SuuKy

Aung San Suu Kyi umringt von Anhängern © Htoo Tay Zar/Wikimedia Commons/cc

Burma am historischen Wendepunkt?

Peter G. Achten /  Am 8. November finden in Myanmar erstmals seit einem Vierteljahrhundert allgemeine Parlamentswahlen statt. Die Ausgangslage.

Der Wahlkampf ist lanciert: Exakt zwei Monate vor der Wahl haben die Parteien in ganz Myanmar damit begonnen, sich mit Wahlprogrammen und rosigen Versprechen bei Wählerinnen beziehungsweise Wählern einzuschmeicheln und politische Gegner verbal zu attackieren. Unter den rund 90 Parteien sind jedoch nur zwei entscheidend: die regierende, den Militärs nahestehende Union der Solidarität und Entwicklung (USDP) sowie die oppositionelle Nationale Liga für Demokratie (NLD).
Gemäss mehr oder weniger zuverlässigen Schätzungen und Umfragen wird die NLD gewinnen, manche prognostizieren ihr gar einen Erdrutschsieg. Doch auch die USDP soll, nach denselben vagen Voraussagen, noch eine Chance haben. Doch selbst wenn die NLD haushoch gewinnen sollte, ist sie bei einer möglichen Regierungsbildung auf eine Koalition angewiesen. Denn nach wie vor hält die Armee an ihrem in der Verfassung verankerten 25-Prozent-Sitzanteil fest. So kann sie jede Verfassungsänderung blockieren.

Die Macht des Militärs

Nach wie vor steht die bange Frage im politischen Raum, ob die Militärs, die vor der Wende 2011 Burma rund 50 Jahre lang mit eiserner Faust regierten, einen Wahlsieg der NLD überhaupt anerkennen würden. Immerhin hatten die Generäle 1990 den Wahl-Kantersieg der NLD für null und nichtig erklärt. Streng nach der Verfassung können die Generäle das Demokratie-Experiment jederzeit abbrechen. Das allerdings ist unwahrscheinlich. Viele meiner langjährigen Bekannten in Yangon und Mandalay sind felsenfest davon überzeugt, dass eine Rückkehr zur Militärdiktatur heute nicht mehr möglich sei. Die Militärs in Uniform – und jetzt immer öfter auch in massgeschneidertem zivilen Tuch – befänden sich auf dem Rückzug. Doch die Uniformierten wissen ihre Privilegien und Pfründe sehr wohl zu verteidigen – falls nötig, mit Nachdruck. Das zeigen die Jahre seit der behutsamen Öffnung hin zur Demokratie.

Faire und offene Wahlen

Bei der Eröffnung des Wahlkampfes appellierte NLD-Chefin Aung San Suu Kyi an die internationale Gemeinschaft, sie solle für «faire und offene» Wahlen einstehen und dafür sorgen, dass der «Volkswille» respektiert werde, damit ein «echter Wandel in Politik und Regierung» stattfinden könne. Ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger forderte die Friedens-Nobelpreisträgerin auf, bei der Stimmabgabe an die «künftigen Generationen» zu denken.
Das Wahlprogramm der Nationalen Liga für Demokratie ist allerdings recht schwammig. Kein Wunder, denn auch die vom Westen vergötterte Demokratie-Ikone Suu Kyi ist mittlerweile in den Niederungen des politischen Alltags angekommen. So hat die stets mit hohen Moralansprüchen antretende NLD-Chefin die Verfolgung der ethnischen Minderheit der muslimischen Rohingyas nie verurteilt und zur wüsten, rassistischen Hetze buddhistischer Mönche gegen die Rohingyas geschwiegen. Aung San Suu Kyi weiss, dass ihr politisches Kapital bei den Militärs, künftigen Koalitionspartnern, insbesondere aber beim Volk verspielt wäre, wenn sie sich für die Rohingyas einsetzen würde.

Suu Kyi reagiert empfindlich auf Kritik
Auch innerhalb der NLD steht nicht alles zum Besten. Die Chefin erträgt nur schwer Widerspruch und Kritik. Innerhalb der Partei gibt es Spannungen. Wie beim Militär sind auch bei der NLD Friktionen zwischen Jung und Alt festzustellen. Die «Generation 88» zum Beispiel – ehemalige Studenten, die bei den blutigen Unruhen 1988 ihre Köpfe hinhielten und danach wie ihr grosses Vorbild Suu Kyi jahrelang im Kerker sassen – ist enttäuscht, weil sie nicht in die NLD-Wahlliste aufgenommen worden ist.
Spannungen und Konflikte gibt es auch bei der regierenden USDP. Parlaments-Präsident und USDP-Chef Thura U Shwe Mann wurde vor einem Monat Knall auf Fall abgesetzt, und das auf Anordnung von Reform-Präsident Thein Sein. Der Pressesprecher des Präsidialamtes spielte alles herunter: «Es gibt keinen Grund zur Sorge, denn es ist nur eine Auseinandersetzung um die Parteiführung.» Ganz so harmlos ist die Absetzung Shwe Manns jedoch nicht. Nach Ansicht vieler burmesischer Beobachter haben mit der Absetzung Shwe Manns die Konservativen innerhalb der Streitkräfte wieder Boden gutgemacht gegenüber den jüngeren, eher reform-orientierten Militärs. Andere wiederum sprechen von «Rückzugsgefechten» der Generäle unter gleichzeitiger Wahrung ihrer Privilegien.

Privilegien erhalten

Nicht von ungefähr, denn es ging den älteren Militärs zwar gewiss auch um politische Macht, vor allem aber um eingefleischte Interessen und Vorrechte. Legal in der Wirtschaft – illegal beim Schmuggel von Hartholz. Auch bei Produktion und Schmuggel von Drogen hatten und haben die Militärs ihre Hände im Spiel, nicht selten in enger Zusammenarbeit mit den Aufständischen der ethnischen Minderheiten an der nördlichen, östlichen und westlichen Landesgrenze. Gespräche mit Aufständischen sind seit Längerem im Gang und sollen «kurz vor dem Abschluss» stehen. Vor den Wahlen jedoch wird es kaum mehr reichen. Bei den angestrebten Friedensabkommen geht es um mehr Autonomie für die ethnischen Minderheiten, politisch wie wirtschaftlich. Dabei sind natürlich die Interessen der Uniformierten tangiert.
Dass Präsident Thein Sein nun Parlamentspräsident und USDP-Chef Shwe Mann politisch mundtot gemacht hat, ist wohl durchdacht. Der konservative ehemalige General Shwe Mann, seit 2011 zum Reformer gewendet oder gar gereift, wollte nämlich Macht und Privilegien der Militärs nach und nach beschneiden. Ebenso wollte er eng mit Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi zusammenarbeiten. Der realpolitische Hintergrund: Die NLD-Chefin ist auch in Zukunft auf Koalitionspartner angewiesen, und Shwe Mann machte sich berechtigte Hoffnungen, vom neu gewählten Parlament mit einer NLD-Mehrheit zum Staatspräsidenten erkoren zu werden.
Das gilt umso mehr, als Aung San Suu Kyi nicht wählbar ist. Denn gemäss Verfassung darf jemand, der mit einem Ausländer verheiratet ist, nicht Präsident werden. Diese Bestimmung ist übrigens nicht spezifisch auf Suu Kyi gemünzt, wie immer wieder im Westen behauptet wird. Bereits in der ersten Verfassung von 1947 gab es eine entsprechende Klausel. Mitverfasser der damaligen Verfassung: General Aung San, Vater von Suu Kyi.

Demokratie braucht Zeit

Der Wahltag vom 8. November wird in jedem Fall ein Wendepunkt im burmesischen Demokratie-Prozess sein. Doch eine allzu schnelle Entwicklung sollte man nicht erwarten. Der Übergang von der Militärdiktatur zur Demokratie braucht lange Jahre. Vom Westen gibt es dafür nur wenig Verständnis. Als US-Präsident Obama 2012, ein gutes Jahr nach der Wende, erstmals Myanmar besuchte, lobte er Präsident Thein Sein für seine Demokratie-Reformen über allen Klee, nur um Myanmar bei seinem zweiten Besuch 2014 oberlehrerhaft Demokratie-Lektionen zu erteilen. Der grosse Nachbar China hingegen unterstützt den Demokratie-Prozess im ehemaligen Tribut-Staat pragmatisch ohne Wenn und Aber. Ausgerechnet China!
Vieles spricht dafür, dass die Wahlen fair und offen sein werden. Internationale Beobachter werden die Stimmabgabe überwachen. Die Wahlen vor fünf Jahren – damals noch von Aung San Suu Kyis Nationaler Liga für Demokratie boykottiert – waren mehr oder weniger regulär. Junge NLD-Abweichler eroberten gar einige Sitze. Bei den Nachwahlen 2012 nahm die NLD dann wieder teil und errang einen überwältigenden Sieg. Wie schliesslich die Militärs auf eine Wahlniederlage am 8. November reagieren werden, hängt vom Ausmass eines NLD-Sieges ab. Fest steht jedoch, dass nach dem Wahltag in Burma nichts mehr so sein wird wie zuvor.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.

Zum Infosperber-Dossier:

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