Auch im Reich der Mitte rauchen nur noch die Bösen
Mao und Deng pafften bis ins hohe Alter. Kaum ein Foto der beiden prägenden chinesischen Politiker des letzten Jahrhunderts ohne einen Glimmstängel in der Hand oder im Gesicht. Der neue starke Mann dagegen, Parteichef Xi, wurde in diesem Jahrhundert jedenfalls noch nie mit einer Zigarette und noch viel weniger mit einer Zigarre abgelichtet. Selbst dann nicht, als er mit kubanischen Genossen diskutierte. Nun bekommt Xi höchstes Lob von höchster Stelle. «Präsident Xi versteht die Wichtigkeit einer umfassenden Tabak-Kontrolle», sagte im Juli Margaret Chan Fung Fu-chun. Frau Chan ist nicht irgendwer, sondern Chefin der Weltgesundheits-Organisation WHO.
Rauchen als Alltag
Wie die renommierte Hongkonger Tageszeitung South China Morning Post (SCMP) berichtet, kommt das WHO-Lob nicht von ungefähr. China werkelt derzeit an einem Anti-Tabak-Gesetz, das nach einem scharfen ersten Entwurf vom vergangenen Jahr nun etwas zahmer daherkommen soll. Nicht dass Xi in einer Männergesellschaft, in der Rauchen seit langem und auch heute noch zum normalen gesellschaftlichen Alltag gehört, nie geraucht hätte. Weit gefehlt. Xi tat das, was auch die Jugend auch heute noch macht: Paffen, und das nicht zu knapp. Das ist statistisch belegt. Nach neusten Erhebungen des Nationalen Statistischen Amtes rauchen zwei Drittel der männlichen Teenager unter zwanzig Jahren, knapp über 50 Prozent der chinesischen Männer und keine fünf Prozent der Frauen. Summa summarum sind das rund 350 Millionen Raucher, die in China am Nikotin hängen. Sogar 700 Millionen Chinesinnen und Chinesen sollen – so unglaublich das klingen mag – sogenannt Passivraucher sein.
Erste Zigarette im Schweinekoben
Parteichef Xi hat das Rauchen, wie es der allgemeine Brauch in China war und ist, sozusagen von der Pieke auf gelernt. Da Xis Vater Xi Zhongxun als hoher Beamter und alter Revolutionär während der Grossen Proletarischen Kulturrevolution (1966-76) in Ungnade fiel, wurde Xi Junior wie Millionen von Jugendlichen aufs «Land heruntergeschickt», um von den «bäuerlichen Massen» zu lernen. Für die Bauern waren die Jugendlichen eine Last. Um so härter mussten die Jungen arbeiten. Xi Jinping zum Beispiel in der nordwestlichen Provinz Shaanxi, wo er sozusagen im Schweinekoben seine erste Zigarette anzündete und Rauch und Nikotin tief in die Lunge inhalierte.
Xis Vater wurde nach der Kulturrevolution rehabilitiert und stieg zum stellvertretenden Ministerpräsident auf. Xi Junior machte in der Provinz Karriere. Als regionaler Parteisekretär wurde er 1983 locker mit einem Glimmstengel der Marke Lotus in der Hand abgelichtet, ganz nach dem Muster der alten kommunistischen Revolutionäre. Lotus-Zigaretten waren, um es milde auszudrücken, nicht gerade billig. Wie die SCMP berichtet, stellte Lotus in den 1990er-Jahren die Produktion ein, um – welch ein Zufall – zwei Jahre nach Xis Amtsantritt wieder zu produzieren, und das mit grossem Verkaufserfolg. Doch Xi hatte das Rauchen nach Angaben der «Pekinger Morgen-Post» schon längst aufgegeben, das heisst mit grosser Wahrscheinlichkeit in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre. Damals schon soll Xi gelassen folgende grosse Worte geäussert haben: «Rauchen ist schlecht für die Gesundheit».
In allerbester Gesellschaft
Der Zeitpunkt ist keineswegs ein Zufall. Damals nämlich wurde die allererste Anti-Raucher-Kampagne Chinas gestartet. Kettenraucher Deng Xiaoping, damals schon über 80 Jahre alt, soll auf Anraten seiner Frau dem blauen Dunst entsagt haben, wie «Renmin Ribao» (Volkszeitung) – das Sprachrohr der Partei – auf der Titelseite vermeldete. Deng wurde niemals mehr zigarettenrauchend ertappt. Xi Jinping befand sich also in allerbester Gesellschaft. Die Anti-Raucher-Kampagne verlief mehr oder weniger im Sand, beziehungsweise im blauen Dunst. Jahre später machte Peking einen neuen Anlauf und erklärte die Olympischen Spiele 2008 zu «rauchfreien Spielen». In und auf den olympischen Städten galt absolutes Rauchverbot, ebenso in allen öffentlichen Gebäuden, Restaurants, Schulen und dergleichen sowie – dies vor allem – auf über 300 Strassen. Der Effekt war minim.
Peking knallhart
Dennoch, die Regierung liess nicht locker. Rund 20 Städte, darunter Peking und Shanghai, erliessen knallharte Anti-Raucher-Gesetze und Vorschriften. In Peking galt in allen öffentlich zugänglichen Gebäuden ein absolutes Rauchverbot. Nicht einmal belüftete Fumoirs waren gestattet. Wie Ihr Korrespondent – seit Jahren Nichtraucher, auch wenn nicht ein überzeugter – bezeugen kann, wurde und wird fast überall munter weiter gepafft. Der Betreiber meiner Stammkneipe ist resigniert: «Viele Gäste sind chinesische Touristen aus den Provinzen. Die verstehen das Rauchverbot einfach nicht. Aber auch alte Stammgäste kümmern sich einen Deut darum und sagen, warum aufhören, wir haben es doch hier immer schon gemacht». Immerhin, in der U-Bahn, im Bus, in Spitälern oder Schulen wird heute praktische nicht mehr geraucht.
Fertig lustig
Vor drei Jahren, Nichtraucher Xi Jinping war kaum an der Macht, war es in Sachen Rauchen fertig lustig. In einer gemeinsamen Direktive des Zentralkomitees und des Staatsrates (Regierung) wurde Partei- und Regierungskadern aufgetragen, die Führung in der Anti-Raucher-Kampagne zu übernehmen. Zudem wurde ihnen verboten, in Ausübung offizieller Funktionen zu rauchen. Den Beamten wurde auch strikte verboten, mit öffentlichen Geldern Zigaretten zu kaufen. Es gehörte nämlich zum guten Ton, als Geschenk auch sehr teure Zigaretten darzubieten, vor allem Zigaretten der Marke Panda, die der reuige Kettenraucher Deng zu inhalieren pflegte oder eben die bereit erwähnte Marke Lotus.
Der Nationale Volkskongress, das Parlament, bereitet nun ein landesweit gültiges neues Anti-Raucher-Gesetz vor. Ein erster scharfer Entwurf wird jetzt, zum Missfallen der WHO und der chinesischen Tabak-Kontroll-Behörde, revidiert. So sollen etwa Raucher-Zonen auf Flughäfen oder Fumoirs in Restaurants und Bars ermöglicht werden, ebenso dürfte in Einzelbüros wieder geraucht werden. Der WHO-Vertreter in China, Bernhard Schwartländer, ist empört und rät: «Aus Erfahrungen haben wir gelernt, dass 100-Prozent rauchfrei das beste Gesetz ergibt. Das ist simpel und klar». Ob ein solches Gesetz in China auch durchsetzbar ist? Die einzige möglich Antwort auf Grund der Erfahrungen der letzten dreissig Jahre lautet: es wird länger dauern als in Amerika und Europa, das heisst lange, sehr lange.
Andrerseits ist klar, dass akuter Handlungsbedarf besteht. Bereits heute sterben nach Studien chinesischer und ausländischer Wissenschaftler jährlich eine Million Chinesen und Chinesinnen an durch Rauchen verursachten Krankheiten. Wenn nichts geschieht, werden es im Jahre 2030 zwei Millionen und zur Jahrhundertmitte drei Millionen sein. Die durch den blauen Dunst verursachten Gesundheitskosten sind exorbitant.
Schlaumeiereien
Für die Gesetzgeber des Nationalen Volkskongresses ist die Anti-Raucher-Aufgabe schwierig und gleicht der Quadratur des Kreises. China nämlich ist nicht nur mit Abstand der grösste Zigaretten-Verbraucher der Welt sondern ebenfalls mit Abstand der grösste Zigarettenproduzent. Das Monopol ist in staatlicher Hand. Die Zigaretten-Fabriken ebenfalls. 30 Millionen Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel sowie seit dreissig Jahren satte zehn Prozent der Steuereinnahmen oder derzeit umgerechnet rund 100 Milliarden Franken jährlich. Mit höheren Zigarettenpreisen kann dieser Wert notfalls auch bei allenfalls sinkendem Konsum gehalten werden. Mit ähnlichen Schlaumeiereien verfahren ja auch andere Länder, zum Beispiel Mitten in Europa.
Ein Trost bleibt für China. Die berühmte Sängerin Peng Liyuan ist seit sieben Jahren Botschafterin der Chinesischen Tabak-Kontroll-Vereinigung. Und Peng ist niemand anders als die Ehefrau des rauchfreien Staats-, Partei- und Militärchefs Xi Jinping.
Merke: auch im Reich der Mitte rauchen nur noch die Bösen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Deshalb reise ich nicht nach Peking und korrespondiere nur mit unseren nicht-rauchenden Informanten…
Sie schreiben, dass 350 Millionen Chinesen rauchen und – «so unglaublich das klingen mag » – 700 Millionen Passivraucher seien.
Wieso «unglaublich"? Wenn in einer Familie, einem Büro oder Restaurant etc. auch nur eine Person raucht, hätte ich die Zahl der Passivraucher sogar weit höher eingeschätzt.