Auf Twitter Wagenknecht Nr. 1 – in Leitmedien Strack-Zimmermann
Leitmedien zitieren auch im Ukrainekrieg grösstenteils andere Experten und es stehen andere Themen im Vordergrund als in den Social Media.
In einer umfassenden online-Medienanalyse über die ersten 12 Monate des Ukrainekriegs wiesen die Autoren Harald Welzer und Leo Keller beispielsweise nach, dass in den deutschen Leitmedien vor allem jene Experten und Politikerinnen zu Wort kamen, die schwere «Waffen forderten» (WF Experten). Die «Friedensuchenden» (FS Politikerinnen), die sich beispielsweise für einen Waffenstillstand einsetzten, wurden viel weniger genannt und zitiert (Faktor 1,8):
Die umfassende Untersuchung wurde am 19. April 2023 in der Neuen Rundschau der S. Fischerverlage publiziert. Die Autoren erfassten alle Dokumente, die vom 1. Februar 2022 bis zum 31. Januar 2023 im Internet zum Ukrainekrieg veröffentlicht wurden. So wurden rund 20 Millionen online-Dokumente (klassische Medien, online Medien, Twitter, Blog, Foren, Facebook) analysiert. 107’000 stammten alleine aus den 7 grossen Leitmedien (FAZ, Bild, SZ etc.). In den übrigen Tageszeitungen wurden rund 1 Million, in den online News 2,2 Millionen Artikel erfasst. Auf Twitter waren es 13,5 Millionen, in den übrigen Social Media rund 2 Millionen Dokumente.
Das verwendete Analysesystem von Talkwalker erlaubt es, sehr grosse Mengen von zunächst unstrukturierten Daten (Zeitungsartikel, Blog-Beitrag, Tweet/Retweet, Forum-Kommentar etc.) zu erfassen, nach formalen und inhaltlichen Kriterien zu strukturieren und zu indexieren.
Berücksichtigt wurden u.a., wie häufig Medien folgende Themen behandelten:
- die Forderung nach Lieferung von Kampfpanzern;
- Eskalationspotentiale;
- welche Parteien wurden im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg wie oft genannt;
- welche Expertinnen wurden im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg wie oft genannt;
- wie veränderten sich diese Nennungen im Verlaufe der Zeit.
Nicht ganz überraschend waren auf Twitter mehr Personen zitiert, die zur Nato kritisch eingestellt sind und einen Waffenstillstand und Friedensgespräche thematisieren, während in den Leitmedien Vertreterinnen und Vertreter der Nato-Politik dominierten.
Politiker und Experten in den Leitmedien
Die Rangierung der Experten und Politikerinnen in den Leitmedien zeigt, dass die Befürworter einer aktiven Kriegsunterstützung verbunden mit der Lieferung schwerer Waffen deutlich in Führung liegen, wohingegen Skeptiker wie z.B. General Kujat (24), Klaus v. Dohnanyi (30), Gabriela Krone-Schmalz (40), Ulrike Guerot (35), John Mearsheimer (37) erst weit abgeschlagen anzutreffen sind.
Politiker und Experten auf Twitter
Die Rangierung der Experten und Politikerinnen auf Twitter zeigt ein anderes Bild. Während die Exponenten der aggressiven Kriegsunterstützung durchwegs zurück rutschen, rücken die Skeptiker deutlich nach vorne. So macht General Kujat 11 Plätze gut (24/13), Henri Kissinger macht 13 Plätze gut (23/10), Klaus v. Dohnanyi 10 Plätze (30/20), Gabriela Krone-Schmalz macht 35 Plätze gut (40/5), bei Ulrike Guerot sind es 27 Plätze (35/8) und bei John Mearsheimer sind es 20 Plätze (37/17).
Eine Ausnahme ist Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die auch in den Social Media am zweitmeisten zitiert oder erwähnt wurde.
Thema Verhandlungen und Waffenstillstand
Informationen über Verhandlungen oder einen Waffenstillstand wurden in Leitmedien nach einem anfänglichen kleinen Hoch immer spärlicher. Auf Twitter dagegen waren diese Themen deutlich präsenter und stiegen im Januar 2023 stark an:
So kamen Vertreter der Regierung und Oppositonsparteien zu Wort
Beim Zitieren und Erwähnen der führenden Regierungsmitglieder und Oppositionsführer bestand der grösste Unterschied zwischen den Leitmedien und den Social Media darin, dass CDU-Oppositionsführer Friedrich Merz in den Social Media weit vorne lag, während die Leitmedien den FDP-Finanzminister Christian Lindner bevorzugten. Am meisten erwähnt oder zitiert wurden sowohl in Leitmedien als auch in Social Media Kanzler Olaf Scholz, Vizekanzler Robert Habeck und Aussenministerin Annalena Baerbock. Die damalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, schaffte es jeweils auf den fünften Rang:
Über viele Stimmen aus dem Ausland wurde nicht informiert
Die Analysten Harald Welzer und Leo Keller kommentierten ihre Resultate wie folgt:
«Im Kontext des Ukrainekriegs, immerhin ein Ereignis mit globaler Wahrnehmung und Wirkung, passiert es, dass einer FDP-Abgeordneten mehr mediale Aufmerksamkeit zuteil wird als etwa den Regierungschefs so kleiner Länder wie Indien, Brasilien oder Südafrika, in denen nun aber die Motive und Ziele der westlichen Länder im Ukrainekrieg ganz anders bewertet werden.
Um sich ein Bild von den militärischen Bedingungen und internationalen Verflechtungen des Kriegsgeschehens machen zu können, wären Gastbeiträge internationaler Militärs und Wissenschaftlerinnen, wie sie etwa in der Financial Times oder im Guardian zu finden sind, sicher hilfreich. Autoren, deren Analysen andernorts als wichtig betrachtet werden, wie etwa Ivan Krastev, Gideon Rachman, David Remnick, Keith Gessen oder Chandran Nair, sucht man in den deutschen Leitmedien meist vergeblich: Über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg finden sich in den deutschen Leitmedien ganze 20 Texte, in denen diese Autoren erwähnt werden oder die von ihnen verfasst wurden.»
«Problematischer erscheint gerade im Zusammenhang einer Krise, in der es buchstäblich um Leben und Tod und um erhebliche Eskalationsrisiken geht, die freiwillige und intentionale Selbstbeschränkung der Leitmedien auf die Erzählung einer Geschichte, die sie selbst zwar mit Wohlgefallen hören, die aber das Geschehen nicht entfernt in seiner ganzen Komplexität und Widersprüchlichkeit adressiert.
Schlimmer noch: Abweichende Lesarten und Versuche, den beschränkten Diskurs zu erweitern, werden oft unisono mit einer geradezu schäumenden Diskreditierung belegt. Man kann ja zum Beispiel vom ‹Manifest für Frieden› von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer halten, was man will – aber die Empörung darüber, dass zwei Personen öffentlich zur Geltung bringen, dass sie es für möglich halten, dass verstärkte Waffenlieferungen nicht die einzige aussenpolitische Option sind, erscheint gemessen am Anlass geradezu grotesk und sagt mehr über die mediale Landschaft aus als über den Sinn oder Unsinn des Manifestes.
An der seit Kriegsbeginn stattfindenden normativen Umformatierung zentraler gesellschaftlicher Ziele und zivilisatorischer Minima – von Frieden auf Rüstung, von Klimapolitik auf Verteidigungspolitik, von diplomatischen Konfliktlösungsstrategien auf militärische – hat der politische Journalismus, wie unsere Befunde zeigen, jedenfalls einen guten Anteil. Bleibt zu hoffen, dass die grosse Eskalation eines entgrenzten Kriegs oder eines Atomkriegs auch dann ausbleibt, wenn so viele ihre Aufgabe darin zu sehen scheinen, sie herbeizuschreiben.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Warum geben die Medien der Frau Strack-Zimmermann so eine grosse Bühne.
Sie wiederholt sich andauernd und argumentiert so am Rande der Demokratie lang.
Viele der Deutschen Politiker haben es noch nicht begriffen das der Krieg nur durch Gespräche
beendet werden kann. Waffen schaffen keinen Frieden.
Es gibt Gründe dafür, dass es keine Ausgewogenheiten im Rahmen des Austauschs von Meinungen gibt. Diese sind zum Teil auf die Umstände zurückzuführen, die den Diskurs umgeben, und zu einem weiteren hier interessierenden (größeren/hoffentlich aber kleineren) Teil einer parteiischen Auswahl bei der Veröffentlichung einer Meinung beziehungsweise einer selektiven Ermöglichung, diese kundzutun.
Eine parteiische/selektive Auswahl sollte es nicht geben. Derjenige, der über die Auswahl entscheidet, mag hehre Motive haben. Problematisch ist aber die Folgewirkung einer solchen Auswahl. Personen, die sich durch selektive Information beeinträchtigt sehen, verlieren das Vertrauen in die Medien (beziehungsweise die Politiker) und wenden sich ab. Es ist insofern nicht verwunderlich, dass diese Situation problematische Nebeneffekte hat.
Der Ruf nach Bewahrung der Demokratie ist dann nicht mehr glaubhaft, weil der Meinungsbildungsprozess ein wesentlicher Bestandteil der Demokratie ist.
Eine sehr interessante Studie, sehr aussagekräftig! Es wäre interessant, eine solche Studie auch in Frankreich und in der Schweiz durchzuführen. Das Resultat wäre bestimmt sehr ähnlich. Was heisst das nun? Richtet sich die Politik nach den Haupt-Medien oder die Haupt-Medien nach der Politik?
Diese Analyse ist leider nicht überraschend. Die sogenannten «Leitmedien» schreien gemeinsam mit einer erschreckenden Anzahl von Politikern nach Aufrüstung, Waffenexporten und Unterstützung kriegführender Staaten. Damit deligimentieren sie sich selbst, gibt es doch nichts Wichtigeres als Frieden. Kriege töten und verwunden Menschen, zerstören Wohnungen und Infrastruktur, bedeuten Elend für die Zivilbevölkerung. Sie bringen dem militärisch-industriellen Komplex Macht und Profite.
Dass die Mainstreammedien dafür als ideologisches Transportmittel genutzt werden und nicht, um für einen weltweiten Frieden zu werben, unterstreicht die Perversität und den Egoismus der Mächtigen. Die junge Generation, bar jeden Wissens, was ein Krieg bedeutet, ist leicht empfänglich für militaristische Propaganda und die Narrative der Regierungen, aber wenig für die Warnungen von wirklichen Experten (Kujat, Vlad etc.). Stattdessen folgen sie den politischen Laiendarstellern (Baerbock, Hofreiter usw.).
dass jemand zitiert wird, heißt ja zunächst mal nur, dass man sich mit dieser Person und ihrer Meinung auseinandersetzt; Zustimmung zu ihrer Haltung muss es dabei nicht geben.Allerdings gilt das meistens bei Experten, ungewünschte Meinungen werden gerne ignoriert.