Die Grünen als «Gefahr für die Demokratie»
Wenn jemand behauptet, ökologische Ideen oder gar die Grünen an sich seien eine Gefahr für die Demokratie, kann man üblicherweise getrost zum nächsten Thema wechseln. Denn der Vorwurf der «Öko-Diktatur» taucht sporadisch in aufgeheizten Debatten auf, wenn sich die politische Rechte über die Energiewende oder einschneidende Umweltmassnahmen enerviert. Wenn hingegen der Chef eines der führenden Markt- und Meinungsforschungsinstitute Deutschlands ähnliche Thesen vertritt, hat das einen etwas anderen Stellenwert.
Warnung vor «grüner Diktatur»
Was Manfred Güllner, Gründer und Leiter des Instituts Forsa, zum Thema Grünen-Gefahr von sich gibt, ist allerdings reichlich skurril. Der Mann hat ein Buch mit dem Titel «Die Grünen – Hoffnung oder Absturz?» geschrieben. Im Zentrum des Buches stehen die Verhältnisse in Deutschland, doch andere Gesellschaften mit grünen Bewegungen können sich durch die «Erkenntnisse» des Soziologen Güllner durchaus mitertappt fühlen. Die alarmistische Hauptthese lautet: Die «grüne Diktatur» gefährde «den zweiten Versuch, die Demokratie in Deutschland dauerhaft zu etablieren.» Was also führen die Grünen tatsächlich im Schild?
«Antimodernes Segment»
Soziologe Güllners Argumentationskette lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die Grünen entstammen «rein soziologisch betrachtet» einem «antimodernen Segment der Gesellschaft». Die Partei habe anfangs «gegen einen pragmatischen Politikstil und gegen die sich den Notwendigkeiten der Moderne öffnende Gesellschaft» gekämpft. In einem «Spiegel»-Interview präzisierte Güllner, er wolle die Grünen «um Gottes Willen nicht mit den Nazis vergleichen.» Aber «der ursprüngliche Nukleus dieser Bewegung in der Weimarer Zeit und später der Grünen-Bewegung» gingen eben auf das erwähnte gleiche Segment zurück, «einen radikalisierten Teil der deutschen Mittelschicht.»
Andere Parteien zu stark angepasst
Diesem sehr kleinen Teil der Gesellschaft sei es nun aber gelungen, überdurchschnittlich grosse Aufmerksamkeit zu erlangen, vor allem in den Medien und in der Wissenschaft. Verstärkt durch Themen wie Frieden, Umweltschutz und Frauenrechten, gegen die niemand etwas habe, hätten die Grünen im Verhältnis zur Grösse ihrer Anhängerinnen und Anhänger eine übermächtige Wirkung erzielt. Und – fatal, fatal – die anderen Parteien hätten sich thematisch viel zu stark angepasst. Dies wiederum vergrault laut Güllner die Wählerinnen und Wähler, sie bleiben also der Urne fern und diese schrumpfende Wahlbeteiligung gefährde die Demokratie. «Bei kommunalen Wahlen gibt es schon einen eindeutigen Zusammenhang: Je höher der Stimmenanteil der Grünen, umso niedriger die Stimmbeteiligung», sagt Güllner im «Spiegel»-Interview.
Abenteuerliche Korrelationen
Wer derart abenteuerliche Korrelationen zwischen der Stärke der Grünen und der Tiefe der Wahlbeteiligung herstellt, lehnt sich sehr weit aus dem Fenster – und kann leicht widerlegt werden. Im Osten Deutschlands etwa sind die Grünen besonders schwach, gleichzeitig ist aber auch die Wahlbeteiligung besonders tief. Da muss man sich fragen, wie kompetent der Chef eines führenden Meinungsforschungsinstituts mit den Daten umgeht. Vielleicht muss man sich weniger um die Demokratie als vielmehr um die Demoskopie in Deutschland Sorgen machen.
Als «Gutmenschenthemen» abqualifiziert
Irritierend ist auch, wie Güllner die Themen Frieden, Umweltschutz und Frauenrechte als «Gutmenschenthemen» abqualifiziert. Ihm fehlt jegliches Verständnis dafür, dass sich Wissenschaft, Medien und gar andere Parteien dafür interessieren. Dabei handelt es sich doch schlicht um die grossen Zukunftsfragen der Gesellschaft. Es ist zudem eine Binsenwahrheit, dass «grüne» Themen bei wertemässig und medial einflussreichen Schichten wie Wissenschaftlerinnen, Lehrern, Journalistinnen und Künstlern gut verankert sind und weitergetragen werden. Das hat jedoch weniger mit Parteipolitik zu tun als mit dem Sensorium für die grossen Herausforderungen der Gegenwart. Dass diese Themen zu einem guten Teil von den Grünen in Gesellschaft und Politik hineingetragen worden sind, darf ihnen wohl nicht zum Vorwurf gemacht werden. Und demokratiegefährdend ist es schon gar nicht – im Gegenteil.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine