Paul Kagame.Ale–Mi:Depositphotos

Ruandas Präsident Paul Kagame © Ale–Mi:Depositphotos

Brutaler Diktator ist einer der besten Freunde des Westens

Anjan Sundaram /  «Westliche Werte» sind schnell vergessen, wenn ein Diktator Konzerne begünstigt und sich pro-westlich verhält.

Ruanda Hauptstadt Kigali.africa-business-guide
Ruanda mit der Hauptstadt Kigali

Sein Machthunger ist unstillbar. Seit er vor über zwei Jahrzehnten Staatspräsident wurde, hat er die verfassungsmässigen Amtszeitbeschränkungen gelockert, die freie Presse ausgeschaltet und ist gegen Andersdenkende vorgegangen. Reporter mussten ins Exil oder wurden gar ermordet. Oppositionelle wurden inhaftiert oder gar tot aufgefunden. Sein Land ist zu einer Tyrannei verkommen.

Aber dieser Diktator ist kein Paria wie Wladimir Putin in Russland oder Baschar al-Assad in Syrien. Vielmehr ist er einer der besten und zuverlässigsten Freunde des Westens: Paul Kagame, Präsident von Ruanda. Seit er 1994 an die Macht kam, steht Kagame in der Gunst des Westens. Er wurde von Universitäten wie Harvard, Yale und Oxford zu Vorträgen eingeladen, sogar zum Thema der Menschenrechte. Und er erntete viel Lob von prominenten Politikern wie Bill Clinton oder Tony Blair, sowie vom ehemaligen UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon.

«Gutes wirtschaftliches Umfeld»

Der deutsche «africa business guide» lobt Ruanda als «Senkrechtstarter mit autoritärer Führung». Das Land sei ein «Einstiegsmarkt für ausländische Unternehmen in Afrika». Es sei der Regierung «gelungen, das Land als interessanten Standort für Auslandinvestitionen zu positionieren». Und weiter: «Ruanda ist eines von zwölf afrikanischen Ländern der G20-Initiative Compact with Africa (CwA). Ziel ist es, die Bedingungen für private Investitionen in den Teilnehmerländern zu verbessern.»

Aber das ist noch nicht alles. Zu Kagames westlichen Freunden gehört die FIFA, die ihren Jahreskongress im März in einem prunkvollen Sportkomplex in Kigali abhielt. Aber auch die NBA (National Basketball Association) der USA, die ihre afrikanischen Ligaspiele in Ruanda abhält. Europas grösster Autohersteller Volkswagen betreibt ein Montagewerk in Ruanda. Wichtige internationale Organisationen wie die Gates Foundation und das Weltwirtschaftsforum (WEF) sind enge Partner. Westliche Geber finanzieren satte 70 Prozent des ruandischen Staatshaushalts.

Der Autor

Anjan Sundaram ist ein indischer Journalist und Fernsehmoderator. Er erwarb ein PhD in Journalismus von der University of East Anglia. Dieser Beitrag erschien als Gastartikel in der «New York Times».

Doch die vielleicht grösste Unterstützung für Kagame bildet ein Abkommen mit der britischen Regierung über Aufnahme von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern, die aus Grossbritannien abgeschoben werden sollen. Diese umstrittene Vereinbarung, die möglicherweise gegen internationales Recht verstösst, hat Ruandas Ruf als verlässlicher Partner der westlichen Länder gefestigt. Ruanda, das unter Kagame immer mehr zu einem autoritären Bollwerk wird, wird heute als Zufluchtsort für Menschen gefeiert, die vor der Diktatur fliehen.

Kagame verdankt einen Grossteil seines Erfolgs der Kunstform einer geschickten politischen Rhetorik, welche die Ruanderinnen und Ruander «ubwenge» nennen. Kagame brilliert bei Pressekonferenzen, in denen ruandische Journalistinnen und Journalisten unverfängliche Fragen stellen, da sie sich der Risiken für kritischere Kolleginnen und Kollegen sehr wohl bewusst sind. Oft ist sein Ziel der Westen. Er vertritt immer wieder die antiimperialistische Botschaft, dass Europa «die Menschenrechte verletze» und der Westen an einem «Überlegenheitskomplex» leide.

Diese Haltung macht ihn zu einem führenden Vertreter von postkolonialen Herrschern. Auch andere national-populistische Staatspräsidenten wie Recep Tayyip Erdogan in der Türkei, Andrés Manuel López Obrador in Mexiko und Narendra Modi in Indien scharen ihre Bevölkerungen um ähnliche Gefühle. Selbst machen sie sich zu Weltherrschern, die dem Westen nicht mehr verpflichtet sind. Im Zentrum ihrer polternden Reden stehen oft Verweise auf alte Verbrechen – Massaker, Völkermorde und Enteignungen –, die von europäischen Imperien begangen wurden und bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen. 

Solche Appelle funktionieren nur deshalb, weil westliche Führer ihr «Bedauern» angesichts solcher Gräueltaten noch immer nur zähneknirschend ausdrücken und sich nur selten entschuldigen. Dies zum Teil aus Angst, dass ihre Länder riesige Summen für die Wiedergutmachung aufbringen müssten. Auf diese Weise gehen die Missstände weiter. Viele Menschen in den ehemaligen Kolonien empfinden die Demütigungen der Vergangenheit immer noch als sehr präsent. Dies zeigt sich aktuell etwa bei Institutionen, die von westlichen Interessen beherrscht sind, wie der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds, aber auch bei den Verhandlungen zum internationalen Handel und der Entwicklungshilfe. Postkoloniale Führer wie Kagame finden viel Zuspruch, wenn sie darauf bestehen, dass der Westen für seine Geschichte büssen müsse, so unwahrscheinlich das auch sein mag.

Der Preis für das Ausbleiben von Entschuldigungen seitens westlicher Regierungen ist jedoch, dass deren moralische Autorität zusehends schwindet. Vielmehr versuchen sie zu beschwichtigen, indem sie, statt zu verurteilen, Lob und Partnerschaft anbieten. Vielleicht wird diese Dynamik nirgendwo deutlicher als in Ruanda, wo Kagames Einfluss auf westliche Staatsoberhäupter besonders gross ist, weil die Missstände im Land erst kürzlich aufgetreten sind. Er ist sehr geschickt darin, dem Westen die Schuld in die Schuhe zu schieben; seine Schläge treffen ins Schwarze.

Der Völkermord in Ruanda im Jahr 1994 – bei dem fast eine Million Ruanderinnen und Ruander, viele von ihnen ethnische Tutsi, getötet wurden – wurde vor den Augen der Friedenstruppen der Vereinten Nationen verübt. Diese verfassten eifrig Berichte über die Morde, während sie scheinbar machtlos waren, diese zu verhindern. Obwohl Kagames ehemaliger Botschafter in den USA und andere politische Verbündete ihn beschuldigt haben, den Völkermord in Ruanda «ausgelöst» und wenig dagegen unternommen zu haben, feiert er sich selbst als Held, der ihn beendet habe.

Bei Kritik ist es Kagames bewährte Taktik, jeden westlichen Staatsführer in die Schranken zu weisen, der die Frechheit besitzt, ärmeren Nationen eine Predigt über Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zu halten. Seine Rhetorik findet Anklang in einer Welt, die verzweifelt nach afrikanischen Erfolgsgeschichten Ausschau hält, nicht zuletzt im Westen. Bereits 2011 beschrieb der Journalist Tristan McConnell, wie die westliche Unterstützung für Kagame von dem «aufrichtigen Wunsch angetrieben werde, das Image eines hoffnungslosen Kontinents zu verbessern». Im Jahr darauf nannte das Time-Magazine Kagame «die Verkörperung eines neuen Afrika».

Hinter dieser Verherrlichung verbirgt sich eine dunklere Wahrheit. Seit er 1994 als Oberbefehlshaber des ruandischen Militärs und später als Staatspräsident die Macht ergriff, manipuliert Kagame die Wahlen schamlos; 2017 erhielt er fast 99 Prozent der Stimmen. Viele seiner Gegner sind verschwunden, in einigen Fällen wurden sie ermordet aufgefunden, in einem Fall praktisch enthauptet. Der selbsternannte Held, der angeblich den Völkermord in Ruanda beendete, war auch Befehlshaber einer Armee, die laut UNO für die Ermordung von Zehn-, vielleicht gar Hunderttausenden von Hutus und für mögliche «Genozide» verantwortlich war, nachdem sie zweimal in die Demokratische Republik Kongo einmarschiert war.

Ungeachtet der geschichtlichen Tatsachen erschafft Kagame eine alternative Wirklichkeit, in der der Westen die Schuld an den Missständen in seinem Land trägt und er als sein tapferer Verteidiger dasteht. Dieses antiimperialistische Narrativ übertönt Berichte über Dissidenten und Journalisten, die schikaniert, inhaftiert oder gezwungen werden, ins Exil zu gehen. Verlässliche Informationen über das Land sind nur schwer zu bekommen: Kagame verunmöglicht kritische ausländische Berichterstattung und sorgt dafür, dass die internationalen Medien häufig die Regierungspropaganda wiederholen.

Die Sehnsucht nach postkolonialen Führergestalten, die dem Westen die Stirn bieten, ist durchaus verständlich. Sie fusst auf der Art und Weise, wie der Imperialismus weiterhin die Beziehungen zwischen den ehemaligen Kolonien und Kolonialmächten bestimmt. Gerechtigkeit für die Verbrechen der Kolonialzeit wäre weltweit für viele willkommen, auch wenn sie sich wahrscheinlich nicht so bald einstellt. Zumindest aber sollten die westlichen Staats- und Regierungschefs – angefangen in Grossbritannien – einfach aufhören, autoritäre Herrscher wie Kagame zu hofieren und belohnen.

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Übersetzung: Josef Estermann.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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6 Meinungen

  • am 23.04.2023 um 14:02 Uhr
    Permalink

    Von einem Journalisten mit einem solch hochwertigen akademischen Hintergrund und unzähligen Kudos von Kollegen (m/w) des Journalismus dürfen mehr als Vermutungen, Schätzungen mit einer Spannweite von Faktor 100 und Behauptungen erwartet werden. Es kommt einen wie eine persönliche Abrechnung als persona non grata vor. Dass unter Kagame die Lebensqualität und medizinische Versorgung der breiten Bevölkerung besser wurden, der Schutz des Regenwalds sichergestellt wurde und mörderische Stammesfehden eingedämmt wurden, findet keine Erwähnung. Das Versagen der belgischen UN-Ttruppen, was den Genozid ermöglichte, findet nur noch in einem knappen Nebensatz Erwähnung.

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 23.04.2023 um 14:50 Uhr
    Permalink

    Bitte nicht in simples Kagame-Bashing abgleiten. Kagame hat echte Probleme konstruktiv gelöst. Afrika braucht Leaders seines Gabarits. Die Kolonialzeit ist vorbei.
    Die Mitterand-Erbschaft in bezug auf die Interahamwe kann die Rolle der M23 in Ost-Kivu nicht annullieren, wohl aber erklären. Dass Organisationen wie Glencore treibende Faktoren in der Zerstörung von Nord-Kivu und Itturi bleiben ist wohl dem Imperialismus der ehemaligen Kolonialmächte anzulasten.

  • am 23.04.2023 um 15:09 Uhr
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    Saddam war auch einer der besten Freunde des Westens. Ich höre ständig: «Westliche Werte». Wurden die nicht bereits in der US-Verfassung nach dem 7/4 1776 (1787/1791) behauptet? Seither in Form von Genozid (Raubmord) und Versklavung, hunderten Angriffskriegen bis heute – oder wurde das Land USA jemals angegriffen?
    Ich «heutiger Indianer» nenne es Bluff (gegeneinander Ausspielen).

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 23.04.2023 um 17:09 Uhr
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    Das ganze ist doch ein reichlich simples Narrativ. Mit allem Verständnis für nostalgische Mitterand-Interpretationen kann ich diese vindikative Interpretation nicht nachvollziehen.

    Vielleicht auch weil ich damals zu nahe am Geschehen war.

    Man sollte die Rolle neokolonialistischer Minenkonzerne in den Problemen des Kivu nicht einfach dem geographischen Nachbarn anlasten. Kinshasa ist mehr involviert, als das westliche «Investoren» gerne zur Kenntnis nehmen würden.

    Nicht vergessen: Der Kongo ist einiges grösser als die Ukraine. Die Mineral-Vorkommen sind einiges bedeutsamer als diejenigen des Donbass. Die internationalen «Prädatoren» können sich eine solch reichhaltige Tafel kaum entgehen lassen.

    In meiner Zeit in Burundi hoffte ich immer, dass die Petrolforschungen im Tanganyika-Gebiet erfolglos sein möchten. Dies hat sich bestätigt. Nicht aber im Osten Ugandas. Im Kongo bleiben genügend andere Mineralschätze auszubeuten.

  • am 23.04.2023 um 18:57 Uhr
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    alles richtig! aber derart verkürzt darf der völkermord in ruanda nicht dargestellt werden …

  • am 24.04.2023 um 00:32 Uhr
    Permalink

    2018 wurden weltweit 1800 Tonnen Tantal erzeugt, davon 500 Tonnen in Ruanda. Tantal ist selten und wird für die Produktion von Laptops, Smartphones, Digitalkameras, Spielekonsolen und Elektroautos gebraucht. Könnte das nicht der wahre Grund sein, weshalb man es sich mit dem Diktator nicht verscherzen will?

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