Kommentar
Amherd geht zu Trumps Säbelrasseln gegen Putin auf Distanz
Die Erklärung aus dem Bundeshaus Ost ist diesmal klar und deutlich: «An dieser Übung nimmt niemand aus der Schweiz teil», antwortet eine Sprecherin der Schweizer Verteidigungsministerin Viola Amherd (CVP) auf Anfrage von Infosperber. Sie betont: «Von der Schweizer Armee sind auch keine Beobachter oder Verbindungsoffiziere an der Übung beteiligt oder vor Ort.»
Mit «Übung» ist das Grossmanöver «Defender-Europe 2020» gemeint. Im direkt betroffenen Deutschland überall als «Nato-Manöver» bezeichnet (sogar höhere Bundeswehr-Offiziere sprechen gegenüber Infosperber fernmündlich von einer «Nato-Veranstaltung»), ist es genau genommen eine «Übung» der US-Streitkräfte unter US-Kommando. Unter «Beteiligung von 17 willigen Nato-Partnern» allerdings. Insgesamt 37’000 Soldaten wurden für die Übung aufgeboten und mobilisiert. Davon treffen schon seit Februar 20’000 Mann US-Truppen mit schweren Waffen und Ausrüstung (eine mechanisierte Division) auf 10 Transportschiffen und mit Transportflugzeugen aus den USA über Häfen und Militärflugplätze in Europa ein – vorab in Deutschland. Dies zusätzlich zu jenen über 100’000 Mann US-Besatzungstruppen, die seit dem Zweiten Weltkrieg (seit über 70 Jahren also) als «The United States Army Europe» permanent auf Dutzenden von Stützpunkten in den meisten Ländern Europas (mit Ausnahme der Schweiz, Österreichs und Frankreichs etwa) stationiert geblieben sind – der grösste Teil davon in Deutschland.
Trumps «grosser Marsch in den Osten»
Deutschland und seine Militäreinrichtungen sind für die US-Übung Defender 2020 denn auch eine «Drehscheibe» (wie die Bundeswehr selber sagt). Die US-Truppen rollen jetzt und noch bis Anfang Mai quer durch Deutschland Richtung Osten, wobei die Bundeswehr mit ihrer «Streitkräftebasis» nur die Rolle des Logistik-Gehilfen im «Gastland» (Host-Country) spielt. Die «Süddeutsche Zeitung» nennt das Manöver den «Grossen Marsch in den Osten».
Gefechtsübungen sollen im Mai auf US-Basen wie Grafenwöhr in Deutschland stattfinden. Aber auch in den militärisch schwachen Oststaaten Polen, Litauen oder Lettland und sogar in Georgien. Dort würden dann die US-Truppen vor Russlands Westgrenze «deutliche Signale der Abschreckung» (in Richtung Moskau) aussenden, schreibt die Bundeswehr.
Der kleine ehemalige Sowjet-Staat Georgien ist zwar (noch) nicht Nato-Mitglied, aber «Partner» des Nordatlantik-Pakts im Rahmen der «Partnership for Peace (PfP)».
Die neutrale Schweiz marschiert nicht mit
In diesem Konstrukt «Partnership for Peace», mit dem die US-Militärführung militärpolitisch unsichere Staaten an «ihre» Nato anbinden und für den Beitritt vorbereiten will, macht auch die neutrale Schweiz immer noch mit. 1996 haben die Bundesräte Adolf Ogi (SVP) und Flavio Cotti (CVP) im Zuge der damaligen Öffnungs-Euphorie unser Land – unter Mithilfe der Landesregierung und der Räte, aber ohne jegliche Abstimmung und also am Volk vorbei – in diese militärische «Partnerschaft für den Frieden» geführt.
Im Nato-Hauptquartier in Brüssel/Mons pflegen seither ein Schweizer Botschafter und ein Einsterngeneral (Brigadier) permanent die «Partnerschaft» mit dem Militärpakt, der inzwischen weniger Europa verteidigt als vielmehr weltweit (bis nach Afghanistan) den US-Truppen hilft, sogenannte «Interventions-Kriege» zu führen.
Schweizer Truppen machen meines Erachtens entgegen der Neutralität unseres Landes wegen «Partnership for Peace» in Europa auch gelegentlich bei Manövern im Ausland mit. Besonders «partnerschaftlich» mit der Nato fühlte sich die Schweizer Luftwaffe. So flog sie etwa 2015 in einer ähnlichen Russland-Abschreck-Übung wie nun Defender 2020 namens «Arctic Challenge Exercise» mit acht ihrer Abfangjäger vom Typ F/A-18 im hohen Norden oben der russischen Grenze entlang Nato-Bombern hinterher. (An jenem Manöver beteiligte sich aber auch Schweden, das ebenfalls nicht Mitglied der Nato ist. Red.)
Darauf angesprochen, musste der damalige Schweizer Wehrminister Ueli Maurer (SVP) dann im Bundesmedienzentrum in Bern während einer seiner Pressekonferenzen einräumen, für die Glaubwürdigkeit unserer Neutralität sei dieser «Ausflug» wohl eher «nicht sehr klug» gewesen. Zu einer weiteren grossen Nato-Übung gegen Russland in Norwegen delegierte Maurers Nachfolger im Schweizer Verteidigungsministerium (VBS), Guy Parmelin (SVP), im Oktober 2018 dann nur noch «Beobachter» ab.
Dessen Nachfolgerin Viola Amherd (CVP) geht nun gänzlich auf Distanz zu den neusten US-Kriegsspielen unter Nato-Beteiligung. Für diesen politisch «geordneten Rückzug» hat man in Bern natürlich juristisch-diplomatische Erklärungen schnell parat (die Übung geht von einem Uno-Mandat aus, geprobt wird ein Nato-Verteidigungsfall, ist gar keine Nato-Übung etc.). Erfreulich ist die Rückbesinnung auf unsere Neutralität so oder so. Eventuell gäbe es im neuen grüneren Schweizer Parlament inzwischen gar Mehrheiten für einen Rückzug der Schweiz aus der neutralitätspolitisch längst fragwürdigen Nato-Partnerschaft PfP.
«Der Russ» schreckt Trump mehr als der Virus
Auf Distanz zum massiven US-Militäraufmarsch «an der Ostfront», wie es in Deutschland mitunter (wieder) heisst, geht derweil auch die deutsche Bevölkerung. In den Hafenstädten, wo das schwere US-Kriegsgerät an Land gebracht wird, kam es zu Demonstrationen. Der DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund) hat einen Aufruf gegen das Manöver publiziert.
Friedensbewegungen und «Die Linke» kritisieren die SPD scharf, welche als Teil der Grossen Koalition (Bundesregierung in Berlin) bei Trumps gefährlichen Kriegsspielen einmal mehr auch mitmache. Die Linke hat jetzt im Bundestag einen Vorstoss deponiert, der den sofortigen Abbruch der US-Übung und den Rückzug der Panzer-Truppen in die USA fordert. Dies vor allem auch wegen des Corona-Virus. Nach Trumps Einreiseverbot gegen alle EuropäerInnen im Schengen-Raum erst recht.
Doch der US-Präsident fürchtet offenbar immer noch eher «den Russ» als den Virus: Auch Truppen aus dem virenverseuchten Italien sollten bei Defender 2020 in Osteuropa mitmarschieren. Und selbst nachdem auf einer US-Truppenbasis in Bayern ein Fall von Corona-Ansteckung festgestellt wurde, läuft die Übung weiter. General Andrew «Andi» Rohling meinte auf eine Frage dazu vor der Presse letzte Woche noch: Auch medizinisch und sanitarisch sei sein Manöver Defender 2020 ja «sehr robust». Mit Datum vom 12. März teilt er nun aber doch mit, des Virus wegen werde die Zahl der an seinem Ostaufmarsch teilnehmenden Soldaten «reduziert» – und das Manöver «der Lage angepasst» (vgl. Nachtrag unten).
Kampfpanzer M1-Abrams rollen durch Deutschland: aus den USA 10’000 Kilometer weit bis an Russlands Grenze verlegt. Foto: Auto-Bild
US-Wüstenpanzer in Ostpreussen
Dieses Manöver ist ohnehin eine Lachnummer: Die Kampffahrzeuge der US-Army, die nun nach Osten rollen, sind fast alle sandfarben. Sie passen eher in die Wüste Syriens (wo die US-Kriegsmacht gerade kläglich zum Rückzug hat blasen müssen) als ins dunkelgrüne Gelände Ostpreussens. Da gäbe der sandbeige US-Panzer M1-Abrams am Rande eines Tannenwaldes für den russischen «Tankist» in seinem T-14 (Armata) jedenfalls eine treffliche Zielscheibe ab. Und sicher werden die Beobachtung und Überwachung der US-Truppenbewegungen an Russlands Westgrenze durch die hellbeige «Tarnfarbe» enorm erleichtert.
Nachtrag: «Der Virus stoppt den Panzer nicht.» So konnte man in Deutschland vor Tagen noch in Schlagzeilen lesen. Inzwischen ist jedoch genau das passiert: «Wir können die Übung nicht abbrechen», sagte zwar Oberstleutnant von Robert als Sprecher der Bundeswehr am Freitag Nachmittag, 13. März, auf telefonische Nachfrage. «Die amerikanische Übungsleitung hat jetzt jedoch einen vorläufigen Freeze befohlen, einen Marschhalt.» Konkret werden jene US-Truppen, die schon in Polen oder im Baltikum in ihren Bereitschaftsräumen eingetroffen sind, dort bleiben. Es gibt also keinen Rückzug. Doch werden etwa jene Transportschiffe der US-Navy, die noch auf See sind, nicht in die Entladehäfen in Europa einlaufen, sondern davor vor Anker gehen und eine Warteposition einnehmen. Ein Rest der vorgesehenen, aber noch nicht eingetroffenen US-Truppen wird auch nicht mehr nach Deutschland eingeflogen. Gar nicht an der Übung teilnehmen werden die Nato-Truppenteile aus Italien, die in der Übungsanlage noch vorgesehen waren.
Nachtrag der Redaktion: Mittlerweile hat auch die deutsche Bundeswehr ihre Beteiligung an Defender 2020 teilweise abgesagt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Die Mitgliedschaft bei der NATO-«Partnership for Peace» steht klar und eindeutig in krassem Widerspruch zu unserer Neutralität. Der Bundesrat sollte möglichst bald den Austritt beschliessen. Der Moment ist günstig. Der Rückzug der Schweiz würde unter den medial viel wichtigeren Coronavirus Nachrichten international kaum zur Kenntnis genommen. Auch Trump hätte Wichtigeres zu tun, als der Schweiz mit Vergeltungsmassnahmen zu drohen.
Beruhigt euch bitte. Ein befreundetes militärbündnis führt ein manöver durch. Business as usual.
Der schreiber und wohl auch viele infosperber leser haben sich verrannt. Es gibt eine realpolitische welt ausserhalb der empörungsszene.
Nato bashing ist in, man hat den applaus auf sicher. Applaus ist ein zuverlässiges zeichen dass man auf dem holzweg ist.
Es ist offensichtlich, dass hier die USA am Hebel sitzt. Truppen aus Italien herum zu kutschieren ist im heutigen Zeitpunkt verantwortungslos. Aber für ein stabiles Genie ist das natürlich alles kein Problem.
Wenn die ganze Klimajugend in Deutschland gegen den massiven US-Militäraufmarsch an der „Ostfront“ demonstrierte, wäre das sinnvoller. Aber zu kapieren, was dieser Militäraufmarsch für Europa bedeuten kann, dafür sind sie viel zu blauäugig.
Mit der „Partnership for Peace“ hat man der Schweizer Bevölkerung Sand in die Augen gestreut. Die meisten sind zu blöd oder zu wirtschaftsfreundlich, um zu kapieren, was es heisst, Halbmitglied der NATO zu sein. Einen vollen NATO-Beitritt hätte man in einer Volksabstimmung nicht durchgebracht. So machten Bundesrat und Parlament das durch die Hintertüre.