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Es geht zu und her wie im Casino und nennt sich europäischer «Rettungsschirm» © Ray22/Dreamstime

«Brandschutzmauer»: 1 000 000 000 000 Spielgeld

René Zeyer /  Ein himmelhoher Geldberg soll den Euro gegen die «bösen Finanzmärkte» schützen. Doch den Worten der Eurokraten ist nicht zu trauen.

Versuchen wir zunächst, uns den Betrag von einer Billion Euro vorzustellen. Selbst ein Leistungsträger wie Brady Dougan, der als CEO der Credit Suisse auch schon mal einen Jahresbonus von über 50 Millionen Euro kassiert, müsste für diese Summe 20’000 Jahre lang arbeiten. Oder 10’000 Messis müssten ein Jahr lang für je 100 Millionen Traumfussball spielen. Oder der neue Investementbank-Co-Leiter der UBS, Andrea Orcel, müsste 50’000 mal ein Antrittsgeschenk von 20 Millionen bekommen. Aber das alles müssen wir uns gar nicht vorstellen.

Zahlenwirrwar

Die «Financial Times Deutschland» beziffert die Brandschutzwand auf 1’000 Milliarden Euro, der «Spiegel» auf lediglich 800 Milliarden, andere Finanzkoryphäen sprechen von 700 Milliarden. Ist es selbst kühlen Analysten bei solchen Summen schwindlig geworden? Jein, denn natürlich steckt zunächst einmal wieder jede Menge Trickserei in dieser Zahl. Sozusagen neu stehen «nur» 500 Milliarden im ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) zur Verfügung. Draufgerechnet werden bereits vergebene oder bereitgestellte 300 Milliarden für Hilfsprogramme, und dann hätten wir noch rund 240 Milliarden, die in der EFSF (Europäische Finanzstabilitätsfazilität) liegen. Auch das alles stimmt nicht ganz, denn der ESM hebelt, er kann mit nur 15 Milliarden Zusagen über 100 Milliarden Euro machen. Muss man auch nicht lange drüber grübeln, denn auch das alles spielt keine Rolle.

Alles zu viel und zu niedrig

Wozu soll diese Brandschutzmauer eigentlich dienen? Sie soll garantieren, dass selbst wenn ein Euro-Staat seine Schuldenberge nicht mehr auf den Finanzmärkten refinanzieren kann, kein Flächenbrand ausbricht. Selbst im schlimmsten Fall. Nehmen wir also mal den besten Fall einer sogar noch höheren Mauer. Die bestünde aus 550 Milliarden, die der IMF (International Monetary Fund, inkl. Beitrag der Europäischen Notenbanken) bereitstellt. Plus 500 Milliarden aus dem ESM und, alles in allem, 440 Milliarden aus der EFSF. Damit kämen wir auf rund 1,5 Billionen. Nehmen wir auf der anderen Seite, dass ein paar Wackelkandidaten lediglich bis 2014 refinanziert werden müssten, weil ihnen kein vernünftiger Mensch mehr Geld zu tragbaren Zinsen leiht. Das wären: Irland (100 Milliarden), Portugal (120 Milliarden), Griechenland (280 Milliarden), Spanien (490 Milliarden) und Italien (710 Milliarden). Hoppla, macht 1’700 Milliarden. Gerechnet wurde hier der aktuell prognostizierbare Refinanzierungsbedarf des jeweiligen Staates, plus ein gewisser Anteil nötiger Rekapitalisierung seiner Banken. Kann so sein, muss nicht sein. Aber: Der Sinn einer Brandschutzmauer sollte sein, dass sie höher als die potenziellen Flammenherde ist.

Virtuelle Brände

Nun könnte man sich dennoch beruhigt zurücklehnen und sagen: Es ist doch sehr unwahrscheinlich, dass alle diese Brände ausbrechen, und andererseits sind doch real bislang «nur» 300 Milliarden an Rettungsgeldern ausgegeben oder fest zugesagt worden. Und selbst die kommen doch wieder rein, wenn sich Griechenland, Portugal und Irland wirtschaftlich erholen und ihre staatlichen Sparprogramme wie geplant umsetzen. Ebenso wie Spanien und Italien. Da wollen wir uns doch auch nicht davon irritieren lassen, dass Griechenland bereits zwei Wochen nach dem letzten, dem allerletzten Rettungspaket bereits wieder über ein nächstes öffentlich nachdenkt. Genauso wenig durch die katastrophalen Wirtschaftszahlen von Spanien und Italien. Und überhaupt: Die Eurokraten wissen doch, was sie tun. Ach ja?

Schon die Ankündigung verstolpert

In einem waren sich mal wieder alle europäischen Finanzminister einig: Mit der Ankündigung der hochgezogenen Brandschutzmauer geht es in erster Linie darum, Vertrauen auf den Finanzmärkten zu schaffen. Ein klares Signal der Einheit zu setzen. Gemeinsames Handeln im europäischen Haus zu demonstrieren.
Frohgemut verkündete die österreichische Finanzministerin Maria Fekter die gute Botschaft eine Stunde vor der offiziell angesagten Pressekonferenz des Euro-Gruppenchefs Jean-Claude Juncker. Worauf der Sitzungsleiter seinen Auftritt absagte und wutentbrannt abreiste. Wieso Fekter statt von 700 Milliarden plötzlich von 800 Milliarden sprach, bleibt auch ihr süsses Geheimnis. Vielleicht, weil sich das eindrucksvoller auf eine runde Billion Dollar umrechnen lässt.
Das wäre alles nicht passiert, wenn man endlich zugegeben hätte, dass sich europäische Finanzpolitik wie in Entenhausen abspielt. In Dagobert Ducks Geldspeicher hat es genügend Fantastillionen, um allen Unsinn, den die Regierungs-Donald-Ducks anstellen, zu finanzieren.

Woher kommt eine Billion?

Man sollte sich von grossen Zahlen nicht zu sehr beeindrucken lassen. Eine Billion hat die genau gleiche Quelle wie ein einziger neuer Euro. Er ist ein Versprechen auf die Zukunft. Er beinhaltet das Versprechen, dass durch eine entsprechende Steigerung des BIP ein neuer Wert geschaffen wird, der ihn egalisiert. Sollte das nicht der Fall sein, dann muss er halt aus der Substanz zurückbezahlt – oder weginflationiert werden. Ist bei einem Euro nicht so schlimm. Bei einer Billion schon. Da ja, um nur bei Griechenland zu bleiben, mehr als 130 Milliarden schon weg sind, ohne dass es dem Staat auch nur ein Jota besser ginge, damit weder Wertschöpfung betrieben wurde noch Perspektiven einer wirtschaftlichen Erholung erkennbar sind, sollten eigentlich die noch ungeborenen Enkelkinder und deren Nachfahren der aktuellen Steuerzahler und Sparer es sich gut überlegen, ob sie auf die Welt kommen wollen. Denn sie müssten auch diese Zeche zahlen.

Dieser Beitrag erschien auf www.journal21.ch


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. René Zeyer, ist Autor des Bestsellers «Bank, Banker, Bankrott». Er arbeitete als Journalist für den «Stern», «Geo», «FAZ», «Das Magazin», «Schweizer Illustrierte» und war mehrere Jahre Auslandkorrespondent der «Neuen Zürcher Zeitung». Als langjähriger Kommunikationsberater in der Finanzbranche gehört er zu den Insidern. Zeyer lebt in Zürich.

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