Beim Ukraine-Krieg geht es auch um den Dollar als Leitwährung
Red. Guido Biland, 58, ist freischaffender Journalist und Inhaber der Firma alphatext.com, die Auftragstexte für Unternehmen produziert. Biland beschreibt sich als Pazifist und verurteilt jeden Krieg, auch den russischen Angriffskrieg. Wie auch immer der Krieg ausgehe: Am meisten würden die USA profitieren, analysiert Biland. Seine provokative Frage: Ist es möglich, dass die USA mehr an einem andauernden Konflikt interessiert sind als am Schicksal der Ukraine? Wir stellen seine Argumente hier zur Diskussion.
Die USA und ihre Schulden
Werfen wir einen Blick auf den ökonomischen Hintergrund:
BIP pro Kopf in der CH 2021: | ca. 85’000 CHF |
BIP pro Kopf in den USA 2021: | ca. 69’000 USD |
Staatsschulden pro Kopf CH 2022: | ca. 13’000 CHF |
Staatsschulden pro Kopf USA 2022: | ca. 93’000 USD |
Der Vergleich zwischen der Schweiz und den USA ist frappant. Obwohl die USA ein geringeres BIP pro Kopf erwirtschaften, betragen ihre Staatsschulden pro Kopf ein Vielfaches vom Schweizer Wert. Auch in anderen wirtschaftsstarken Regionen ist die Staatsverschuldung pro Kopf deutlich geringer als in den USA (EU ca. 30’000 EUR; Japan ca. 70’000 EUR).
Fakt ist: Die USA sind hoch verschuldet. 2017 betrug die Staatsverschuldung noch ca. 20 Billionen USD. Heute beträgt sie über 31 Billionen USD. Das ist ein Plus von 55 Prozent in fünf Jahren. Dazu kommen die schnell wachsenden Schuldenberge der Unternehmen (ca. 20 Billionen USD) und Privathaushalte (ca. 19 Billionen USD). Gesamtverschuldung der USA im Jahr 2022: ca. 70 Billionen USD. Das sind 212’000 USD pro Kopf. Tendenz: rasch steigend (Stichwort Leitzinserhöhung zwecks Inflationsbekämpfung).
Offensichtlich können sich die USA eine extensive Verschuldung leisten. Woran liegt das? Vereinfacht gesagt liegt das daran, dass die USA eine wirtschaftliche und militärische Supermacht sind und der Dollar die globale Leitwährung ist. Der Dollar wurde die Weltwährung, nachdem die USA am Anfang der Siebzigerjahre Saudi-Arabien dazu brachten, Erdöl ausschliesslich gegen Dollar zu verkaufen und gegen keine andere Währung.1 Das erst schuf die ständige weltweite Nachfrage nach US-Dollars.
Mit diesem Power-Status können sie so viele Dollar drucken, wie sie wollen – sie werden immer Abnehmer dafür finden. Damit das so bleibt, müssen die USA den Welthandel dominieren und militärisch omnipräsent sein. Darum brauchen die USA die NATO. Und darum gaben sie letztes Jahr ca. 800 Milliarden USD für Rüstung aus.
Der Dollar muss Leitwährung bleiben, sonst …
Was passiert, wenn der Dollar den Status als globale Leitwährung zu verlieren droht? Das würde bedeuten, dass die globale Nachfrage nach dem Dollar einbricht. Eine Entwertung wäre die Folge. Die ausländischen Investoren würden sich massenhaft aus dem Dollar zurückziehen, was eine verheerende Finanzkrise in den USA auslösen und wahrscheinlich zum Kollaps des Wirtschaftssystems führen würde. Eine Währungsreform wäre unvermeidlich.
Um dieses Szenario zu verhindern, müssen die USA eine Supermacht bleiben. Fallen sie wirtschaftlich zurück, bleibt noch die Option Krieg, der sich in vier Stufen führen lässt:
- Stufe 1: Wirtschaftskrieg in den Varianten Freihandelsabkommen, Zins- und Währungspolitik, Strafzölle, Sanktionen
- Stufe 2: Planung von Chaos und Regime Change
- Stufe 3: Stellvertreterkrieg
- Stufe 4: Invasion
Dies führt zu meiner zugegebenermassen provokativen Behauptung:
Stehen die USA im globalen Wirtschaftswettbewerb unter Druck, kann ihnen nichts Besseres passieren als Krieg. Idealerweise ein Krieg, in den sie keine Soldaten schicken müssen, also Stufen 1 bis 3. So halten sie ihre Schuldenwirtschaft am Laufen. Wenn man in ökonomischen Kategorien denkt, macht das kostspielige Engagement der USA in der Ukraine Sinn.
Bedrohungslage aus Sicht der USA
Die Weltordnung hat sich in den letzten 20 Jahren stark verändert. China hat wirtschaftlich viel mehr Einfluss gewonnen. Die Währung des Yuan gewinnt an Bedeutung. Die EU, vor allem Deutschland, hat wirtschaftlich mehr Einfluss gewonnen und mit dem Euro eine Konkurrenzwährung zum Dollar geschaffen. Der zunehmende Einfluss dieser Blöcke auf die Weltordnung bedroht das schuldenbasierte Wohlstandsmodell und damit die globale Vormachtstellung der USA.
Strategische Provokation
Die USA benötigten nach dem Abflauen des War on Terror dringend ein neues Schlachtfeld. Die Unterstützung der Ukraine als antirussisches Bollwerk, insbesondere die in Aussicht gestellte Aufnahme in die NATO, war eine strategische Provokation, um Russland in einen militärischen Konflikt zu verwickeln. Eine ähnliche Strategie verfolgen die USA mit Taiwan. Das Ziel: Die globale Vormachtstellung stabilisieren.
Nutzen des Ukrainekriegs für die USA
Mit dem Ukrainekrieg erreichen die USA mehrere Ziele:
- Russland wird existenziell geschwächt (militärisch und wirtschaftlich).
- China wird mit Sanktionen und Sanktionsandrohungen wirtschaftlich geschwächt.
- Deutschland und die Eurozone werden wirtschaftlich geschwächt.
- Die wirtschaftliche und militärische Abhängigkeit der Verbündeten wird langfristig erhöht (Waffen, Energie, politische Einflussnahme)
- Der militärisch-industriellen Komplex kann profitieren.
- Der schuldenfinanzierte Wohlstand wird gesichert.
Diese Tatsachen sprechen dafür, dass die USA mit Abstand die grössten Nutzniesser des Ukrainekriegs sind und folglich auch ein Interesse haben, ihn fortzusetzen und (kontrolliert) zu eskalieren, indem sie so lange Waffen und Geld liefern, bis sich die Russen vollständig aus der Ukraine zurückziehen – was sehr lange dauern und im Worst Case zum Atomkrieg führen kann.
Plutokraten in den USA füllen sich die Taschen mit lukrativen Energie- und Waffendeals
Die «Pax Americana» erlaubt die Fortsetzung des amerikanischen Lebensstils. Die US-Plutokratie kann ihren Reichtum vermehren.
Doch die Welt besteht nicht nur aus den USA. Während man sich in Washington darüber freuen dürfte, dass Russlands Angriffskrieg Europa schwächt und die USA stärkt, müssen die Eliten in Europa ihrer Wählerschaft erklären, warum im Winter möglicherweise die Heizungen und der Strom ausfallen und unser Wohlstand flöten geht.
Dass es vorwiegend um Werte wie Freiheit, Demokratie und Frieden geht, darf bezweifelt werden. Wenn wegen dieses Krieges das schuldenbasierte Wohlstandsmodell der USA gerettet werden kann, sollten materielle Werte nicht mit ideellen verwechselt werden. Dann muss man das Business so benennen, wie es ist: Plutokraten in den USA füllen sich die Taschen mit lukrativen Energie- und Waffendeals. Der Rest der Welt soll Opfer bringen.
Regierungen, welche die Interessen der USA unterstützen, dienen mehr den amerikanischen Plutokraten als dem eigenen Volk. Das kann zu politischen Turbulenzen führen, wenn die Folgen noch stärker spürbar werden. Und die Parteien an den Rändern des politischen Spektrums freuen sich auf die nächsten Wahlen.
Eine multipolare Weltordnung lassen die USA nicht zu. Sie verlangen «Full-spectrum dominance». Ihr Wohlstand hängt davon ab. Gut für die USA, schlecht für den Weltfrieden.
Man darf gespannt sein, wie weit Russland und China gehen können und werden, um die kolonialistisch-kapitalistische Weltdominanz der USA zu beenden.
Die US-Diplomatin Victoria Nuland sagte 2014: «Fuck the EU!» Der ukrainische Diplomat Andrej Melnik sagte zu Elon Musk, der am 3. Oktober 2022 einen möglichen Friedensplan twitterte: «Fuck off!»
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Dieser Beitrag erschien weitgehend identisch auch im Overton Magazin.
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FUSSNOTE
1 Red. Saddam Hussein «verstiess» in den Neunzigerjahren als erster gegen diese Festlegung und bot Öl auch gegen Währungen anderer Länder an. Das hat die Alarmglocken in Washington läuten lassen, wo man befürchtete, andere Ölstaaten (Iran, Venezuela…) könnten sich dem Vorgehen von Saddam Hussein anschliessen. Deshalb musste Hussein weg – das wohl eigentliche Motiv für den Irakkrieg von 2003.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Mutiger Sperber, so einen Artikel zu veröffentlichen und sich damit vollständig gegen jedes Mainstreamnarrativ zum Ukraine-Krieg zu stellen.
Die Verschuldung der USA, Privathaushalte, Firmen, Staaten und Nation zusammengerechnet, ist schon lange nicht mehr von dieser Welt. Dabei wird sehr wenig von diesen Schulden in Bildung, Verkehr, Infrastruktur, Gesundheitswesen und Daseinsfürsorge investiert. Dennoch wäre ein Staatsbankrott der USA vielleicht keine so große Katastrophe wie angenommen: die USA haben einen gewaltigen Binnenmarkt, viele gut ausgebildetete Arbeitskräfte und bei Erfindungen die Nase vorn. Sie würden das verkraften. Es geht wohl eher um den drohenden Machtverlust durch die VR China und den zunehmenden Unmut anderer Staaten, sich bevormunden zu lassen. Allzu gerne wird bei uns vergessen, dass alle außenpolitischen Interventionen der USA seit 2003 nicht gut gelaufen sind, trotz extremer militärischer und finanzieller Dominanz.
Ich kann mich – leider – dieser Analyse anschliessen.
Sie basiert aber auf kurzfristigem Denken und ignoriert elementare geopolitische Kräfteverschiebungen.
Der «Krieg der Herzen» kann so nicht gewonnen werden.
Danke für die ausgezeichnete und vorausblickende Analyse. Weder die USA noch Russland haben offensichtlich auf absehbare Zeit ein Interesse am Ende dieses Krieges. Die Meinung europäischer Staaten, auch der Ukraine selber, ist dabei irrelevant. Es wird also wohl «bis zum letzten Ukrainer» gekämpft werden, was noch sehr lange dauern kann. Danach wird die Ukraine an ihre Nachbarn aufgeteilt werden; die mehrheitlich russischsprachigen Gebiete an Russland. Damit haben die USA mit der NATO ihr Ziel erreicht: Es wird eine heisse Grenze geben zwischen den beiden Blöcken von Finnland bis Griechenland, und Europa wird endlich kapieren, wo es Rohstoffe und Dienstleistungen zu beziehen hat und dass Armeen etwas kosten dürfen.
Ein mutiger Artikel und eine Analyse, die ich vollumfänglich teile. Man darf auch nicht vergessen, dass das amerikanische Volk von diesem «erbeutetem» Reichtum nicht allzuviel hat, der Sturm auf Kapitol kam nicht von ungefähr und hat der ganzen Welt gezeigt, dass hier grosse Spannungen vorliegen. Das Justizsystem, welches die ärmeren Volksschichten gerne auch wegen kleineren Delikten einsperrt, macht den Rest. Letztendlich kostet dieses «Weltmacht-System» auch den amerikanischen Steuerzahler immer mehr und ist auf die Länge nicht finanzierbar, egal wieviele Kriege noch vom Zaun gebrochen werden. Letzendlich sind die USA schlicht und einfach pleite, weil der Staat nicht mehr in der Lage ist den Schuldzins zu begleichen und somit der Schuldenberg nur zunehmen kann.
Es gab einmal ein Land der unendlichen Möglichkeiten, heute sind die Möglichkeiten stark eingeschränkt. Leider!