Barry Seal: Only in America
Lucy, die Frau des Piloten, geht an den Schuhschrank, um ein Paar Schuhe herauszunehmen. Doch sie findet nicht, was sie sucht, weil der ganze Schrank vollgestopft ist mit Schuhschachteln voller Dollar. Das ist eine der vielen lustigen Szenen in einem Plot, der zwischen Maschinengewehrfeuer, Dollarhaufen und Säcken voller Kokain meandert, wobei der tollkühne Pilot Barry Seal (Tom Cruise) in seiner fliegenden Kiste stets die Lufthoheit behält. Auch wenn er soviel Koks geladen hat, dass er nicht mehr recht abheben kann und seine Maschine die Baumwipfel rasiert. Aber nach viel Action und fetzigem Sound gibt es dann – wie im Leben des wirklichen Barry Seal – kein Happy End.
Im Vorspann des Film steht der Hinweis: «Die Handlung beruht auf wahren Ereignissen.»
Der historische Barry Seal war ein Drogenschmuggler und CIA-Agent, der nach eigener Aussage Anfang der achtziger Jahre Kokain von Kolumbien und Zentralamerika in die USA flog. Rund um Mena Airport, Arkansas, wo Seal operierte, mussten kleine Banken grosse Tresore bauen, um Platz zu schaffen für Säcke voller Drogendollar.
Seals Maschinen flogen nie leer: Nach Norden transportierte er den weissen Stoff aus Medellín, nach Süden flog er Waffen. Im Auftrag der CIA wurden die paramilitärischen Contra-Verbände in Nicaragua mit allem Notwendigen für den Kampf gegen die linksgerichtete Sandinisten-Regierung versorgt. 1984 wurde Seal festgenommen und willigte ein, als Kronzeuge der amerikanischen Anti-Drogen-Behörde DEA auszusagen. Im Februar 1986 sollte er vor einer Grand Jury des Bundesstaates Arkansas über die verdeckten Operationen der CIA aussagen. Bevor es dazu kommen konnte, wurde Seal in seinem Heimatort Baton Rouge, Louisiana, auf offener Strasse erschossen.
Das Drehbuch hat aus dieser Geschichte eine Art Räuber-Komödie gemacht. Mit schnellen Schnitten, starkem Sound und starken Farben. Das verhilft den Kinobesuchern zu einer Stunde Entspannung und herzhaftem Lachen. Vielleicht gab es keinen anderen Ausweg, um den Stoff auf die Leinwand zu bringen. Denn die ernsthafte Beschäftigung mit dem historisch Verbürgten und Dokumentierten wäre ein Film, der nüchtern und sachlich zeigt, mit welcher Skrupellosigkeit in Washington in den achtziger Jahren Aussenpolitik gemacht wurde. Angesichts der Peinlichkeit eines Donald Trump im Weissen Haus wäre wohl für das patriotische Amerika die Schmerzgrenze erreicht, wenn jetzt auch noch Ronald Reagan vom Sockel geholt und demontiert würde.
«Barry Seal» ist aber ein problemloser Film, weil die Story als Räuberpistole erzählt wird. Mit dem heiteren Zynismus eines Stand-up-Comedian, der niemand ernsthaft wehtut. So muss sich in Washington niemand aufregen. Auch diejenigen nicht, die seit Jahrzehnten proklamieren, sie führten einen «Krieg gegen die Drogen». In der Geschichtsbewältigung mittels Heiterkeit und Rockmusik wird alles Belastende in die Sphäre der leichten Unterhaltung verschoben. Wohl kaum eine Überschrift würde bessser dazu passen als der Originaltitel «Only in America». Das Publikum kann sich zurücklehnen: Hahaha, man weiss ja, wie es zuging in den verrückten Ronald-Reagan-Zeiten.
Die Tatsache, dass in einer der ältesten Demokratien der Welt Regierungsmitglieder und Geheimdienste das Parlament und die Öffentlichkeit hintergangen und kriminelle Energie in hohem Ausmass enfaltet haben, wird zur Lachnummer, und unwillkürlich werden wir als erheiterte Zuschauer im Kinosaal Komplizen bei dieser Alchemie.
Reagan selbst tritt im Film nur in Archivaufnahmen auf, in denen er die Nation vor den nicaraguanischen Sandinisten warnt, welche als Agenten der Sowjets Kommunismus exportieren und erwiesenermassen mit Drogen handeln würden. Zu Tränen rührend ist ein Fernsehauftritt von Ronald zusammen mit der bezaubernden Nancy, die amerikanische Eltern beschwört: «Und wenn Ihre Kinder Drogen oder Alkohol wollen, sagen Sie einfach Nein.»
Der Strassenverkaufswert des von Seal eingeflogenen Kokains wird auf drei bis fünf Milliarden Dollar geschätzt. Erste Ermittlungen kamen überhaupt erst in Gang, als die Polizei in Los Angeles Anfang der achtziger Jahre nachzuforschen begann, woher die enormen Mengen an Crack kamen, die plötzlich im Umlauf waren.
Der Barry Seal im Film wird verkörpert von einem Tom Cruise, dem die Rolle des naiven Spitzbuben und Teufelspiloten wie angegossen passt. Auch Sarah Wright als Ehefrau und treue Gangsterbraut Lucy ist brillant. Im übrigen treten historische Figuren auf, die in den achtziger Jahren die Schlagzeilen der Nachrichten lieferten: Von Panamas General Noriega über Kolumbiens Pablo Escobar bis zum smarten Lieutenant Colonel Oliver North, der im Weissen Haus als Mitglied des nationalen Sicherheitsrates und rechte Hand Ronald Reagans die Fäden der verdeckten Operationen zog. North wurde in der politischen Wirklichkeit am Ende zum Sündenbock gestempelt, damit Präsident Reagan offiziell mit sauberer Weste aus dem Iran-Contra-Sumpf herauskommen konnte.
Regisseur Doug Liman ist in den News-Archiven fündig geworden und schneidet hier und da Original-Nachrichten und Fotos aus den achtziger Jahren in seinen Film, was dem Streifen den richtigen Vintagekolorit und eine Dokumentarfilm-Kosmetik verleiht. Dazu trägt auch bei, dass der Ich-Erzähler Barry Seal, der da seine Story wiedergibt, nicht nur aus dem Off redet, sondern immer mal wieder auf einem fleckigen Videotape zu sehen ist. Es handelt sich – wie man am Ende sieht – um Bänder, die Barry Seal selbst besprochen und in den Kofferraum seines Wagens gelegt hatte, bevor er erschossen wurde.
Und auch dies ist wohl nicht nur Drehbuch-Fiktion. Es gab Aufzeichnungen und Notizen des historischen Seal, die später den Ermittlern in die Hände fielen. Der ganze Filmplot ist ein Rückblick auf das wilde Leben des Barry Seal, der in Lateinamerika bekannt war als «der Gringo, der immer liefert.» Im letzten Videotape sagt Seal: «Ich habe mitgewirkt beim Aufbau des grössten Drogenkartells der USA: CIA, DEA und Weisses Haus.»
Regisseur Doug Liman wird niemand vorwerfen, er habe keine Ahnung von der Materie. Sein Vater Arthur L. Liman war einer der Ankläger im Iran-Contra-Prozess. Damit mag es zusammenhängen, dass Doug Liman als Filmemacher von jeher Interesse für das Treiben der US-Geheimdienste zeigte. Es gibt eine Filmszene, in der die Problematik auf den Punkt gebracht wird:
«Haben Sie nie nach Höherem gestrebt, Barry?» fragt der CIA-Mann Schafer, als er den jungen Piloten rekrutiert. «Sie sollten Ihrem Land dienen.» Seal ist erpressbar, denn die CIA weiss, dass er als TWA-Pilot für einen Nebenverdienst kubanische Zigarren schmuggelt. Er lässt sich also anwerben und erfährt, dass die CIA ihn als «Transporteur» braucht.
«Und das alles ist legal?» fragt Barry mit der gespielten Naivität, die von Anfang bis Ende den Charme seiner Rolle ausmacht.
«Wenn man es für die Guten tut, ist es legal», sagt der CIA-Agent.
Der Dialog hat ein wenig Kabarett-Charakter wie viele Dialoge in diesem Film. Mit samtweichem Zynismus wird hier in einem einzigen Satz das realpolitische Prinzip umrissen, das die Falken des amerikanischen Establishments durch die ganze jüngere Geschichte der USA beherzigt haben. Ihre heilige Mission war das Rollback, die Eindämmung des Kommunismus oder dessen, was als Kommunismus deklariert wurde. Der Zweck heiligte alle Mittel. Die Remedur war hier und da wohl schlimmer als die Krankheit, die man ausrotten wollte.
Im Film stürmen FBI, Drogenfahnder und Zollpolizisten den Mena Airport und nehmen Barry Seal fest. Die Generalstaatsanwältin von Arkansas erklärt ihm, sie habe genug Beweise, um ihn für immer hinter Gitter zu bringen. In dem Moment teilt man ihr mit, der Gouverneur sei am Telefon. Sie schickt alle aus dem Büro, nimmt den Hörer ab und sagt: «Was kann ich für Sie tun, Bill?»
Während die Staatsanwältin telefoniert, offeriert Barry Seal draussen jedem der umstehenden Polizisten und Ermittler einen neuen Cadillac, wenn sie ihn laufen lassen. Die Beamten grinsen. Dann kommt die Staatsanwältin, innert Minuten sichtlich gealtert, und sagt, der Festgenommene sei sofort freizulassen. Barry Seal steht auf und murmelt im Hinausgehen: «Ich hätte an eurer Stelle den Cadillac genommen.»
Und wie ist es mit den Fakten?
Bill Clinton hat sich später in der politischen Wirklichkeit die Darstellung zu eigen gemacht, er habe als Gouverneur von Arkansas erst 1988 von der Sache erfahren und nichts Genaues gewusst. Ein Polizist des Bundesstaates Arkansas hat aber unter Eid ausgesagt, der Kokain-Skandal sei mehrmals in Gegenwart von Clinton Thema gewesen. Immerhin schätzten einige Staatsanwälte und Ermittler schon damals die Aktivitäten auf Mena Airport als grösstes Drogengeschäft in der Geschichte der USA ein. Sollte der Gouverneur (und Jurist) Clinton nicht mitbekommen haben, was in seinem Staat lief?
Bei einem öffentlichen Auftritt nahm Clinton 1991 einmal vage Bezug auf die Sache und prägte den umwerfenden Satz, er habe das Gefühl, da sei noch vieles im Dunkeln geblieben:
«I’ve always felt we never got the whole story there.» (1)
Ein Satz, den sich jeder Kabarettist auf der Zunge zergehen lassen würde.
Hinter der Mena-Affäre verbirgt sich ein bestürzender Tatbestand, der sehr effizient aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängt wurde: Die grossen US-Medien wie Washington Post, New York Times u.a. haben damals ihre Funktion als vierte Gewalt nicht wahrgenommen, weil sie vor der politischen Macht in die Knie gingen. Mehr noch: Sie haben kritische Journalisten fertig gemacht, die es wagten, die offizielle Darstellung der Zentralamerikapolitik in Frage zu stellen.
«Wenn es einer wissen könnte, Mackie Messer weiss es nicht», heisst es in der Dreigroschenoper. Im offiziellen Washington wusste man stets von nichts und stritt alles ab, und die Verleger und Chefredaktoren brachten nicht die Courage auf, unangenehme Fragen zu stellen, oder waren ohnehin überzeugt, dass Ronald Reagan das Richtige tat.
Im Grunde wusste jeder, der es wissen wollte, was gespielt wurde. Im Oktober 1986 wurde über Nicaragua eine Transportmaschine vom Typ C123 abgeschossen. Es war – wie später herauskam – die auf den Namen Fat Lady getaufte CIA-Machine, die Barry Seal vorher geflogen hatte. Der Pilot namens Eugene Hasenfus rettete sich mit dem Fallschirm und wurde von den Sandinisten festgenommen. Er sagte aus, er transportiere Waffen für die Contras und arbeite für die CIA und das Büro von Vizepräsident George Bush. Das abgeschossene Flugzeug gehörte zu einer Geheimflotte von wenigstens 19 Flugzeugen, die für die Contras Waffen, Munition und Ausrüstung transportierten.
Hinter den politischen Kulissen in Washington tobte ein Machtkampf um die Deutungshoheit der Zentralamerikapolitik. Der Kongress hatte Ronald Reagan Hilfe für die Contras untersagt. Regierung und Geheimdienste versuchten mit allen Mitteln, Nachforschungen von Journalisten, aber auch von Staatsanwälten und kritischen Politikern wie Senator John Kerry, zu sabotieren.
Anfang der neunziger Jahre haben mutige Journalisten wiederholt versucht, Licht in die Mena-Affäre zu bringen, unter ihnen Mitarbeiter von Associated Press, The Nation, The Village Voice u.a. Sie wurden totgeschwiegen, als Spinner und Verschwörungstheoretiker beschimpft und mundtot gemacht. (2)
Einer der tragischsten Fälle war der mit einem Pulitzerpreis ausgezeichnete Investigativ-Journalist Gary Webb, der 1996 in den San Jose Mercury News (Kalifornien) den ganzen Sumpf der Kokain-Contra-Affäre beschrieb. Es ist meines Wissens bis heute die genaueste und ergiebigste Recherche zu dem Mena-Skandal in all seinen Verästelungen.
CIA und Regierung setzten Himmel und Hölle in Bewegung, um Gary Webb zu diffamieren.
New York Times, Washington Post und Los Angeles Times schossen sich auf Webb ein, sein Verleger distanzierte sich von ihm. Er verlor seinen Job und war professionell erledigt.
Später ergab sich aus Untersuchungen des Kongresses und des Justizdepartments und sogar aus CIA-internen Untersuchungen, dass Webb in all seinen substantiellen Schlussfolgerungen richtig lag. Mehr noch, 2002 schrieb Webb: «Die Verwicklung des CIA war weit grösser, als ich mir jemals vorstellte.» (3)
Webb begann später erneut zu recherchieren und kündigte 2004 einen Dokumentarfilm und ein Buch mit neuen Fakten an. Am 10. Dezember 2004 wurde er in seinem Haus in Sacramento tot aufgefunden. Seine Frau Sue Bell sagte, es sei Suizid. Gary sei verzweifelt gewesen, weil er seinen Hypothekarzins nicht mehr zahlen konnte und keinen Job in renommierten Medien mehr bekam. Die Leiche wies zwei Kopfschüsse auf, was bei Suizid ungewöhnlich ist.
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Anmerkungen:
1. siehe hier
2. siehe hier
3. Gary Webb: Dark Alliance, New York 2004
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.