Kommentar
Die Börsen im Höhenrausch – die Fieberkurve steigt
Die Börsen boomen, die Kurse eilen von Rekord zu Rekord. Der US-Aktienindex Dow Jones stieg vergangene Woche zum ersten Mal über 23’000 Punkte, der japanische Nikkei erreichte mit über 21’000 Punkten den höchsten Stand seit 21 Jahren, der DAX überschritt zum ersten Mal die Marke von 13’000 Punkten.
Auch das Tempo, in dem die Rekordstände erreicht werden, ist extrem: Der Dow Jones hat seit der Wahl von Präsident Trump mit 4’600 Punkten mehr als 25 Prozent zugelegt. Der Dax hatte erst im Februar die 12’000er-Marke überschritten und noch im Dezember 2016 bei 10’500 Punkten gelegen.
Rückblick: Der Crash von 1987
Während dieser historischen Rekordjagd jährte sich vergangene Woche zum dreissigsten Mal ein Ereignis, das daran erinnert, wie plötzlich sich das Bild an den Börsen ändern kann: der Börsencrash von 1987. Am 19. Oktober 1987 kam es zum schwersten Kurseinbruch nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Dow Jones verlor innerhalb eines Tages 22,6 Prozent, die Aktienkurse in Kanada und Hongkong fielen bis zum Monatsende um mehr als 40 Prozent.
Auch damals hatte die Welt Börsen gesehen, die zuvor nur eine Richtung kannten: aufwärts. Der Dow Jones hatte seit 1982 einen rasanten Bullenmarkt erlebt, allein in den zwei Jahren vor dem Crash waren die Kurse um 50 Prozent gestiegen – ohne dass es einen entsprechenden Zuwachs bei den Unternehmensgewinnen gegeben hätte.
Damit aber erschöpfen sich die Parallelen zwischen der damaligen und der heutigen Situation bereits, denn die Umstände von 1987 haben mit denen von heute nicht viel gemeinsam. Die derzeitige Situation ist wesentlich heikler und birgt erheblich höhere Risiken als die vor dreissig Jahren.
Die Risiken sind exponentiell gestiegen
Der derzeitige Aufwärtstrend hält mit wenigen Unterbrechungen seit fast zehn Jahren (!) an und hat sich mittlerweile von der schleppenden globalen Wirtschaftsentwicklung vollständig abgekoppelt. Er fällt in eine Zeit zunehmender politischer Spannungen und wird durch Faktoren getrieben, die 1987 noch keine Rolle gespielt haben.
Zum einen sind in den letzten zehn Jahren mehr als 16 Billionen Dollars ins globale Finanzsystem gepumpt worden, zum anderen ist dieses Geld zu immer niedrigeren, teilweise sogar unter Null liegenden Zinssätzen vergeben worden – eine Entwicklung, die es in der Geschichte der Finanzwirtschaft so noch nicht gegeben hat.
Allein die riesige Geldmenge hätte genügt, um an den Aktienmärkten gewaltige Blasen auszulösen. Kombiniert mit den Niedrig- und Nullzinsen hat sie wahre Tretminen ausgelegt: Kleineren Banken ist die Grundlage für ihr klassisches Geschäft – das Verleihen von Geld zum Zweck der Erwirtschaftung von Zinsen – entzogen und bislang auf Sicherheit bedachte Anleger wie Rentenkassen und Pensionsfonds – deren Auftrag ja darin besteht, ihnen anvertraute Gelder gewinnbringend zu verwalten – wurden praktisch gezwungen, sich auf das riskante Spekulationsgeschäft mit Aktien oder Anleihen einzulassen.
Zudem sind die Kurse durch Aktienrückkäufe von Konzernen sowie durch Aktien- und Anleihenkäufe von Zentralbanken manipuliert worden – eine historisch ebenfalls einmalige Entwicklung. Um nur einige Beispiele zu nennen: Die Schweizer Nationalbank SNB hält mittlerweile Aktien und Anleihen von mehr als 2’500 US-Konzernen und steht beim Apple-Konzern mit Aktienanteilen im Wert von 2,7 Milliarden auf Platz 16 der institutionellen Anleger. Apples Management wiederum hat seine Aktienrückkäufe im Mai 2017 von 175 Milliarden auf 210 Milliarden erhöht und damit für eine weitere Verzerrung des Firmenkurses gesorgt.
Zusätzliche Hiobsbotschaft: Die historische Rekordverschuldung
Die Kombination aus Geldschwemme, Niedrig- und Nullzinsen, Aktienrückkäufen durch Konzerne und Aktien- sowie Anleihenkäufe durch Zentralbanken zeigt: Wir haben es zurzeit mit dem am stärksten manipulierten System in der gesamten Geschichte der Finanzindustrie zu tun. Das aber ist noch nicht das Ende der Hiobsbotschaften: Wir haben es zurzeit auch mit der weltweit höchsten Verschuldung aller Zeiten zu tun.
Der globale Schuldenberg von Staaten, Konzernen und privaten Haushalten beläuft sich – nach vorsichtigen Schätzungen – inzwischen auf 215 Billionen Dollars. Ein Teil dieses Geldes ist natürlich auch in das Geschäft mit Aktien gewandert. So haben die Wertpapierkredite an der Wall Street in diesem Herbst mit 551 Milliarden Dollars ebenfalls einen neuen Höchststand erreicht.
Das aber bedeutet: Wenn es zu einem Crash wie 1987 käme, würden viele Gläubiger aus Angst vor Verlusten umgehend das Geld von ihren Schuldnern einfordern, es käme zu den gefürchteten, im Englischen als «Margin Calls» bezeichneten, Rückforderungen. Da viele Schuldner nicht in der Lage wären, der Aufforderung nachzukommen, könnten sich die Forderungen zu einer Lawine entwickeln und das gesamte System wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzen lassen.
Zwei Möglichkeiten, der Gefahr zu entgehen
Betrachtet man die Gesamtsumme der Risikofaktoren, so kann man nur zu einem Schluss kommen: Das globale Finanzsystem von heute gleicht einem Auto mit luftgekühltem Motor, dessen Fahrer zwecks Kühlung immer schneller fahren muss – mit dem vorhersehbaren Ergebnis, dass der Motor irgendwann explodieren wird.
Da diese Tatsache aber auch der Finanzindustrie nicht entgangen ist, kann man mit Sicherheit davon ausgehen, dass in den Führungsetagen der Global Players bereits seit Längerem Krisenszenarien durchgegangen und Notfallpläne entworfen werden. Was aber könnte noch getan werden, um der endgültigen Explosion des Motors zu entgehen?
Da es für die künstliche Geldschöpfung durch die Zentralbanken keine Obergrenze gibt, könnte unbegrenzt weiteres Geld ins System gepumpt werden. Das würde allerdings irgendwann in eine Hyperinflation führen. Diese aber käme den grössten Schuldnern gar nicht so ungelegen, weil sie riesige Schuldenberge vernichten würde. Am schwersten betroffen wären die unteren Einkommensschichten und der Mittelstand, für die wegen des eintretenden Kaufkraftverlustes ein harter Kampf ums Überleben einsetzen würde.
Vor einer weiteren Möglichkeit, dem nächsten ganz grossen Crash zu entkommen, hat der Ökonom Ernst Winkler bereits 1952 gewarnt, als er in seiner «Theorie der natürlichen Wirtschaftsordnung» schrieb: «Der Krieg ist die grosszügigste ‹Reinigungskrise zur Beseitigung der Überinvestition›, die es gibt. Er eröffnet gewaltige Möglichkeiten neuer zusätzlicher Kapitalinvestitionen und sorgt für gründlichen Verbrauch und Verschleiss der angesammelten Waren und Kapitalien … So ist… der Krieg das beste Mittel, um die endgültige Katastrophe des ganzen kapitalistischen Wirtschaftssystems immer wieder hinauszuschieben.»
Welche der beiden Varianten der Welt bevorsteht, lässt sich im Moment nicht absehen. Dass sich Regierungen und die hinter ihnen stehende Finanzelite rund um den Globus auf beide Möglichkeiten vorbereiten, lässt sich daran ablesen, dass derzeit nicht nur die Börsen boomen, sondern auch die globalen Ausgaben für den Ausbau staatlicher Sicherheits- und Militärapparate.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Ernst Wolff ist freier Journalist.
Er publizierte soeben das Buch «Finanz Tsunami – Wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht», edition e. wolff, 27.90 CHF.
Früher hatte er «Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs» im Tectum-herausgegeben, 26.90 CHF.
Ernst Wolff beschreibt das wahre und schreckliche Bild in einem kurzen und präzisen Text. Gratulation. Zurückhaltend ist er bei der offenen Schuldzuweisung. Zwischen den Zeilen ist er auch diesbezüglich klar: Schuld sind die Zentralbanken mit ihrer unsinnigen Geldproduktion, die zu tiefen oder negativen Zinsen und damit zu überhöhten Preisen für Obligationen, Aktien und Immobilien führt. Und zu hohen Schulden, vor allem Staatsschulden. Wenn die Zinsen dereinst steigen, fällt das finanzielle Kartenhaus zusammen. Aktien-, Obligationen und Immobilienmärkte werden einbrechen, die hoch verschuldeten Staaten werden Konkurs machen. Leider liegt Wolff wohl auch mit der düsteren Prognose richtig: Hyperinflation oder Krieg. Und diesen Zentralbanken wollen monetäre Träumer noch viel, viel mehr Kompetenzen übertragen. Wie blind darf ein monetärer Modernisierer sein?
Mit einer solchen Entwicklung rechne ich bereits länger. Dummerweise ist hier eine zurecht mit einem Tsunami verglichene Entwicklung im Gange, die ein «Normalbürger» wie ich offenbar weder beeinflussen noch effiziente Schutzmechanismen dagegen entwickeln kann. Was nützt es, wenn wir gewarnt werden, aber letztlich nichts gegen die Entwicklung tun können ausser schimpfen? Auch die Politik ist ja hilflos gegenüber der Hochfinanz. Und die Mehrzahl der Bürger wählt ja Politiker, die die Hochfinanz noch unterstützen.
Danke für den Artikel! Ich fürchte, er bringt es ziemlich auf den Punkt.
Als Gründe für den heutigen Kurs in der Wirtschafts- und Währungspolitik wurden die Verstrickung der Politik mit der Grossfinanz genannt sowie das Bestreben, die Verschuldung der Staaten durch Inflation wegzuschrumpfen. Beides trifft sicher zu.
Es gibt aber auch linke, nicht bankennahe Kreise, die bei dem Spiel mitmachen, weil sie glauben, man müsse «die Wirtschaft ankurbeln», und weil auch sie keine anderen Ideen dafür haben, als Geld in die Volswirtschaft zu pumpen.
@Christof Berger: Jeder kann für sich durchaus etwas tun ausser nur zu schimpfen. Zwar nicht zur Rettung der Welt vor dem Tsunami, aber für seinen eigenen Schutz, gewissermassen als Rettungsring: Das Geld bei einer soliden Bank auf Konto anlegen, zum Beispiel bei der ZKB oder der Postfinance, und seine Wohnung oder sein Haus mit einer langfristigen Hypothek von mindestens 10 Jahren refinanzieren.
Herr Wolff beschreibt eine Entwicklung, die von Carl-Friedrich von Weizsäcker bereits im Jahre 1983 prognostiziert wurde und schrittweise zutreffend eintritt, bzw. schon eingetreten ist. Es verbleibt die Verbitterung dabei zusehen zu müssen.
Aufgrund der Negativzinsen wir mit Immobilien und Aktien gezockt.
Der Autor zeigt nicht das ganze Ausmass.
http://www.finanzen.net/index/DAX/Hochtief
2008/ 2009 stand der Deutsche Aktien Index bei unter 5.000 Punkten.
Aktuell steht er bei über 13.200 Punkten.
Deutschland hat ein langjähriges BIP Wachstum von 1,4 % ( siehe Eurostat ).
( im Vergleich Schweiz 1,9 % und Schweden 1,8 % )
Die Produktivität der deutschen Industrie sinkt seit 4 Jahren.
https://www.welt.de/wirtschaft/article158699607/Die-raetselhafte-Stagnation-der-deutschen-Wirtschaft.html
Da muss man sich die Frage stellen, wie stabil ein DAX «Wachstum» von über 250 % ist.
Da fällt mir die Aussage von George Soros ein.
"Soros ist der Ansicht, dass die Deregulierung der Finanzmärkte aufgrund ihrer potenziellen Instabilität ein Fehler war, der die Finanzkrise ab 2007 ausgelöst hat. Verantwortlich für diese Maßnahme sei eine „marktfundamentalistische“ Ideologie gewesen, die seit Ronald Reagan und Margaret Thatcher zu einer beherrschenden Kraft geworden sei. Diese lasse außer Acht, dass „Finanzmärkte kein Gleichgewicht anstreben…"
Quelle Wikipedia
Sehr aufschlussreich, ist auch ein Blick auf die Verschuldung der EU, USA
Vergleiche mit Simbabwe, den Inbegriff bodenloser Schlamperei, die aber nicht so schlecht dar stehen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_L%C3%A4nder_nach_Staatsschuldenquote
Bei den Zahlen ist nicht berücksichtigt, das USA, BRD u.a. ihre offiziellen Daten via ÖPP/ PPP frisieren.