Cheney

US-Vize Dick Cheney, einmal im Original (links) und einmal dargestellt durch Christian Bale. © CC

Der politische Spielfilm ist zurück – Trump sei Dank!

Catherine Duttweiler /  Hochpolitisch und irrwitzig: In diesen Tagen werden mehrere sehenswerte Politfilme lanciert – darunter «Vice» über Dick Cheney.

Youngster George W. Bush und Routinier Dick Cheney diskutieren vorm Landhaus über die Erfolgschancen einer gemeinsamen Präsidentschaftskandidatur. Bush hat erkannt, dass er mit Cheney an seiner Seite fehlende Seniorität und Akzeptanz gewinnen könnte, doch dieser gibt sich scheinbar desinteressiert, da der Posten des US-Vize vor allem dekorativen Charakter hat. Dann formuliert er seine Bedingungen. «Wie wäre es, wenn ich ein paar Montagsjobs übernehmen würde, wie zum Beispiel die Aufsicht über die Bürokratie? Und das Militär? Und die Energie und dazu vielleicht die Aussenpolitik?» Bush ist begeistert. Deal.

Die Szene im Spielfilm «Vice – der zweite Mann» (vgl. Trailer) ist nur eine von vielen, die Cheneys raffinierten Gang durch die Institutionen aufzeigt. Binnen weniger Jahre wird der einstige Trunkenbold und Studienabbrecher zum Strippenzieher im Machtzentrum des Weissen Hauses. Angetrieben von seiner ehrgeizigen Ehefrau steigt er auf vom Praktikanten und Politberater zum jüngsten Stabschef des Landes, zum Verteidigungsminister und schliesslich eben zum Vizepräsidenten. Immer wieder greift er zu schmutzigen Tricks, etwa wenn er dafür sorgt, dass er Blindkopien aller Mails an den Präsidenten sowie die Briefings der Geheimdienste vorab erhält – oder indem er den Entscheid zum Einmarsch in den Irak manipuliert. Zur Illustration der Folgen seiner skrupellosen Entscheidungen blendet Regisseur Adam McKay mit blitzschnellen Schnitten immer wieder drastische Kriegsszenen ein – und lässt dabei keinen Zweifel daran, dass er Cheneys gnadenloses Vorgehen verurteilt.

Harte Fakten, unterhaltsam drapiert
«Vice» ist politisch engagiertes Kino – aber nicht mit erhobenem Zeigefinger, und das ist neu. Hollywoods Starregisseure haben zwar seit Jahrzehnten immer wieder mit Spielfilmen politisch Stellung bezogen, mit Kritik am Vietnamkrieg («Platoon»), mit gut recherchierten Filmporträts über Whistleblower («Snowden») oder frühere US-Präsidenten und deren Skandale («LBJ», «JFK» oder «All the President’s Men» zu Watergate). Aber ihre Filme waren oft schwere Kost. «Vice» dagegen ist eine Tragikomödie, geprägt von skurrilen Effekten, so dass einem das Lachen immer wieder im Hals stecken bleibt – ähnlich wie schon in «BlackKlansmen», wo Spike Lee auf höchst unterhaltsame Weise die Aktivitäten des KuKluxKlans auf die Schippe nahm und den Rassenhass in den Südstaaten entlarvte.

Natürlich sei sein Film stark geprägt von Trumps Amerika, sagte Regisseur McKay, der früher die amerikanische Satiresendung «Saturday Night Live» produzierte, letzte Woche an der Berlinale: «Es läuft zur Zeit so vieles so schrecklich falsch, darauf muss man reagieren.» Amerika habe sich von einem Land, in dem es primär um die Verwirklichung von Träumen sowie um die Familie ging, zu einer Nation entwickelt, «für die nur Macht und Karriere zählen», so McKay weiter. Sein assoziativer, teils grotesker Stil trifft den Nerv der Zeit und scheint in der Fachwelt wie beim Publikum anzukommen: «Vice» hat acht Oscarnominierungen erhalten und in den USA, wo der Film seit Dezember läuft, bereits über 45 Millionen Dollar eingespielt. In der Deutschschweiz ist am Donnerstag Kinostart.

Dass «Vice» seine Europapremiere ausgerechnet in Berlin hatte, passt zur Berlinale, welche schon immer das politischste aller internationalen Filmfestivals war. Darüber hinaus hatten eine ganze Reihe von aufschlussreichen Politfilmen in den letzten Tagen ihre Weltpremiere:

«Synonymes» von Nadav Lapid, welcher mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde, schildert die Wahnwelt eines ehemaligen israelischen Soldaten, der sich im Leben nach dem Krieg nicht mehr zurecht findet, seine Herkunft und Sprache ablehnt, sich eine neue Identität in Paris erschaffen will und dabei scheitert: anspruchsvolles Kino

«L’Adieu à la nuit» beschreibt die Radikalisierung eines jungen Franzosen, der zusammen mit seiner Freundin in den Heiligen Krieg ziehen will, und zeigt den überzeugenden Schweizer Jungschauspieler Kacey Mottet Klein in der Hauptrolle, an der Seite von «Grossmutter» Catherine Deneuve: ein berührender und gelungener Film von André Techiné

«Mr. Jones» erzählt die wahre Geschichte eines hartnäckigen jungen Reporters aus Wales, der im Zweiten Weltkrieg die russische Propaganda entlarvt und Missstände in der ausgehungerten Ukraine aufdecken will, aber von etablierten Medien daran gehindert wird; Regisseurin Agnieszka Holland versteht ihren Film als Beitrag gegen die heutige Desinformation und die Glorifizierung von Stalin: «Wir verlieren derzeit in Europa unsere Immunität gegen Diktaktoren», warnte sie in Berlin: sehenswert

«Marighella» von Wagner Moura schliesslich dokumentiert eindrücklich den engagierten Widerstand junger Menschen gegen das Militärregime im Brasilien der 70er Jahre – bis dieser schliesslich durch Spitzel und brutale Folter gebrochen wird: ein bewegender, aber teils unnötig gewalttätiger Film

Diese vier Wettbewerbsfilme verarbeiten ihren politischen Stoff klassisch, durchwegs mit grosser Ernsthaftigkeit bis hin zur Verzweiflung – ganz im Gegensatz zu den humoristischen Momenten in »Vice». Das mag an dem in Hollywood dominierenden Drang zur Unterhaltung liegen, sicher aber auch am komödiantischen Hintergrund von Regisseur Adam McKay sowie an der politischen Grundstimmung in Trumps Amtszeit, welche Ironie und Sarkasmus aufblühen lassen.

Parallelen und Unterschiede zwischen Cheney und Trump

«Monster begegnen uns in allen Formen und Grössen», warnte McKay letzte Woche in Berlin: «Cheney war eine beruhigende Person, die den Menschen Sicherheit vermittelte, gerne im Hintergrund blieb und ein guter Familienvater war.» Es gebe zahlreiche Unterschiede zwischen Dick Cheney und Donald Trump, betonte auch Hauptdarsteller Christian Bale, der eigens für die Rolle 25 Kilo zugenommen hatte: So habe Cheney die Kunst des Schweigens beherrscht, was man von Trump nicht eben behaupten könne.

Eine Frage habe die Macher von «Vice» immer wieder stark beschäftigt, in Bezug auf Cheney wie auf Trump: «Wie kann jemand schlafen, der verheerende Entscheide fällt wie diese beiden Machtpolitiker?» Eine Antwort auf diese Frage haben sie nicht gefunden. Dafür ist der doppeldeutige Titel aufschlussreich: «Vice» steht nicht nur als Kürzel für den Vizepräsidenten, es bedeutet übersetzt auch «Laster».


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