Loading of wheat on the ship

Weizen, der in ein Handelsschiff verladen wird. © Depositphotos

Das Getreideabkommen am Schwarzen Meer ist ein Erfolg

Daniela Gschweng /  Seit zwei Monaten gilt das russisch-ukrainische Getreideabkommen. Halbzeit. Vielleicht. Bisher funktioniert es gut.

Seit 22. Juli gilt das Getreideabkommen, das es Handelsschiffen erlaubt, drei ukrainische Häfen wieder anzusteuern. Bisher lief es ohne grössere Probleme. Mehr als sechs Millionen Tonnen Agrarprodukte sind bis Anfang Oktober über einen Seeminen-freien Korridor im Schwarzen Meer aus der Ukraine exportiert worden.

Weniger als die Hälfte des wichtigen Getreides ging bisher in ärmere Länder. Genutzt hat es den Ländern in Ostafrika und im Nahen Osten trotzdem. Die Getreidepreise sind gefallen, seit das Abkommen in Kraft getreten ist. Das ist vorteilhaft für alle, die sich am Markt mit Getreide versorgen.

Ende September war Halbzeit. Vielleicht.

Derzeit steigt der Weizenpreis wieder. Unter anderem, weil die Zukunft der Übereinkunft unklar ist. Geschlossen wurde das durch Vermittlung der Türkei zustande gekommene Abkommen zwischen Russland und der Ukraine vorerst für 120 Tage. Die Hälfte dieses Zeitraums ist vorüber.

Wladimir Putin hat bereits damit gedroht, das Abkommen wieder auszusetzen. Mehr als die Hälfte der Exporte seien nicht in hungerleidende Länder, sondern vor allem nach Europa und in die Türkei gegangen. Russland fühle sich veräppelt.

Exportiert wurde vor allem in den ersten Tagen nach dem 1. August sehr viel Mais, der vorwiegend als Tierfutter verwendet wird. Auch Tierfutter sei ein Teil der Lebensmittelproduktion, sagte der UN-Koordinator in Istanbul, Amir Mahmoud Abdulla, in einem Interview mit der «Zeit» Anfang Oktober. «Ich denke, das Abkommen funktioniert ziemlich gut», resümierte er gelassen.Auch Mais unterstütze die globale Nahrungsmittelproduktion.

Die Fahrt bleibt ein teures Risiko

Welches Getreide die Schiffe laden und welchen Zielhafen sie anlaufen, hängt auch von anderen Faktoren ab. Schiffe, die vom Kriegsanbruch überrascht worden waren und monatelang in der Ukraine festsassen, verliessen die Häfen zuerst, jahreszeitlich bedingt meist mit Mais. Seit die Durchfahrt durch das Schwarze Meer wieder möglich ist, greifen auch Verträge wieder, die Abnahmemengen vorsehen. Eine Verpflichtung, an einen bestimmten Ort zu liefern, gibt es nicht.

Und es kommt darauf an, wer trotz des Risikos in ein Kriegsgebiet fahren will und kann. Fahrten durch das Schwarze Meer sind teuer und aufwendig. Die Risikoprämien seien inzwischen aber deutlich gesunken, berichtete «agrarheute» schon Ende August. Reedereien setzen kleinere Schiffe ein als vor dem Krieg, einige Unternehmen befahren die Route überhaupt nicht, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters, die sich bei den Reedereien umgehört hat.

Noch viele praktische Hürden

Dennoch: Es könnte schneller gehen, sagt Abdulla. Inspektoren aller drei Parteien und der UN kontrollieren bei der Ein- und Ausfahrt ins Schwarze Meer in Istanbul die Besatzung, die Treibstofftanks und die Fracht.

Die Kontrolle soll sicherstellen, dass keine Waffen in die Ukraine gebracht und nur Getreide ausgeführt wird. Im besten Fall dauere sie 20 Minuten, im schlechten mehrere Stunden. Zu wenig Kontrollpersonal oder schlecht vorbereitete Kapitäne zögen die Kontrollen in die Länge.

Für unnötige Wartezeiten sorge auch die Behandlung der Fracht mit Gasen, die Schädlingsbefall verhindern soll. Begast wird manchmal schon im Ursprungshafen in der Ukraine, bei einigen Lieferungen ist das Vertragsbedingung.

Danach werden die Luken geschlossen und dürfen für mehrere Tage nicht mehr geöffnet werden, weil Gase wie Phosphorwasserstoff giftig sind. Die Schiffe warten diesen Zeitraum in der Türkei ab. Praktischer wäre es, die Fracht erst nach der Kontrolle in der Türkei zu begasen. Dann fänden sich wohl auch mehr Kontrollierende, sagt Abdulla. Gegenwärtig hätten viele Angst vor Vergiftungen.

Kein ganz normaler Job für die Besatzung

Vereinzelt gibt es auch Probleme, die aus Unkenntnis der Situation herrühren. So gab es auf einem griechischen Frachter Ärger, weil die aus den Philippinen stammende Besatzung russische SIM-Karten dabeihatte. Das sei normal, berichtet der mitfahrende Reporter Simon Langemann, ebenfalls für die «Zeit». Die Besatzungen laufen viele Häfen an und besorgen sich in der Regel lokale SIM-Karten, um mit ihren Familien in Kontakt zu bleiben.

Ganz normal sei es für die Seeleute nicht, die Ukraine anzufahren. Das Risiko fährt mit. Dennoch, es gebe ihm das Gefühl, der Ukraine und anderen Ländern helfen zu können, sagt der Zweite Offizier auf der Fahrt von Istanbul nach Cartagena, Spanien. Das nächste Ziel liege allerdings bei Sankt Petersburg in Russland – so sei eben der Job.

Es fehlen grosse Schiffe und grosse Häfen

Den Getreideberg in der Ukraine vollständig abzubauen, wird mit Hilfe des Abkommens nicht gelingen. Die Mengen, die die Ukraine verlassen, sind noch immer vergleichsweise klein.

Zum Vergleich: Bis Ende August exportierte die Ukraine im vergangenen Jahr 7 Millionen Tonnen Getreide, davon 3,4 Millionen Tonnen Weizen, 2,4 Millionen Tonnen Gerste und 1,2 Millionen Tonnen Mais, fasst «agrarheute» nach Daten des ukrainischen Landwirtschaftsministeriums zusammen. Dieses Jahr waren es bis Ende August 937’000 Tonnen Weizen, 274’000 Tonnen Gerste und 2,2 Millionen Tonnen Mais. Aus der alten Ernte lagerten zu Kriegsbeginn 20 bis 25 Millionen Tonnen Getreide im Land.

Einer der Gründe: Das Abkommen schliesst den zweitgrössten ukrainischen Hafen, Mykolajiw, nicht mit ein. Zudem sei in Südamerika gerade Erntesaison, die Ernte in Brasilien sei noch dazu sehr gut ausgefallen, sagt Khalid Hashim, Geschäftsführer der thailändischen Reederei, Precious Shipping, zu Reuters. Transportschiffe würden gerade anderswo gebraucht.

Die Nahrungsmittelkrise wird sich fortsetzen

Von der diesjährigen Ernte läuft wieder ein Getreideberg auf. Dennoch ist jede Tonne exportiertes Getreide eine Unterstützung der ukrainischen Bauern. Wenn sie das Getreide nicht verkaufen können, haben sie kein Geld für die nächste Aussaat.

Die Winterweizensaat könnte um ein Drittel geringer ausfallen als in den Jahren davor, warnt Reuters. Die Nahrungsmittelknappheit wird sich also fortsetzen. Neben den durch den Krieg erschwerten Bedingungen für die ukrainischen Landwirte fehlt es weltweit beispielsweise auch an Dünger, der bisher grösstenteils aus Russland kam.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

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Die Ukraine zwischen Ost und West: Jetzt von Russland angegriffen

Die Ukraine wird Opfer geopolitischer Interessen. Die Nato wollte näher an Russland. Seit dem 24.2.2022 führt Russland einen Angriffskrieg.

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Eine Meinung zu

  • am 15.10.2022 um 18:10 Uhr
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    Danke, ein Lichtblick in einer leidvollen Zeit. Kriegswillige Imperialisten und womöglich gefährliche Globalisten, welche die Gefahr einer Gleichschaltung mit sich bringen, ohne Individualität, alles Verwaltet und reduziert auf Funktion und Zweck, was für eine schreckliche Zeit. Es erinnert mich an das Buch von Sofsky «Traktat der Gewalt» und Huxleys «Schöne neue Welt». Inmitten dieser destruktiven Idelogien drückt sich dann doch etwas aus, was mich an den Weltethos von Hans Küng erinnert, es wird Nahrung geteilt, ein kleines Licht in dem Wahn von gewalttätigen Ideologien. Würde die Bewegung des Weltethos soviel Energie bekommen wie die Gewaltmaschine kostet, dann wären wir weiter denn je. Niemand braucht Globalismus oder Imperialismus, aber alle brauchen gute Werte, einen Weltethos. Trotzdem wollen viele mit Macht herrschen, und nicht einem Weltethos dienen. Ein trauriges Zeugnis für die verantwortlichen Gewaltstifter und Gewalttäter/innen.

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