Kommentar
Die Dämonisierung des Feindes als Politik-Ersatz
Am 11. April um 12.10 Uhr Ortstzeit Washington begann im Presseraum des Weissen Hauses ein sogenanntes Briefing zu Syrien, in dem Vertreter des Nationalen Sicherheitsrates auf die Fragen ausgewählter Medienvertreter antworteten. Das Gesprächsprotokoll wurde anschliessend publik gemacht und kann als Dokumentation der Erkenntnisse der US-Intelligence zum Giftgaseinsatz vom 4. April in Khan Sheikun gelten.
Ein namentlich nicht genannter «Senior Administration Official» wird dort mit der Frage eines Journalisten konfrontiert, welchen militärischen Zweck der Giftgasangriff auf Zivilpersonen in Khan Sheikhun gehabt haben könnte.
Aus dem Gesprächsprotokoll ist ersichtlich, wie der Sicherheitsberater sich auf der Suche nach einer überzeugenden Antwort dreht und windet, bis er schliesslich nach allgemeinen Floskeln bei der Vermutung landet, der Giftgasangriff sei ein Versuch, «Druck auszuüben auf Gegenden, wo das Regime davon ausgeht, es gebe Unterstützung für die kämpfende Truppe der Opposion». Das alles sei jedenfalls «most likely», höchst warscheinlich.
Im Wortlaut: «They (die Gasangriffe, Red.) were clearly aimed at areas that were most likely civilian areas. However, what I mean is that they were most likely intended to create pressure in what was deemed a rear area for those opposition forces that were fighting.»
Die Frage, welchen Vorteil die syrische Armee davon hätte, Frauen und Kinder in einem Dorf mit Giftgas umzubringen, wurde in den Schweizer Medien kaum gestellt oder stammtisch-kompatibel abgehandelt wie in der Sonntagszeitung vom 9. April. Da vermutet Martin Suter, Assad habe wohl Trump einmal testen wollen, nun habe er die Antwort bekommen.
Nach Trumps «Antwort» in Form von 59 Tomahawk-Raketen schickten zwei Dutzend ehemalige hochrangige Mitarbeiter der verschiedenen amerikanischen Geheimdienste einen offenen Brief an den Präsidenten. Sie wiesen Trump darauf hin, dass er mit seiner Behauptung, die syrische Luftwaffe habe einen Angriff mit Chemiewaffen geflogen, im Irrtum sei.
«Unsere Kontakte bei der US-Armee in der Gegend haben uns gesagt, das habe nicht stattgefunden. Es habe keinen solchen Angriff mit chemischen Waffen gegeben.»
Die Unterzeichner des offenen Briefes, zu denen neben ehemaligen Top-Geheimdienstleuten auch Waffenexperten und FBI-Agenten gehören, fordern Trump auf, sich in den Verhandlungen mit Russland an Fakten zu halten und nicht an Behauptungen, die weitgehend auf «dubiosen Beweisen beruhen, – zum Beispiel auf Social Media.»
Tatsächlich räumen die US-Geheimdienste in der o.a. Medienkonferenz im Weissen Haus ein, sie hätten sich – neben Satellitenaufnahmen und eigener Intelligence – in grossem Ausmass auf öffentlich zugängliche Videos und anderes Bildmaterial und auf die sozialen Netzwerke gestützt.
Bilder sind stärker als Worte
Kriege werden und wurden seit jeher mit Bildern gemacht, das heisst mit starken Symbolen, die Menschenmassen antreiben können, diejenigen zu hassen und zu töten, die als Feinde dargestellt werden. Der Historiker Gerhard Paul hat das in seinem Bildband «Bilder des Krieges, Krieg der Bilder» eindrucksvoll gezeigt.
In unserem Zeitalter der Übermacht des Virtuellen können solche Bilder Wirkungen und Folgen haben, die stärker sind als viele Granateinschläge. Eine These von Paul Virilio besagt, dass es in modernen Kriegen immer weniger um materielle Eroberungen gehe, sondern viel mehr um immaterielle Schlachten, in denen darüber entschieden werde, wer die Wahrnehmung bestimmt.
Wenn die elektronischen Medien Bilder von Kindern mit Gasmasken in Sekundenschnelle über Millionen von Smartphones rund um den Globus jagen, verbunden mit der Behauptung von Betroffenen, dies sei das Werk von Assad, dann wird unter der Übermacht der unmittelbaren Emotion jedes Nachdenken ausgeschaltet.
Die schnelle weltweite Verteilung solcher Bilder und die schnelle Schuldzuweisung sind eine Frage der organisierten Macht. Den permanenten Zugang zu Verteilkanälen wie Presseagenturen und TV-Sendern haben zum Beispiel Hilfswerke wie die «Weisshelme», weil sie die Macht und das Geld der Regierungen hinter sich haben, von denen sie gegründet wurden und mit hohen Summen finanziert werden. Und das sind im Fall der Weisshelme westliche Regierungen, die einen Regime Change in Syrien anstreben.
Die Weisshelme bezeichnen sich zwar als neutrales Hilfswerk, lobbyieren aber in Washington seit ihrer Gründung vehement für eine «Flugverbotszone» in Syrien (man erinnert sich an die dreissigtausend NATO-Luftangriffe auf Libyen) und Regime Change in Damaskus. Die Organisation arbeitet nur in Gebieten, die von den Gegnern der Regierung Assad kontrolliert werden, was eigentlich reicht, um sie politisch zu positionieren.
Die Weisshelme gehörten bislang stets zu den ersten und wichtigsten Bildlieferanten der Medien, wenn es galt, die syrische Regierung für Gräueltaten verantwortlich zu machen: für den Abwurf von Fassbomben, für Bombardierungen von Spitälern oder für Gasangriffe, wie jetzt auch wieder in Khan Sheikhun.
Die «Wahrheit» ist selten überprüfbar
Es ist schwer, den Wahrheitsgehalt solcher Informationen zu überprüfen. Zumindest wäre eine gewisse Skepsis angebracht. Doch in den westlichen Medien herrscht in der Hinsicht keinerlei Problembewusstsein. Die White Helmets werden als Helden schlechthin gefeiert. Ein Werbefilm für das Hilfswerk wurde in Hollywood mit einem Oscar geehrt, die Organisation bekam sogar den alternativen Nobelpreis.
Der syrische Präsident Bashar al-Assad erklärte am 13. April in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP, der mutmassliche Einsatz von Giftgas sei «zu hundert Prozent konstruiert». Der Westen arbeite mit den Dschihaddisten zusammen und suche nach einem Vorwand, um Syrien militärisch anzugreifen. Auf den Vorwurf, die syrische Luftwaffe habe einen Angriff mit Chemiewaffen geflogen, erwiderte er: «Wir haben keine Chemiewaffen (…) 2013 haben wir auf unser gesamtes Arsenal verzichtet. Selbst wenn wir solche Chemiewaffen hätten, würden wir sie nie einsetzen.»
Bis heute ist keine Schuldzuweisung möglich, es steht Aussage gegen Aussage, und es gibt keinerlei seriösen Beweis dafür, dass Assad etwas mit dem Massaker in Khan Sheikun zu tun hat. Auffallend ist aber – wie bereits bei dem grossen Giftgasanschlag bei Damaskus im August 2013 – mit welch vorauseilendem Gehorsam die meisten westlichen Medien den Darstellungen der Regierung in Washington und ihrer NATO-Partner folgen. Wer diese Darstellung in Frage stellt und z.B. die Vermutung der Russen in Betracht zieht, es könnte ein Lager voller chemischer Substanzen der Dschihaddisten getroffen worden sein, worauf der starke Wind die Giftwolke verbreitet habe, der wird schnell einmal als «Verschwörungstheoretiker» beschimpft.
Verschwörung ist ein Wort, das aus einer Zeit stammt, da Anarchisten in dunklen Kellern Bomben bauten, um Kaiser Wilhelm umzubringen. Wenn schon, dann müsste man in diesem Fall von «Betrugs-Theoretikern» sprechen, und das wäre dann allerdings kein Schimpfwort, sondern eher eine Qualifikation, welche Journalisten für sich in Anspruch nehmen dürften, die den Geheimdiensten kritisch auf die Finger schauen.
Zusätzliche Recherchen überflüssig?
Als am 4. April die ersten Bilder von Kinderleichen und Kindern mit Gasmasken über die Bildschirme liefen, brach ein Medien-Hype der Empörung los, der jeden Zweifel an der Täterschaft der syrischen Regierung hinwegspülte.
In der Presse wurde zwar pflichtgemäss rapportiert, die Regierungen in Damaskus und in Moskau stritten jegliche Verantwortung für den Einsatz von chemischen Waffen ab. Wenn es aber in Washington, London, Paris und Berlin heisst, Assad sei der Täter, dann erübrigen sich offensichtlich für viele Journalisten weitere Recherchen.
Im Tagesanzeiger konnte man am Tag nach dem Giftgaseinsatz lesen: «Der Angriff vom Dienstag zeigt wieder, dass sein (Assads, Red.) Regime die Mittel des Terrors gegen das eigene Volk anwendet».
Und in der NZZ hiess es am 7. April zum Raketenangriff der USA auf einen syrischen Luftwaffenstützpunkt: «Eine notwendige Strafe für Asad (…) Wäre es nach dem Willen der Weltgemeinschaft gegangen, wäre Asad einmal mehr ungestraft davongekommen.»
Der britische Aussenminister Boris Johnson erklärte: «Alle Beweise, die ich gesehen habe, weisen auf die Verantwortung des Assad-Regimes hin für diesen grauenhaften Angriff, bei dem Kinder getötet wurden.» Es gab aber keine Beweise, und es gibt sie bis heute nicht.
Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula Von der Leyen stellte sich im Talk bei Anne Will (ARD 9.4.2017) in atlantischer Treue hinter ihren NATO-Partner Donald Trump und lobte seine Tomahawk-Schläge als notwendigen «Warnschuss», um Assad für seine Gräuel zu strafen. Sie musste dann von Talk-Gast Jan van Aken, einem Bundestagsabgeordnetem der Linken, darauf hingewiesen werden, dass Trumps Raketenangriff eine völkerrechtswidrige Aggression war, und dass es keinen Beweis für die Täterschaft Assads gebe. Van Aken war von 2004 bis 2006 Biowaffeninspektor für die Vereinten Nationen.
In der Sonntagszeitung hiess es im Tonfall höchsten Jubilierens, Trump habe sich nun «auf das Völkerrecht berufen» und «eine rote Linie in den syrischen Wüstensand gezeichnet». Er habe sich damit dem «kategorial Bösen eines Angriffs mit chemischen Waffen auf Zivilisten, Frauen und Kinder» widersetzt. Die Luftschläge hätten in europäischen Hauptstädten ein Gefühl der Erleichterung ausgelöst (9.4.2017)
»Es muss endlich etwas geschehen!»
Das will heissen: Alle hatten das Gefühl, man müsse jetzt endlich «etwas tun», und Donald Trump war derjenige, der endlich «etwas getan hat». Die Warnschüsse für ein paar hundert Millionen Dollar, mit denen der amerikanische Präsident sich nun innenpolitisch und aussenpolitisch Luft macht, erinnern ein wenig an die Ersatzhandlungen des George W.Bush, der nach 9/11 erst Afghanistan und dann den Irak angriff.
Und auch die Bilder des Zerstörers USS Ross sind ein Déjà vu: Wie das Deck des Missile Cruisers hell aufleuchtet, wenn die Tomahawks in die Nacht fliegen. Das ist das Bild, das in der vergangenen Woche in keinem Medium fehlte, das gleiche Bild wie beim Angriff auf den Irak im März 2003. Ein Angriff, der auf den Namen «Skock an Awe» getauft wurde und von dem Verteidigungsminister Donald Rumsfeld angekündigt hatte: «Was da kommt, wird in Stärke, Umfang und Grössenordnung alles bisher Gesehene hinter sich lassen.»
Es klang damals wie die Werbung für ein neues Video-Game, und die Bilder waren damals wie heute auf dem Niveau der besten Video-Kriegsspiele. Da ist wieder die faszinierende Ästhetik moderner Kriegswaffen, die aus allen Tagesschauen dieser Welt in die Wohnstuben flimmert. Eine Ästhetik, die alle Zusammenhänge kaschiert und die Vorgänge zu einem Event auf einem flachen Bildschirm reduziert. Eine Ästhetik, die uns vergessen lässt, dass da nichts anderes passiert als die Exhibition gewalttätiger Machtausübung.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Helmut Scheben war von 1993 bis 2012 Redaktor und Reporter im «Schweizer Fernsehen» (SRF), davon 16 Jahre in der «Tagesschau».
Eine längere Abhandlung von Max Blumenthal über die «Weisshelme» und andere PR-Gruppierungen findet sich hier:
http://greecevol.info/pdf/blumenthal.Syria.white.helmets.pdf
Hat nicht schon Bush ähnliche Lügen (heute sind das im Nachhinein dann «post- oder alternative-Fakes») verbreitet (Irak?)?
Ignoriert einfach diese US-Politik und schreibt etwas über Glanz & Gloria!!!
Die USA zerbomben Syrien, jetzt wegen der Giftgasangriffe noch mit Tomahawks. Helmut Scheben dokumentierte ausführlich die Fragwürdigkeit der Anschuldigungen der Amerikaner, dass Syrien für die Giftgasangriffe verantwortlich ist.
Die Schweiz dürften den USA, allen Staaten die Kriege führen, kein Kriegsmaterial liefern. Im Artikel 5 Kriegmaterialverordnung wird festgehalten, dass Kriegsmaterialexporte verboten sind »wenn das Bestimmungsland in einem internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist».
An der Pressekonferenz des SECO in Bern, am 21. Februar 2017, wurde die Frage gestellt, weshalb 2016 wiederum Waffenexporte bewilligt wurden an Staaten die in Kriege verwickelt sind, wie die USA, Nato Staaten usw. Simon Plüss vom SECO erklärte, «der Bundesrat haben die besagten Bestimmungen (Verbot Waffenexporte an kriegführende Staaten) aber immer dahingehend ausgelegt, dass sie sich auf einen internen Konflikt im eigenen Land beziehen. Herrscht also Bürgerkrieg in Saudiarabien oder in den USA gäbe es nach dieser Leseart keine Rüstungsausfuhren in diese Länder mehr.» … «Eine Verordnungsänderung hat die Regierung laut Plüss nicht für nötig befunden, ein veränderter Wortlaut könne zudem neue Probleme verursachen.»
Diese seltsame Interpretation der Kriegmaterialverordnung der Herren und Damen von Bern müsste eigentlich in einem Rechtsstaat zwingend die Gerichte auf den Plan rufen, denn es geht bei Waffenexporten um die Beihilfe zum Mord, ein Offizialdelikt.
Lieber @Helmut Scheben, so eine Stimme der Venunft tut gut.
Herzlichen Dank !
Werner T. Meyer
Eine Anmerkung, die weder als Lob noch als Kritik an Herrn Scheben zu verstehen ist: bei den US-Regierungsvertretern, die wie im Beitrag erwähnt im Weissen Haus die Medienvertreter informierten, handelte es sich nicht um Geheimdienstler — sondern um Vertreter des National Security Council im Weissen Haus. Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied, sind die NSC-Mitglieder doch der verlängerte Arm der jeweiligen Regierung, während die Geheimdienste mit Parteipolitik nichts am Hut haben sollten.
Der TRANSCEND-Pressedienst von gestern hat einige Artikel zu Kriegslügen in Syrien.
Beispielsweise: https://www.transcend.org/tms/2017/04/assessment-of-white-house-intelligence-report-of-april-11-2017/
MfG
Werner T.Meyer
Wo ich Ihnen zustimme:
– Bilder sind Waffen, gerade heutzutage
– Man springt schnell auf den medialen Zug auf, Assad zu für den Angriff zu verurteilen
– Trumps bzw. Amerikas militärische Antwort war reaktionär und letztlich völlig unnütz
Ihr Text liefert aber leider stellenweise auch nicht mehr als ein verschwörungstheoretisches Moment…
Ich unterstütze die Position von Adopt a revolution: https://www.adoptrevolution.org/kommentar-aufklaerung-statt-folklore – es muss eine unabhängige Aufklärung geben, erst dann sollten Schuldsprüche geäußert werden. Solange sich Russland (und China) aber gegen derartige Untersuchung stellt darf / muss man die Motive dafür hinterfragen und damit auch vermuten, dass es hier eine (wie auch immer geartete) Beteiligung gibt.
Zudem wird es nie endgültige Beweise geben, die von allen Parteien Akzeptanz erfahren – das macht es uns einfach, die Füße hochzulegen und uns in Neutralität zu üben. Die Zivilisten in Khan Sheikun dürften deutlich subjektiver argumentieren, sind aber zwischen den Fronten gefangen…
@Henning Orth
“Solange sich Russland (und China) aber gegen derartige Untersuchung stellt darf / muss man die Motive dafür hinterfragen und damit auch vermuten, dass es hier eine (wie auch immer geartete) Beteiligung gibt.”
Auch das Trio USA, GB und Frankreich hatten sich gegen die Untersuchung gestellt — nachdem Russland eine Abänderung der Formulierung vorgeschlagen hatte. Alles nachzulesen hier: http://www.infosperber.ch/Politik/Vorerst-keine-Untersuchung-zu-Giftgas-in-Syrien
@Thierry Blanc
Danke für den Link. Trotz westlicher Ablehnung des Kompromissvorschlags bleibt die Frage nach den Motiven zum Veto für mich weiter im Raum…
"Warum diese Forderung an die syrische Regierung unzumutbar ist, führte der russische Botschafter zumindest in seinen öffentlichen Äusserungen vor der Abstimmung im Sicherheitsrat nicht aus."
Natürlich sind die westlichen Forderungen aus militärischer Sicht sehr fordernd (Zugang zu Luftwaffenstützpunkten, Name der Kommandeure, Flugpläne und Informationen über alle Luftoperationen) aber anders kann Aufklärung letztlich auch nicht funktionieren.