von einem Präsidenten zum nächsten durch gesetzlich vorgeschriebene Verfahren geregelt.

Einer der wichtigsten Bestandteile dieses Rechtsrahmens ist der Electoral Count Act. Das 1887 vom Kongress erlassene Gesetz legt genau fest, wie der Kongress die Präsidentschaftswahlen bestätigt.

Die Verabschiedung des Gesetzes war das Ergebnis eines Parteienstreits über den Sieger der Präsidentschaftswahlen von 1876 zwischen dem Republikaner Rutherford B. Hayes und dem Demokraten Samuel J. Tilden. Die Wahlmännerstimmen von vier Staaten waren umstritten, und der Kongress setzte schliesslich eine Kommission ein, um den nächsten Präsidenten zu bestimmen.

Es ist das einzige Mal in der Geschichte, dass eine ausserkonstitutionelle Regelung dazu führte, dass der Kongress über eine Präsidentschaftswahl entschied.

Die Anhörung am 16. Juni zeigte, dass es innerhalb der Trump-Administration Unstimmigkeiten über die Auslegung dieser Gesetze gab.

Dennoch akzeptierten fast alle das Gesetz selber. Selbst John Eastman, der Anwalt, der im Mittelpunkt von Trumps juristischer Strategie stand, anerkannte, dass der Plan, die Bestätigung der Wahl zu blockieren, vor Gericht keine Chance haben würde.

Gewählte Beamte zur Rechenschaft ziehen

Die Schöpfer der US-Verfassung rangen damit, die Macht des Präsidenten mit den Werten der Republik in Einklang zu bringen. Letztendlich waren sich die Verfasser einig, dass die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Demokratie darin bestehen, dass die Präsidenten persönlich für ihr Verhalten im Amt verantwortlich gemacht werden.

Mindestens 20 Millionen Menschen verfolgten die erste Nacht der Anhörungen, was in etwa den Einschaltquoten von Sunday Night Football oder der Macy’s Thanksgiving Day Parade entspricht. Noch viel mehr sahen Auszüge aus den Aussagen oder Erklärungen in den sozialen Medien.

Während die Randalierer am 6. Januar durch die Hallen des Parlaments schrien, um die Macht des Volkes zurückzuerobern, scheiterte ihr Aufstand. Stattdessen erinnern die Männer und Frauen, die dem Ausschuss für den 6. Januar dabei helfen, zu verstehen, was an diesem Tag geschah, die Amerikaner leise und eindringlich an die Grundwerte ihrer Republik. Die Vision der Schöpfer unserer Demokratie hallt heute noch nach.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Eine Meinung zu

  • am 23.06.2022 um 11:01 Uhr
    Permalink

    Ein Aufstand war das nicht, auch kein Sturm. Ein paar hundert Leute haben randaliert und die Sicherheitskräfte des mächtigsten Landes der Erde waren trotz mehrtägiger einschlägiger Ankündigung in den «sozialen» Medien nicht in der Lage, das Kapitol zu beschützen. Nie waren durch diese Ausschreitungen Demokratie oder Funktionsfähigkeit des us-amerikanischen Staates gefährdet. Die US-Demokratie ist ein großes Monopoly-Spiel, deren Repräsentanten kräftig die Hand aufhalten, egal ob sie Clinton, Trump oder Biden heißen. Nicht umsonst sind die meisten Politiker dort mehrfache Millionäre. Das Mehrheitswahlrecht und das Wahlmännerprinzip mit ungleicher Stimmenrepräsentation benachteiligt regelmäßig einen Großteil der Wähler; nur wenige Bundesstaaten sind wahlentscheidend. Dass Trump am 06.01. zündeln wollte, entlastet nicht seine Mitstreiter oder die Demokraten, die ihrerseits selbst unlauterer Mitteln bedienen.

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