«Change» mithilfe des Volkes: der neue Obama (1)
«More determined, more inspired», das waren Schlüsselworte von Barack Obama nach seiner überraschend starken Wahl für eine zweite Amtszeit. «Ich kehre entschlossener und inspirierter zurück nach Washington», erklärte er, und mehr noch: Er forderte seine Anhänger auf, weiter zu machen in ihrem Engagement. Zum amerikanischen Traum gehöre, dass es nicht darum gehe, was «für uns» getan werde, sondern was wir «selber tun» würden: «not what’s being done for us… but done by us». Und dann warf er noch das grosse Wort vom «self-government» in die Menge.
Der aussenstehende Beobachter fragte sich trotz aller Erleichterung und Begeisterung, was denn mit «self-government» wohl gemeint sein könnte in diesem amerikanischen System der Wahldemokratie. Aber nun lichtet sich langsam der Nebel. Der neue Obama will den Wahlerfolg und den Wahlapparat einsetzen, um mit dem Volk für die gemeinsamen Ziele den Kongress unter Druck zu setzen, wenn es not tut. Aber dazu später.
Das Schlamassel in Washington: Lockere Sitten in Armee und CIA
Zuerst fand er in der Hauptstadt ein Schlamassel vor, das den Traumstart gründlich zu vermiesen drohte. Als erste traten ein paar ältere Herren in Generalsuniform auf, die sich nach dem Motto «Macht ist ein Aphrodisiakum» den klaren Verstand hatten vernebeln lassen. Der eine, mittlerweile CIA-Chef, hatte sich auf eine gefährliche Liebschaft eingelassen. Und der andere, Afghanistan-Kommandant, pflegte zusammen mit dem ersten eine Onkelrolle gegenüber nicht ganz vertrauenswürdigen Frauen, die weit über ihre Verhältnisse lebten, wie man heute weiss.??Den Präsidenten scheint das bis heute einigermassen unberührt zu lassen, auch wenn Medien und Öffentlichkeit sich weltweit von der Affäre haben einfangen lassen. Mit Krieg und Sex und Uniform und Geheimdienst und (vielleicht) Verrat und dem Sturz von Mächtigen enthält sie ja auch alle Ingredienzien einer lustvollen Story, aber bis heute bietet sie nicht viel mehr als ein B-Movie-Drehbuch für ein zweitklassiges Testosteron-Drama, auch wenn die CIA jetzt gegen ihren ehemaligen Chef zu ermitteln beginnt.
Das FBI als Sittenwächter
Vielleicht ist es sogar ein sehr schlechter Film, wie der Geheimdienstexperte und Pulitzer-Preisträger Tim Weiner meint. Weil nämlich die ganze Bettgeschichte von General Petraeus nur zur Affäre wurde und zum Rücktritt des CIA-Chefs führte, weil ein besessener FBI-Mann meinte, er müsste die Bettgeschichte einem republikanischen Kongressabgeordneten stecken, und sich so gegen ausdrückliche Weisung zum Gesetz machte.??Weiner erinnert an die furchterweckenden Methoden des früheren FBI-Chefs J. Edgar Hoover, der in den Betten von Martin Luther King und John F. Kennedy – und vieler anderer – herumschnüffelte und sein Wissen als Druckmittel einsetzte. Mit dieser Erinnerung stellt Weiner fest: «Es geht das FBI überhaupt nichts an, was irgendein Amerikaner, einschliesslich des CIA-Chefs, in seiner Freizeit aus freiem Willen in seinem Bett treibt.» Und es ist nicht die Aufgabe des FBI und seiner Agenten, mit Informationslecks Recht und Gesetz zu spielen.
Am Schluss ist das vielleicht der wichtigste Aspekt dieser Geschichte.
Aber die Sitten in der Armeeführung sind möglicherweise doch etwas locker geworden. Jedenfalls sah sich Verteidigungsminister Panetta genötigt, die ethischen Standards in der Armeespitze überprüfen zu lassen, nachdem er den Chef des Afrika-Kommandos, den Drei-Sterne-General William Ward, zum Zwei-Sterne-General degradiert und zu einer Rückzahlung von 82’000 US-Dollar und einer Pensionskürzung verknurrt hatte. Ward hatte sich und seiner Ehefrau immer mal wieder auf Staatskosten ein paar luxuriöse Tage in Nobelherbergen gegönnt.
Das verbiesterte Amerika
Für den Präsidenten sind das alles Nebenkriegsschauplätze. Genauso wie die verzweifelten Versuche rechtskonservativer Organisationen, die Wiederwahl Obamas ungeschehen zu machen. Der «Conservative Majority Fund», eine Organisation, die sich schon mit der Behauptung bekannt gemacht hatte, Barack Obama sei gar kein amerikanischer Staatsbürger, startet jetzt eine Impeachment-Kampagne für die Amtsenthebung des wiedergewählten Präsidenten. Bis jetzt sind vor allem Telephonbesitzer in den Staaten Washington, Colorado, New Jersey und Virginia mit dieser «Robocall»-Kampagne – mit automatisierten Telephonanrufen – belästigt worden. Ein bisschen mehr Gewicht dürften die Petitionen für eine Sezession – einen Austritt aus den Vereinigten Staaten von Amerika – erhalten, die nach dem Sieg Obamas lanciert worden sind. Immerhin sind mittlerweile aus allen 50 Bundesstaaten solche Begehren eingetroffen, und einige haben sogar die Zahl von 25’000 Unterschriften erhalten, die ihnen das Recht auf eine Antwort von der Regierung gibt (im Zeitalter der Internetpetitionen sind 25’000 Unterschriften keine besonders hohe Schwelle).
Letzten Endes werden diese Begehren zum Scheitern verurteilt sein, auch die Petitionen aus den besonders frustrierten «tiefroten» (republikanischen) Staaten an die Bundesregierung. Ihre Gouverneure haben sich samt und sonders gegen Sezessions-Bestrebungen geäussert, denn sie wissen trotz der gängigen Kritik am «viel zu grossen» Bundesstaat, dass sie von «Washington» mehr erhalten als sie an Steuern an den Bundesstaat abliefern, ganz abgesehen von den Transferleistungen aus den industrialisierten und urbanen Staaten an die ländlichen Gebiete im Süden und im Mittleren Westen. Ausserdem hat das Oberste Gericht der USA vor 15 Jahren festgestellt, dass Sezession in der amerikanischen Verfassung nicht vorgesehen und daher illegal ist. Obama kann das alles also wie bisher ziemlich cool spielen, wenn auch der verbiesterte Widerstand politischer Sekten so ganz und gar nicht in seine Vision der vielfältigen aber Vereinigten Staaten von Amerika passt.
Versöhnung mit Clinton und Romney
Barack Obama ist ein Mensch, der auch nach heftiger Auseinandersetzung die Versöhnung und nach Möglichkeit sogar die Zusammenarbeit sucht. So hat er mit Hillary Clinton nach dem bitteren Wahlkampf von 2008 eine Aussenministerin gewonnen, die in der Welt für Amerika und zuhause für seine Regierung grosse Anerkennung gewonnen hat. Und so sucht er nach einer langen und heftigen Auseinandersetzung nun auch das Gespräch mit Mitt Romney. Er verspricht sich offenkundig vom Olympiamanager Romney Anregungen für eine schlankere, effizientere Organisation der Administration in Washington – ein Projekt, das vielen Republikanern besser gefallen dürfte als manchen Demokraten. Was nicht heisst, dass die Republikaner eine solche Reform mittragen würden. Aber zurzeit sind sie ohnehin weitgehend damit beschäftigt, die Wahlniederlage zu verdauen und sich von den neuesten Äusserungen ihres Kandidaten Romney über die Gründe der Niederlage zu distanzieren.
Klartext zu McCain
Den neuen Obama erleben wir in der Auseinandersetzung mit John McCain, der seine Niederlage gegen Obama im Wahlkampf 2008 offenbar bis heute nicht überwunden hat. McCain versucht, die misslungene Informationspolitik von CIA und Administration in der Bengasi-Affäre aufzuwärmen und sich als Kritiker der Uno-Botschafterin Susan Rice in Szene zu setzen. (Bei einer terroristischen Attacke auf die US-Botschaft in Bengasi waren vier Amerikaner ums Leben gekommen, unter ihnen der Botschafter). Rice hatte in einer ersten Stellungnahme noch von einer spontanen Demonstration gegen die US-Botschaft in Bengasi gesprochen. Erst mehrere Tage später legte die CIA die korrekte Version auf den Tisch, obwohl CIA-Chef Petraeus schon früh Hinweise auf den Angriff einer Al-Qaida-Miliz hatte. Susan Rice gilt als Obamas erste Wahl für die Nachfolge von Hillary Clinton als Aussenministerin. Für John McCain ist das offenbar eine Gelegenheit, dem Präsidenten eine schmerzhafte Niederlage beizufügen, denn er ist trotz der Aussprache nach dem Wahlkampf von 2008 nie Obamas bester Freund geworden.
Der Präsident seinerseits hat offenbar die Nase voll von solchen Washingtoner Insider-Spielchen. Er ist darüber sichtlich verärgert, und so nahm er sich McCain und seine Mitstreiter in der ersten Pressekonferenz nach der Wahl energisch zur Brust. Nachdem er darauf hingewiesen hatte, dass McCain über genau die gleichen «Talking Points» – das Informationspapier der CIA – verfügt hatte wie Rice, erklärte er: Wenn Senator McCain «jemanden jagen will, soll er mich jagen. Ich freue mich auf diese Diskussion.»
Auf der anderen Seite leistet sich der alternde McCain auf der Suche nach einer bedeutenden Rolle im Senat immer neue öffentliche Peinlichkeiten. Nachdem er ein vertrauliches Briefing hochrangiger Mitarbeiter der Administration über die Bengasi-Affäre für ausgewählte Kongress- und Senats-Mitglieder ausgelassen und statt dessen eine Pressekonferenz veranstaltet hatte, in der er mehr Information zu eben diesem Thema verlangte, lief er dem Senats-Korrespondenten des Nachrichtensenders CNN in die Arme. Und wurde gefragt, warum er nicht an der vertraulichen Sitzung teilgenommen habe. Worauf er ausrastete und die Antwort verweigerte. – CNN berichtete diese Begegnung genüsslich und leistete so einen weiteren Beitrag zum Abstieg eines Politikers, der früher als eigenwilliger und eigenständiger Kopf Anerkennung fand. Obama hingegen scheint nach Wahlkampf und Wahlsieg tatsächlich «inspirierter und entschlossener» als je nach Washington D.C. zurückgekehrt zu sein. Er spricht Klartext, verfolgt einigermassen unbeirrt seine Agenda und ist offenkundig bereit, seine bestätigte Macht und die Unterstützung im Volk für seine Ziele einzusetzen.
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(Am Montag, 19. November, folgt Teil 2 über Obamas politische Agenda in der Aussen- und Innenpolitik und die Mobilisierung seiner Anhänger für die Kernpunkte seiner Politik).
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine