Beschuss von Spitälern als Vertreibungsstrategie
Die syrischen und russischen Luftstreitkräfte sollen in den letzten drei Monaten gezielt Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen in der Provinz Aleppo angegriffen haben, um die Zivilbevölkerung zu vertreiben. Diesen Vorwurf erhebt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) in einem heute veröffentlichten Bericht.
Amnesty International habe «zwingende Beweise» für mindestens sechs vorsätzliche Angriffe auf medizinische Einrichtungen in von Oppositionsmilizen kontrollierten Gebieten der Provinz Aleppo in den vergangenen zwölf Wochen, heisst es in dem Bericht. Die Angriffe hätten zum Ziel gehabt, den Vormarsch regierungstreuer Truppen im Norden der Stadt Aleppo zu erleichtern. Dabei seien mindestens drei Zivilisten getötet worden, darunter ein Mediziner. 44 Menschen seien verletzt worden.
«Lebensader für die Menschen gekappt»
«Syrische und russische Kräfte haben Gesundheitseinrichtungen absichtlich angegriffen und damit das humanitäre Völkerrecht eklatant verletzt. Aber wirklich ungeheuerlich ist, dass das Zerstören von Kliniken Teil ihrer Militärstrategie geworden zu sein scheint», erklärte Tirana Hassan, Direktorin für Krisenreaktion in der Londoner Zentrale von Amnesty International. Mitarbeiter von Kliniken und Gesundheitsposten hätten gegenüber Amnesty International «immer wieder die Überzeugung geäussert», dass die Truppen vor einer Bodenoffensive offensichtlich die Bevölkerung vertreiben wollten und dazu Krankenhäuser und Infrastruktur zerstörten. «Damit wurde eine Lebensader für die Menschen in diesen umkämpften Gebieten gekappt, was ihnen keine andere Wahl liess, als zu fliehen», erklärte die AI-Vertreterin. In keinem Fall habe es den Augenzeugen zufolge in der Nähe der angegriffenen Gesundheitseinrichtungen Militärfahrzeuge, Kontrollposten oder gegnerische Kämpfer gegeben.
Resolution zu den Verstössen gegen das humanitäre Völkerrecht
Die Regierungen Russlands und Syriens reagierten zunächst nicht auf die Vorwürfe von Amnesty International. Frühere Behauptungen westlicher Regierungen und von Menschenrechtsaktivisten, wonach russische Kampflugzeuge Krankenhäuser bombardiert hätten, hatte Moskau stets als falsch zurückgewiesen. Wegen der jüngsten militärischen Angriffe gegen Gesundheitseinrichtungen und medizinisches Personal nicht nur in Syrien, sondern auch im Jemen und in Afghanistan arbeiten die fünf nichtständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates Neuseeland, Japan, Spanien, Ägypten und Uruguay derzeit an einem gemeinsamen Entwurf für eine Resolution des Rates zur Verurteilung derartiger Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht.
Nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen (MSF) wurden allein in Syrien im vergangenen Jahr 63 von der Organisation unterstützte Kliniken attackiert. Im Jemen wurden demnach mindestens drei MSF-Einrichtungen beschossen. Bei einem US-Luftangriff Anfang Oktober auf ein Krankenhaus der Hilfsorganisation in der nordafghanischen Stadt Kundus wurden 42 Menschen getötet. Die US-Armee sprach später von einem «menschlichen Fehler». Ärzte ohne Grenzen befürwortete die Initiative der fünf nicht-ständigen Ratsmitglieder. Solange die Weltgemeinschaft die Angriffe nicht verurteile, drohten diese «zur Normalität zu werden», erklärte MSF-Chef Jason Cone.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Andreas Zumach ist spezialisiert auf Völkerrecht, Menschenrechtspolitik, Sicherheitspolitik, Rüstungskontrolle und internationale Organisationen. Er arbeitet am europäischen Hauptsitz der Uno in Genf als Korrespondent für Printmedien, wie beispielsweise die tageszeitung (taz), Die Presse (Wien), die WoZ und das St. Galler Tagblatt, sowie für deutschsprachige Radiostationen und das Schweizer Fernsehen SRF. Bekannt wurde Zumach 2003 als Kritiker des dritten Golfkrieges. Im Jahr 2009 wurde ihm der Göttinger Friedenspreis verliehen.
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