Andreas Zumach: Auf der Krim soll das Volk erneut entscheiden!
Neben diesen beiden genannten Varianten sollen die Bürgerinnen und Bürger auf der Krim als dritte Variante auch den alten Zustand der Zugehörigkeit zur Ukraine wählen können. Der langjährige Korrespondent bei der Uno in Genf und Spezialist für geopolitische Fragen, Andreas Zumach, ist «zutiefst frustriert», dass von keiner Seite konkrete Vorschläge kommen, wie man aus der Eskalationsspirale mit Russland herauskommt.
Zumach hält die im März 2014 erfolgte Abspaltung der Krim von der Ukraine und ihre Annexion durch Russland für völkerrechtswidrig. Daher dürfe man den Status Quo nicht einfach so akzeptieren, da dies ein bleibender Stachel in den Beziehungen innerhalb der Ukraine, zwischen der Ukraine und Russland sowie zwischen dem Westen und Russland bleiben werde. Nötig sei vielmehr ein «zwischen Russland und der Ukraine einvernehmliches Verfahren zur Lösung dieses Konfliktes».
Er stellt daher zur Diskussion, eine neue Abstimmung auf der Krim durchzuführen. Jedoch müsse diese Abstimmung unter anderen Rahmenbedingungen als im März 2014 stattfinden. Und die Bevölkerung der Krim solle nicht wie 2014 nur wählen können zwischen «alter Status Quo» oder «Abspaltung von der Ukraine und Beitritt zu Russland», sondern auch über andere Optionen. In einem Vortrag unter dem Titel «Russland und der Westen – Eskalation ohne Ausweg?» formulierte Zumach seinen Vorschlag wie folgt:
- Die Abstimmung wird von der Uno oder der OSZE durchgeführt, überwacht und ausgezählt.
2. Neben dem Verbleib zur Ukraine oder dem Verbleib in der russischen Föderation solle dem Volk mindestens die folgende dritte Option vorgelegt werden: Ein formeller Verbleib im Staat Ukraine, aber mit weitgehendster Autonomie. Diese müsste umfassen:
a. Sprachliche Autonomie: Amtssprache Russisch, gemäss der ca 58-prozentigen russischstämmigen Bevölkerungsmehrheit vorzugsweise sogar als erste Amtssprache;
b. Kulturelle Autonomie: russische Radio- und TV-Sender, Schulbücher, Strassenschilder etc.;
c. Adminstrative Autonomie: weitgehende Selbstverwaltung, keine hierarchisch-zentralistische Verwaltung durch Kiew;
d. Finanzielle Autonomie: Das Recht, Steuern einzuführen, deren Erträge im Autonomiegebiet verbleiben.
Falls das Volk auf der Krim sich nicht für eine solche Autonomie, sondern für einen Verbleib in der russischen Föderation entscheiden sollte, wäre die Abspaltung von der Ukraine auch völkerrechtlich einwandfrei anerkannt.
Deutschlands dreifache besondere Verantwortung für ein gutes Verhältnis zu Russland
Dass die deutsche Bundesregierung sich weitgehend hinter das westliche Narrativ des «bösen Russen» stellt, ist für Zumach besonders stossend, da doch gerade Deutschland aus drei Gründen eine besondere Verantwortung gegenüber Russland habe: Erstens forderte der vor 80 Jahren begonnene Vernichtungskrieg Nazideutschlands gegen die Sowjetunion im 2. Weltkrieg über 27 Millionen Tote in Russland und in anderen Sowjetrepubliken. Zweitens: Wenn immer es in den letzten sechs Jahrhunderten Spannungen oder sogar Kriege zwischen Moskau/Sankt Petersburg und Berlin gab, wurde auch der ganze eurasische Kontinent zwischen Atlantik und Ural destabilisiert. Drittens erwachse auch aus der aktuellen, höchst gefährlichen «Modernisierung von Atomwaffen» auf beiden Seiten eine besondere Pflicht zur Zurückhaltung und Deeskalation, nicht zuletzt auch aus Eigennutz, denn Deutschland läge im Falle einer militärischen Auseinandersetzung im Brennpunkt eines potentiell atomaren Konfliktes.
Anderer Vorschlag: Die Krim wird zum Mandatsgebiet der Uno
Gabriele Krone-Schmalz machte am 27. Oktober 2021 einen anderen Lösungsvorschlag, der ein historisches Vorbild hat: Nach dem 1. Weltkrieg wurde das Saarland von Frankreich beansprucht, jedoch im Versailler Vertrag 1920 dem Völkerbund (der späteren Uno) unterstellt, aber unter französischer Verwaltung belassen. Nach 15 Jahren fand 1935 eine Volksabstimmung statt, bei der 90 Prozent der Bevölkerung sich gegen einen Verbleib bei Frankreich aussprach.
Krone-Schmalz schlägt entsprechend vor, die Krim zum Mandatsgebiet der Uno zu erklären, völkerrechtlich bei der Ukraine zu belassen, Russland mit der Verwaltung zu betrauen und nach einer gewissen Frist eine Volksabstimmung über den Verbleib bei der Ukraine, über einen Übertritt zur russischen Föderation oder eine vollständige Selbständigkeit durchzuführen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Vergleichbare Situationen wie in der Krim lassen sich im indischen Teil Kaschmirs, in der Westsahara, von mir aus auch in Abchasien, Südossetien, im Donbass und in Transnistrien studieren. Überall schuf eine militärische Besetzung vollendete Tatsachen. Das macht die Suche nach einvernehmlichen Lösungen schwierig bis unmöglich. Auch die Vermittlungsaktionen in Tschetschenien, Bosnien oder die Auseinandersetzung um Status Kosovos stimmen nicht gerade optimistisch.
Da ist aber Herr Zumach ganz schön am träumen. Nie und nimmer wird sich die Bevölkerung der Krim in irgend einer Form wieder der Ukraine zuwenden. Auch und gerade im Anbetracht der Nicht-Umsetzung des Minsker Abkommens (d.h. offener Vertragsbruch) durch das ukrainische Nationalisten-Regime und die fortwährende und kompromisslose Agression im Donbass, ist es schon sehr blauäugig, nun ein korrektes Verhalten gegenüber der Krim zu erwarten.
Dass die USA+NATO+EU diesen ganzen Konflikt erst angezettelt und in der Folge befeuert haben, wird dabei gerne und geflissentlich verschwiegen.
Und vom völkerrechtlichen Standpunkt her, könnte man genau so gut von den USA verlangen, dass sie sämtliche Gebiete, die seinerzeit Mexiko geraubt wurden auch wieder zurückgeben.
Sie haben wahrscheinlich recht mit Ihrer pessimistischen Einschätzung der Erfolgsaussichten von Zumachs Vorschlag. – Aber sollen wir deswegen alle Völkerrechtsverletzungen auf sich beruhen lassen und aufhören, nach Lösungen zu suchen, wie wir auf einen völkerrechtlichen Pfad zurückkehren können, ohne dass die Beteiligten einseitig das Gesicht verlieren? Zumach ist der Ansicht, dass allein schon die Diskussion um Lösungsmöglichkeiten beitragen kann, Spannungen abzubauen.
Vielleicht war schon die «Übertragung» der Krim, von der Russischen Sowjetrepublik an die Ukrainische Sowjetrepublik durch Chruschtschow, völkerrechtwidrig?
Die Bevölkerung wurde nicht gefragt und Chruschtschow war ja Ukrainer.
Ohne die «Rückholung» der Krim nach Russland wäre Sewastopol heute USA Militärstützpunkt.
Das ist der eigentliche und entscheidende Grund.
Früher hätte man denken können, das Weltproblem ist die Konfrontation des kapitalistischen und des sozialistischen «Lagers». So naiv muss auch Gorbatschow gedacht haben, als er sich mit Zusagen, wie unter Indianern, zufrieden gab.
Es ging und geht immer um Macht, Einfluss und Bodenschätze.
Mit einem wie Jelzin, wäre Russland aufgekauft worden.
Deshalb die Wut und der Hass des Westens gegen Putin.
Anfrage (kein Beitrag):
Gibt es eine Möglichkeit, die permanent negative Berichterstattung über Russland und Präsident Putin von Andreas Rüesch (NZZ) durch eine offizielle, wenn möglich amtliche, Stelle zu beanstanden?
Ralf Zeidler erklärt oben, warum es gar keine zweite Abstimmung in der Krim geben kann. Diese wäre ein Affront gegenüber Russland und seiner mehr als tausendjährigen Geschichte. Die Sowjetunîon ist seit 1991 passé, es lebe das Russland seit dem 9. Jahrhundert, da gehörte auch die Ukraine zu Russland.
Es gibt nur eine Lösung, um den Krisenherd Ukraine zu beseitigen: Die Ukraine muss sich als selbstständig und unabhängig erklären und den Status der bewaffnete Neutralität nach dem Vorbild der Schweiz proklamieren. Es versteht sich, dass diese Neutralität keine EU- und Nato-Mitgliedschaft umfassen kann! Aber der internationale Handel sowohl mit dem Westen als auch mit dem Brudervolk Russland, dem steht nichts entgegen.
Eine Osterweiterung des Westens ist ein absolutes «No Go!»
Zu einer zweiten Abstimmung habe ich mich zwar nicht geäußert, aber sie wäre nicht verkehrt.
Rechtlich ist es aber wohl absolut nicht klar, dass die Krim zur Ukraine gehört.
Übrigens Chruschtschow war zwar kein gebürtiger Ukrainer, aber er verbrachte seine Jugend dort und war über viele Jahre in verantwortlichen Parteifunktionen, bis zum Parteichef der Ukraine.
Das entspricht etwa dem Ministerpräsidenten eines Bundeslandes in der BRD.
@Ralf Zeidler: Ich möchte Ihner Meinung nicht widersprechen (zweite Abstimmung in der Krim), aber aus Ihrer Antwort ergibt sich keinen Sinn einer zweiten Abstimmung! Denn Sie sagen ja zu Recht, es sei nicht klar, dass die Krim zur Ukraine gehöre, sie war ein Geschenk Chruschtschows. Zu wem gehört dann die Krim? Also doch, die Krim gehört zu Russland, dem alten Russland! Und wer ist der legitime Nachfolger des alten Russland? Das heutige Russland vertreten durch Wladimir Wladimirowitsch Putin! Manche glauben, die Krim müsse zum Einflussbereich der USA gehören…. Diese Leute werden sich an Putin noch sämtliche Zähne ausbeissen, auch ohne Krieg um die Ukraine.
Man sollte endlich begreifen, dass das heutige Russland mit der Sowjetunion nicht gleichgesetzt werden kann, der Sowjetkommunismus war eine traurige, in der Weltgeschichte glücklicherweise kurze Epoche!
Die Ukraine muss erst einmal beweisen, dass sie selbstständig und unabhängig ist. Die Ukraine muss ihre bewaffnete Neutralität nach dem Vorbild der Schweiz erklären! Deshalb ist eine EU- und Natomitgliedschaft nicht möglich!