Der «rote Millionär» in den Fängen Erdoğans
Osman Kavala wurde am 18. Oktober am Istanbuler Flughafen festgenommen. Der 61-jährige Mann mit Bart und grauem Kraushaar ist in der Türkei aus zwei Gründen prominent: Man kennt ihn zunächst als Vorsitzenden der Kulturorganisation Anadolu Kültür. Seit Beginn der 1990-er Jahre unterstützt Anadolu Kültür landesweit Projekte zur Förderung der Zivilgesellschaft, der Kunst und des Umweltschutzes. Kavala ist Mitbegründer des Verlags Iletisim, der sich für einen offenen Dialog zwischen der Türkei und Armenien sowie für eine Versöhnung der beiden Völker einsetzt.
Als Sohn einer wohlhabenden Familie osmanischer Aristokraten ist Osman Kavala zudem ein erfolgreicher Geschäftsmann, der viel Zeit, Energie und Geld investiert hat, um Kulturschaffende zu fördern – nicht nur im Westen der Türkei, sondern auch im vom Bürgerkrieg verwüsteten, kurdischen Südosten des Landes. Konservative und nationalistische Kreise verhöhnten ihn als «roten Millionär». Doch Osman Kavala scherte sich nie sonderlich um ihre Meinung. Der Menschenrechtsaktivist machte keinen Hehl daraus, dass er jede Form von Autoritarismus zutiefst verabscheut.
«Türkischer Soros»
Dann geriet Osman Kavala ins Fadenkreuz der regierungsnahen, gelben Presse. Das Magazin Aydinlik, Sprachrohr des ultranationalistischen Politikers Doğu Perinçek, bekannt für Verschwörungstheorien aller Art, bezichtigte Kavala, enge Beziehungen zum amerikanischen Akademiker Henri J. Barkey zu pflegen. Dieser habe im Juli 2016, so Aydinlik, im Auftrag der CIA den Putsch gegen den Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan organisiert. Kurz darauf meldete sich der türkische Präsident zu Wort: «Die Identität des türkischen Soros ist aufgedeckt», verkündete er.
Der ungarisch-amerikanische Financier George Soros ist schon wegen seiner jüdischen Wurzeln ein rotes Tuch für islamistische Kreise. Sie werfen Soros vor, er finanziere Organisationen der Zivilgesellschaft im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion nur deshalb, um diese Staaten zu destabilisieren, was seinen finanziellen Interessen dienen würde. Auf einmal war eine Parallele zwischen George Soros und Osman Kavala von oberster Stelle hergestellt.
Dabei wäre das nach Ansicht von Murat Yetkin, Chefredaktor der Tageszeitung Hürriyet nicht einmal nötig gewesen. Denn in der heutigen Türkei genügt bereits der Tipp eines anonymen Denunzianten bei der Polizei, um einen vermeintlichen Verdächtigten hinter Gitter zu bringen. Der Polizist, der Staatsanwalt und der Richter fühlen sich verpflichtet, die Schuld des Verdächtigten zu beweisen – vor allem aus Angst, selber als Staatsfeinde im Gefängnis zu landen. «So ist eben das Klima im Ausnahmezustand», so Yetkin.
Drei «grosse Verbrechen»
Nach der Landung in Istanbul holten Polizisten Osman Kavala wie einen gemein-gefährlichen Kriminellen direkt aus dem Flugzeug. Anfang November erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen ihn wegen versuchten Umsturzes der Regierung und der konstitutionellen Ordnung. Gemäss der kafkaesk anmutenden Anklage soll Osman Kavala gleichzeitig drei «grosse Verbrechen» begangen haben:
Zum einen soll er die Gezi-Proteste im Juni 2013 mitorganisiert haben. Damals protestierten im kleinen Istanbuler Park Jugendliche gegen die gnadenlose Zerstörung der Umwelt durch die Baubarone der Regierung, gegen die Aushöhlung der säkulären Gesellschaft und gegen den wachsenden Autokratismus Erdoğans. Die Gezi-Bewegung wurde brutal niedergeschlagen.
Osman Kavala soll ausserdem die linke kurdische Arbeiterpartei (PKK) und zwei weitere militante linke Gruppierungen unterstützt haben. Und schliesslich soll er auch ein Anhänger der konservativ-religiösen Gülen-Bewegung sein, welche die Regierung für den Putschversuch verantwortlich macht.
Seit dem Putschversuch im Juli letzten Jahres wurden in der Türkei mittlerweile über 60‘000 Personen festgenommen. Die Verhaftung Osman Kavalas markiert dennoch eine neue Eskalationsstufe. Die ehemals so einflussreiche Vereinigung türkischer Geschäftsleute und Industrieller (TÜSIAD) schweigt bislang hartnäckig zum Schicksal eines seiner prominentesten Mitglieder. Das wiederum zeugt davon, dass pure Angst nun auch die säkuläre Wirtschaftselite Istanbuls erfasst hat. Kein Richter und kein Intellektueller, kein Staatsangestellter, kein Journalist aber auch kein Geschäftsmann soll sich im Reich Erdoğans sicher wähnen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
ich bin der Meinung, dass Sie eine Kampagne zur Unterstützung von Osman Kavala initiieren könnten! Ich habe in keinem anderen Medium von seiner Verfolgung gelesen,