Kommentar
Bin Ladin hätte man nur aus Notwehr töten dürfen
War es verboten, erlaubt oder geboten, bin Ladin zu töten? Diese Frage soll hier einmal anders gestellt werden: Wie hoch sind die Kosten für die Rechtfertigung jener Tötung für die davon betroffenen Gesellschaften, ja für die Welt insgesamt?
Es geht um die Folgen der Argumentation
Gemeint sind nicht die finanziellen, sondern die argumentativen Folgelasten. Wie werden sich solche Rechtfertigungen in der Zukunft auswirken?
Peter Schaber hat in der «NZZ am Sonntag» vom 8. Mai zwei mögliche Gründe für das Aufheben des Tötungsverbots genannt: Notwehr und Krieg. Über Notwehr braucht man weiter keine Worte zu verlieren. In Bezug auf den Krieg ist Schaber vorsichtig: Töten im Krieg sei nur erlaubt bei Vorliegen eines gerechten Grundes und als letzte Möglichkeit.
Das hat unerwartete Folgen. Hält man sich an diese Bedingungen, so dürfen nur Soldaten töten, die der gerechten oder unschuldigen Seite angehören, während sich diejenigen, die zur schuldigen Seite gehören, wie Freiwild abschiessen lassen müssten.
«Gerechte Kriege» sind ein Rückfall ins Mittelalter
Gute und Böse sind klar voneinander geschieden. Freilich würde es so gar nicht erst zum Krieg kommen, weil sich die Gerechten und Unschuldigen immer schon durchgesetzt hätten. Das zeigt, dass dem Konzept eines solchen gerechten Krieges eine unsinnige Idee zugrunde liegt. Er ist ein Rückfall ins Mittelalter, das die Lehre vom gerechten Krieg entwickelt hat, aber nie mit der Schwierigkeit klargekommen ist, wie Gerechtigkeit durchgesetzt werden soll, wenn der Ungerechte der Stärkere ist.
Das Kriegsrecht gilt immer für beide Seiten
Hier wird ohne guten Grund eine grosse zivilisatorische Errungenschaft des neuzeitlichen Völkerrechts über Bord geworfen, nämlich ein für beide Seiten in gleicher Weise geltendes Recht im Krieg. Der Krieg als Rahmen für legale Tötungen hat nichts mit Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit der jeweils verfochtenen Sache zu tun. Jeder Beteiligte auf der einen Seite darf innerhalb bestimmter Grenzen jeden Beteiligten auf der anderen Seite töten.
Wer sich nicht an diese Gegenseitigkeit hält, leistet einer Brutalisierung des Krieges Vorschub, indem die Gegenseite unter Berufung auf von ihr begangenes Unrecht rechtlos gemacht wird. So geschah es etwa im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront.
Was aber ist Krieg? Ist Terror, wie es eine seit 2001 verbreitete Auffassung will, Krieg? So dass der Kampf gegen den Terror zum Krieg gegen den Terror wird? Im Völkerrecht ist Krieg eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Staaten. Im Krieg ist innerhalb gewisser Grenzen Töten selbst in Situationen erlaubt, in denen es im Frieden verboten ist. Wo aber kein Staat ist, ist auch kein Krieg.
«Krieg» gegen den Terror ist argumentativ unsinnig
Die Rede von einem Krieg gegen den Terror ist deshalb irreführend und unsinnig. Welche Folgen hätte eine solche Ausdrucksweise? Die USA müssten der Kaida den Krieg erklären. Dadurch würden sie diese als Staat anerkennen, und bin Ladin würde zum Staatsoberhaupt. Seine Terroristen würden zu Soldaten, oder zumindest zu Kombattanten, die unter den Schutz des Kriegsrechts zu stehen kämen, insbesondere der Genfer Konventionen. Sie könnten als Kriegsgefangene nur für Kriegsverbrechen bestraft werden.
Im geltenden Kriegsrecht ist es auch nicht erlaubt, das Oberhaupt des Gegners gezielt zu töten. Daran haben sich selbst die Alliierten des Zweiten Weltkriegs gehalten. Sie haben nicht versucht, Hitler oder den japanischen Kaiser durch Kommandoaktionen ausser Gefecht zu setzen. Schon Kant wollte «Meuchelmörder» und «Verräter» im Krieg verboten haben.
Wer sich an das geltende Kriegsrecht hält, bindet sich also in vielerlei Hinsicht die Hände. Weshalb vertreten trotzdem so viele Menschen die Auffassung, der Kampf gegen die Kaida und den Terror sei ein Krieg? Die Rede vom Krieg soll offenbar den Eindruck erwecken, man kämpfe mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Und schwere Waffen sind nun einmal Sache der Armee und des Krieges, nicht der Polizei und des Friedens.
Für Terroristen sind Polizei und Gerichte zuständig
Damit ist auch die zuständige Instanz genannt. Die Bekämpfung des Terrors ist, solange er nicht von Staaten gegeneinander betrieben wird, eine Angelegenheit der Polizei. Verbrecherbanden sind keine Staaten, gegen die sich Krieg führen liesse. Sie sind polizeilich-gerichtlich zu behandeln und abzuurteilen.
Wichtiger noch ist eine andere Frage: Lohnt es sich, zivilisatorische und insbesondere rechtliche Errungenschaften aufs Spiel zu setzen, nur um dem eigenen Handeln, das lediglich plausibel (etwa als Racheakt) erscheint, aber keine hieb- und stichfeste Rechtfertigung erlaubt, den Schein des vollen Rechts zu verleihen?
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Dieser Beitrag erschien am 15.5.2011 in der NZZ am Sonntag
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Professor für Geschichte an der Universität Zürich
Dieser Beitrag ist unrealistisch und naiv.
Amerika hat völlig richtig gehandelt und sollte noch VIEL, VIEL weiter gehen, wenn es sich um Terroristen handelt !!