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Bauersfrau aus Yunnan verkauft grillierte Kartoffeln. © CC

China möchte sein Milliardenvolk mit Kartoffeln sättigen

Peter G. Achten /  Essgewohnheiten verändern ist schwer – für Menschen wie für ganze Länder. China propagiert Kartoffeln und hat Mühe damit.

Die Weltkartoffelkonferenz – ja, das gibt es tatsächlich – fand vor vier Jahren in Peking statt. Nicht von ungefähr. Chinas Regierung macht sich seit Jahren grosse Sorgen um die Ernährungssicherheit des 1380-Millionen-Volkes. Denn das Reich der Mitte verfügt nur über einen Zehntel des weltweit verfügbaren Ackerlandes und muss damit einen Fünftel der Menschheit ernähren. Zwar stiegen mit der vor vierzig Jahren eingeleiteten Wirtschaftsreform auch die Getreideernten beträchtlich. Doch trotz der Rekordernte von 607 Millionen Tonnen mussten 2014 zusätzliche 100 Millionen Tonnen auf dem Weltmarkt besorgt werden, vor allem Soja, Reis, Weizen, Mais, Gerste, Hirse, Speiseöle und Zucker. 
Mangelnde Ernährungssicherheit bedroht politische Stabilität
Die Mais-, Weizen- und Reisproduktion im eigenen Land ist mittlerweile fast ausgereizt, trotz reichlichem Einsatz von Düngemitteln. Bis 2020 etwa sind insgesamt 650 Millionen Tonnen nötig, um die Bevölkerung zu ernähren. Nach Berechnungen der Weltbank braucht es im Jahre 2030 über 700 Millionen Tonnen für eine Bevölkerung von dannzumal 1,5 Milliarden Einwohnern. Die Ernährungssicherheit hat für Chinas Partei und Regierung oberste Priorität. Bereits 2016 hiess es unheilschwanger im «Shishi Chubanshe», einer wichtigen Publikation aus dem Parteiverlag, dass eine Krise der Nahrungsmittelversorgung für das Land bedrohlicher sein könnte «als einst der Zusammenbruch der Sowjetunion und des Ostblocks».
In China hat Essen traditionell einen ungleich höheren Stellenwert als anderswo. Hungersnöte dramatischen Ausmasses haben in der langen Geschichte immer wieder zu traumatischen, im kollektiven Bewusstsein verankerten Erlebnissen geführt. Die letzte grosse Hungersnot liegt noch nicht lange zurück. Während dem von Mao Dsedong veranlassten utopischen «Grossen Sprung nach Vorn» (1958 bis 1961) verhungerten zwischen 30 und 45 Millionen Menschen.
Staat subventionert Produktion und Forschung von Kartoffeln
Seit 2015 spielt die Kartoffel als strategisches Schwerpunktprojekt in der staatlichen Planung eine besonders wichtige Rolle. Das Landwirtschaftsministerium preist das Nachtschattengewächs als «ideales Nahrungsmittel»: «Tudou», so die chinesische Bezeichnung, gedeihe unter «kalten, trockenen und unfruchtbaren Bedingungen» und könne besonders im Süden auf brach liegenden Feldern auch im Winter angebaut werden. Die Knolle sei zudem vitaminreich, fettarm und sättigend, vom Nährwert her dem Reis durchaus gleichzustellen. Für die staatlichen Behörden ist es entscheidend, dass der Wasserbedarf ein Drittel geringer ist als bei Reis oder Weizen. Für Kartoffel-Saatgut erhalten willige Bauern daher staatliche Subventionen. Das Landwirtschaftsministerium fördert mit Nachdruck auch die Forschung über neue Kartoffelsorten, die gegen Seuchen resistenter sind und sich speziell für den trockenen Boden Nord- und Westchinas eignen.

Reis und Nudeln sind weit beliebter
Trotz dieser Massnahmen hat es die Kartoffel, die aus den südamerikanischen Anden stammt, nie richtig auf den chinesischen Speiseplan geschafft. Ein Nudel- beziehungsweise Reisgraben durchschneidet das Land von Ost nach West entlang des Yangtse-Flusses. Nördlich davon werden vor allem Nudeln und chinesische Ravioli («Jiaozi») gegessen. Südlich davon ist Reis unbestritten das dominierende Lebensmittel. Und doch produziert China mittlerweile ein Viertel aller Kartoffeln weltweit und ist mit rund 100 Millionen Tonnen vor Russland und Indien der weltweit grösste Kartoffelproduzent – zum Vergleich: Die Schweizer Ernte beläuft sich auf 460’000 Tonnen pro Jahr.
Kartoffel ist ein Schimpfwort für Beamte
Noch deutlicher wird die Abneigung der Chinesen anhand des Pro-Kopf-Verbrauchs: In China beläuft sich dieser auf vergleichsweise klägliche 31 Kilogramm pro Jahr – während die Russen durchschnittlich 170 Kilogramm und die Schweizerinnen und Schweizer 46 kg verzehren (gemäss der russischen Statistik essen die Russen allerdings ’nur› 112 kg pro Person und Jahr. Red.). Zwar werden in unzähligen Kochshows am staatlichen Fernsehen leckere Kartoffel-Rezepte propagiert, doch der Erfolg bleibt bescheiden. Nicht als Sättigungsbeilage sondern als Gemüse wird die Knollenfrucht genossen, zum Beispiel als «Tudousi», also fein in Streifen geschnittene Kartoffeln, die mit etwas Essig und Öl angerichtet werden. Lecker. Doch wie einst in Europa gelten Kartoffeln als Nahrungsmittel für arme Leute. Hinzu kommt, dass der Name des Nachschattengewächses auch als Schimpfwort benutzt wir für korrupte Beamte.
Der Regierung allerdings ist es ernst mit dem strategischen Schwerpunkt Kartoffel –und ist damit nicht allein: Schon vor zehn Jahren hat die UNO-Landwirtschaftsorganisation FAO die Knollenfrucht als Nahrungsmittel gelobt, dank dem es am ehesten gelingen könne, die Ernährungsprobleme auf der Welt zu meistern. Peking möchte einem gesünderen und ausgewogeneren Ernährungsverhalten zum Durchbruch verhelfen und gleichzeitig die Nahrungsmittelsicherheit aufrecht erhalten. 
Der Weg wird lange und mühsam sein. Essgewohnheiten verändern ist überall langsam, in China ganz besonders. Neulich genoss der Schreibende mit chinesischen Freunden «Mantou» (Dampfbrötchen) und danach «Miantiao» (Nudeln). Stolz wies der Koch darauf hin, dass er dabei dreissig Prozent Kartoffelmehl verwendet habe. Das Verdikt der Chinesinnen und Chinesen, aber auch des Europäers, war eindeutig: Weizen-«Mantous» oder Reis-«Miantiaos» sind köstlich, mit Kartoffelmehl versetzt aber nur knapp geniessbar.
Chinesische Kartoffeln auf Mond-Mission
Chinas Staats-, Partei- und Militärchef Xi Jinping mag bei König Friedrich dem Grossen Trost suchen und Hoffnung finden. Im 18. Jahrhundert erliess der preussische König den berühmten «Kartoffel-Befehl», um seinem widerwilligen Volk – wie heute Xi den Chinesen – das «auf sehr vielfache Weise dienliche Erdgewächs» schmackhaft zu machen. Das ist dem König wohl gelungen, zieht man die deutsche Küche in Betracht. Das China punkto Kartoffel langfristig plant, zeigte sich neulich, als auf der neuesten Mond-Mission ein Behälter mit Kartoffelknollen mitgeführt wurde.
Noch mehr Hoffnung kommt aus Westchina. Die Pekinger Parteiführung hat wohl bislang übersehen, dass neben dem Nudel- und Reisgraben auch ein Röstigraben das Land durchzieht. Dieser trennt die westliche Provinz Yunnan vom Nudel- und Reisland ab. Französische Kolonialisten haben die Kartoffel einst nach Vietnam, südlich von Yunnan, importiert, wo bis auf den heutigen Tag mit Genuss «Pommes frites» verzehrt werden. Im 19. Jahrhundert versuchten die Franzosen nach Norden zu expandieren. Dabei nahmen die französischen Gourmands und Gourmets auch ihre Pommes mit. Allerdings, wie sich heute zeigt, mit wenig Erfolg. Durchgesetzt haben sich vielmehr klein gehackte Bratkartoffeln, im schweizerischen Alpenraum auch als Rösti bekannt. «Yunnan-Rösti» aus Kunming oder Shangri-la ist die beste Rösti der Welt. Östlich von Truebschachen jedenfalls. 
Das kümmert die Chinesen bislang kaum. Und so müssen in der Grossstadt Chengdu Studentinnen und Studenten in der Uni-Kantine, von der Obrigkeit angeordnet, dreimal am Tag Kartoffeln essen: Zum Z`Morge, zum Z`Mittag, zum Z`Nacht. En Guete!


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5 Meinungen

  • am 4.02.2019 um 14:05 Uhr
    Permalink

    In der frühen Kindheit, bis etwa 3-4 Jahren, in der noch nicht reflektiert wird und deshalb auch nichts erinnert wird, werden eine Reihe von geistigen Dingen eingeprägt, z.B. Geschmacksurteile oder Nostalgieurteile, wie Heimatgefühle als Erlebnisse aus der unreflektierten Zeit.
    Direkt wird die Nostalgie nicht in der ICD10 43.2 genannnt, aber auch ein übergrosses Heimweh nach dem Leben im Heimatort oder eine übergrosse Sehnsucht an die gefühlt guten alten Zeiten kann zu einer schweren «Anpassungsstörung» führen,
    z.B. als Kulturschock. http://www.icd-code.de/icd/code/F43.2.html
    Diese Erkenntnisse aus der kognitiven Psychologie werden von den Spezialisten in der politischen Manipulation und dem undemokrtischen Wählerfang reichlich instrumentalisiert.

  • am 4.02.2019 um 17:24 Uhr
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    Peter G. Achten schreibt, nach Berechnungen der Weltbank brauche China im Jahre 2030 über 700 Millionen Tonnen Getreide für eine Bevölkerung von dannzumal 1,5 Milliarden Einwohnern.
    Rechne!
    Das macht pro Jahr und Kopf (Säuglinge inklusive) 467 Kilo Getreide. Sollte die von P. G. Achten rapportierte Zahl stimmen, so würde wohl ein erklecklicher Teil dieses Getreides als Viehfutter verwendet. Die drohende Hungersnot ist abzuwenden, wenn das Getreide direkt dem menschlichen Verzehr zugeführt würde. Die chinesischen Essgewohnheiten mit viel Schweinefleisch sind daher das noch grössere Problem als die beschriebene Abneigung der Chinesen, sich mit Kartoffeln ernähren zu wollen.

  • am 4.02.2019 um 18:06 Uhr
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    Es geht die Mär, dass der «Alte Fritz» einen schlauen Trick angewendet hat, um die misstrauischen und widerspenstigen Bauern zum Anbau der neumodischen Erdknolle zu überlisten: Angeblich liess er einen Kartoffelacker von Soldaten bewachen. Die Bauern waren natürlich scharf auf diese so wertvolle Bodenfrucht und stahlen sie in «unbeobachteten» Momenten, wobei sie natürlich nicht wussten, dass genau dies bezweckt war……

  • am 4.02.2019 um 23:48 Uhr
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    Auch zu erwähnen ist das Landgrabbing im grossen Stil, das China mit List in Afrika und in Asiatischen Ländern betreibt.

  • am 5.02.2019 um 15:09 Uhr
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    Zum Glück gibts nächstens eine tiefgreiffende Krise, in der die gesamte Weltsicht durcheinander gewirbelt werden wird. Kreativität, Flexibilität und Überlebenswille wird dann das wichtigste Gut sein.

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