Deutsche Schonkost für François Hollande
Der frisch gewählte Nachfolger des zuletzt als «Der Deutsche» apostrophierten Nicolas Sarkozy, der vor drei Tagen seinen Antrittsbesuch in Berlin absolvierte, könne die im «Fiskalpakt» fest verankerten deutschen Spardiktate schon aus ökonomischen Gründen nicht ernsthaft in Frage stellen, heisst es in der Bundeshauptstadt. Vielmehr sei nicht auszuschliessen, dass François Hollande selbst neue Austeritätsprogramme für Frankreich verabschieden müsse. Um ihn nicht gleich zu Beginn seiner Amtszeit ernsthaft zu schwächen und um ein Erstarken linker Kräfte wie in Griechenland zu verhindern, tue Berlin gut daran, ihn den längst beschlossenen EU-«Wachstumspakt» als seinen persönlichen Erfolg anpreisen zu lassen, auch wenn dies nicht den Tatsachen entspreche, signalisieren Berater.
Aufgrund gewisser französischer «Empfindlichkeiten» sei «Fingerspitzengefühl» im Umgang mit Paris gefragt. Von der Aussen- und Militärpolitik des neuen Staatspräsidenten erhofft Berlin grössere Übereinstimmung mit deutschen Zielen, als es etwa bei Sarkozys Afrika-Aktivitäten der Fall war. Über Premierminister Jean-Marc Ayrault urteilen deutsche Medien, er sei ein «Kenner der Berliner Politik» und «germanophil».
Kassensturz
Hintergrund der Ratschläge über den Umgang mit dem neuen französischen Staatspräsidenten sind Äusserungen, die dieser im Wahlkampf getätigt hatte, um sich gegenüber seinem Amtsvorgänger zu profilieren. Sarkozy war unter dem Druck der deutschen Kanzlerin zur Unterstützung der Berliner Spardiktate übergegangen und deshalb gegen Ende seiner Amtszeit als «Der Deutsche» bezeichnet worden («Sarkozy l’Allemand»). Hollande hatte seinen Wahlkampf stark auf die Ankündigung gestützt, er wolle den «Fiskalpakt», ein Kernelement der von Berlin oktroyierten Austeritätspolitik, nur unterzeichnen, wenn die Bundesregierung ihren Kurs ändere und neue Ausgabenprogramme in der EU mittrage.
Beobachter weisen nun darauf hin, dass die Finanzmärkte Paris keinen Spielraum in Sachen «Fiskalpakt» liessen: Das Dokument müsse ratifiziert werden; ansonsten drohten Schritte von fataler Wirkung wie etwa die Herabstufung Frankreichs durch die Ratingagentur Standard and Poor’s. Darüber hinaus sei nicht auszuschliessen, dass ein «Kassensturz» in Paris ergebe, dass die «Lage der Staatsfinanzen noch ernster ist als angenommen». Hollande werde nicht umhinkommen, in Frankreich selbst einige Kürzungen vorzunehmen und eigene Austeritätsprogramme einzuleiten. «Hollande wird all das, was er im Wahlkampf angekündigt hat, nicht realisieren», sagt der deutsche Ökonom Rudolf Hickel voraus.
Rückstand gegenüber Deutschland
Die schwierige wirtschaftliche Lage, die Hollande kaum Spielraum lässt, um Druck gegen den «Fiskalpakt» aufzubauen, hat unlängst die französische Presse anlässlich der Amtseinführung des neuen Staatspräsidenten detailliert beschrieben. Demnach stagnierte die französische Wirtschaft im ersten Quartal 2012 faktisch (plus 0,2 Prozent), wohingegen die deutsche immerhin um 0,5 Prozent wuchs. Der private Konsum nahm ebenfalls nicht in nennenswertem Umfang zu (plus 0,1 Prozent), die privaten Investitionen (minus 1,4 Prozent) sanken ganz wie die staatlichen (minus 0,1 Prozent). Ohnehin ist die französische Wirtschaft zuletzt stark hinter die deutsche zurückgefallen.
Wie es in einer aktuellen Analyse heisst, trägt die Industrie nur noch 13 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei – in Deutschland sind es 26 Prozent. Entsprechend liegt der Anteil der Exporte am BIP in Frankreich bei 22 Prozent, in Deutschland bei 41 Prozent. Frankreich verzeichnete 2011 ein hohes Aussenhandelsdefizit von 84 Milliarden Euro, das sich zu zwei Fünfteln aus dem wirtschaftlichen Rückstand gegenüber Deutschland ergab: Der deutsche Aussenhandelsüberschuss gegenüber dem französischen Nachbarstaat stieg 2011 auf den Rekordwert von 35,25 Milliarden Euro. Dass die französische Schuldenlast unter solchen Umständen nur durch harte Austeritätsprogramme gesenkt werden kann, liegt auf der Hand – jedenfalls dann, wenn Deutschland nicht bereit ist, die Nachfrage im eigenen Land etwa durch Konjunkturprogramme spürbar auszuweiten. Letzteres ist nicht der Fall. Für Hollande ergibt sich daraus ein schwieriger Start.
Gesichtswahrende Massnahmen
Um Hollande nicht schon zu Beginn seiner Amtszeit ernsthaft zu schwächen, raten deutsche Aussenpolitik-Experten zu einem schonenden Umgang mit ihm. «Trotz Deutschlands derzeitiger Überlegenheit» dürfe das Verhältnis zwischen Berlin und Paris keinesfalls «zu offenkundig asymmetrisch sein», warnt die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP): «Die Empfindlichkeit in Frankreich gegenüber einer ‹deutschen Dominanz› ist gross». Demonstriere man Überlegenheit, dann könne man insbesondere linke Unterstützer des Präsidenten auf die Barrikaden treiben. Dies aber gelte es zu vermeiden, zumal enge Kooperation zwischen Berlin und Paris unumgänglich sei, um die eskalierende Eurokrise in den Griff zu bekommen.
Es sei deshalb «wichtig, dass Hollande sichtbare Verhandlungserfolge erzielen kann». Wie die SWP weisen auch Fachleute der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) darauf hin, dass die EU im März beschlossen hat, im Juni einen «Wachstumspakt» auf den Weg zu bringen. Dieser sieht zwar keinerlei grundsätzlichen Schwenk zu kreditfinanzierten Konjunkturprogrammen vor, ermöglicht jedoch voraussichtlich die Finanzierung einzelner Infrastrukturvorhaben durch sogenannte Projektbonds der EU. «Die Frage ist, ob man Hollande dies als Sieg zubilligt», äussert eine SWP-Expertin. Das widerspreche den Tatsachen – «Wachstumspakt» und «Projektbonds» waren bereits lange vor der Wahl in Frankreich geplant -, sei aber taktisch von Vorteil: Der neue Staatspräsident, urteilt eine Expertin der DGAP, könne damit «seine Glaubwürdigkeit in Frankreich retten und die Deutschen retten ihren Fiskalpakt».
Deutsch-französische Achse
Jenseits des Streits um die deutschen Spardiktate in der Eurokrise sieht die SWP in der Aussen- und Militärpolitik eine grössere Übereinstimmung zwischen Berlin und Paris als zuvor. Zwar werde der neue Staatspräsident die von Sarkozy in die Wege geleitete militärpolitische Zusammenarbeit mit London fortsetzen. Doch sei es ihm «im Unterschied zu seinem Amtsvorgänger (…) ein dringendes Anliegen, die deutsch-französische Achse in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik wiederzubeleben». Auf Widerspruch waren in Berlin stets Sarkozys Bemühungen gestossen, die EU für militärische Aktivitäten in der Frankophonie, dem französischsprachigen Einflussgebiet der Pariser Aussenpolitik, zu nutzen. Diesbezüglich sei unter Hollande eine «deutliche Zurückhaltung» in Subsahara-Afrika zu erwarten, mutmasst die SWP.
Dass Berlin sogar «vom neuen sozialistischen Präsidenten aussen- und sicherheitspolitisch zum Wunschpartner erklärt» worden sei, müsse man nutzen, um die EU-Militärpolitik («Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik»; GSVP) nun endlich «spürbar voranzubringen». Mit Schwierigkeiten sei allenfalls zu rechnen, wenn sich bei der Parlamentswahl im Juni eine rechte Mehrheit unter den Abgeordneten ergebe. Dann, heisst es, könne sich Frankreich leicht zu einem «unberechenbare(n) Partner» entwickeln und aussen- und militärpolitische Auflagen für die GSVP fordern, «die dem französischen Wunsch nach Souveränitätswahrung entsprechen».
In Paris wird Deutsch gesprochen
Jenseits von Hollande findet aus der neuen französischen Regierung vor allem Ministerpräsident Jean-Marc Ayrault grosse Aufmerksamkeit in den deutschen Medien. Erfreut wird vermerkt, dass er als Germanist auch in Deutschland studiert hat: «In Paris spricht man nun deutsch.» Ayrault sei «ein ausgewiesener Kenner der Berliner Politik», auch gelte er als «Sozialdemokrat von deutschem Schlage», heisst es: Der künftige Ministerpräsident unterhalte intensive Beziehungen zur SPD, aber auch zu Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU). Auf seiner Website schreibt Ayrault, er habe «immer eine Zuneigung» zu Deutschland gehabt. Die deutsche Presse begrüsst ihn erfreut als «germanophil» und als «Deutschland-Fan».
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Dieser Artikel ist auf der Plattform «German-Foreign-Policy.com» erschienen.
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