Adolf Hitler als Touristenattraktion
Mit dem Massentourismus verlieren die Orte des Grauens ihre Abschreckung. Eine italienische Reisegruppe steht im Eingangsbereich des Konzentrationslagers Sachsenhausen und lässt sich mit Audioguides ausstatten. Lautes Geschwätz, Lachen, Grölen – ausgelassene Ferienstimmung.
Es ist heiss. Die meisten Menschen tragen kurze Hosen oder Röcke und Sandalen. In der einen Hand die Wasserflasche, in der anderen der elektronische Führer, verbunden mit den Kopfhörern, die sich nun alle aufsetzen. Vergnügt marschieren die Touristen los. Von Posten zu Posten. Von Grausamkeit zu Grausamkeit. Von Horror zu Horror. Detailliert geschildert, historisch fundiert, ohne zusätzliche Dramatik beschrieben.
Erholung im ehemaligen Leichenkeller
Die Wege sind sauber, die KZ-Baracken ebenso und die Orte der Vernichtung sind als besondere Orte markiert, teilweise sogar mit moderner Architektur überdacht. Die Stimme im Audioguide erzählt, dass vorne rechts in den Ruinen der Abflusskanal des Blutes der Erschossenen erkennbar sei. Der Leichenkeller ist weiss gekachelt, sauber wie die Filiale eines Anbieters von öffentlichen Toiletten, und vor allem kühl. Kein Wunder, dass sich hier einige Touristen der italienischen Reisegruppe nach zwei Stunden KZ-Besichtigung unter der Sommersonne für kurze Zeit erholen.
Der Ort hat zwar eine schreckliche Vergangenheit. Aber er ist nicht mehr authentisch.
Geschichte als Ferienerlebnis
Auf den Spuren der Historie zu wandeln ist ein weltweit beliebtes Urlaubsvergnügen. Schönheit und Schrecken liegen nahe beieinander. Monumentale Denkmäler sind oft auch Mahnmale grösster Verbrechen.
Das meiste, was vom Dritten Reich übrig blieb, wurde gesprengt, abgerissen oder im besten Fall umgebaut. Wie in der ehemaligen DDR: Zu militärischen Zwecken umgenutzt oder liegen gelassen und vergessen. Der Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte war Jahrzehnte lang schwierig. Dann kehrte die Stimmung ins Gegenteil: Hitler und das Dritte Reich wurden in Zeitschriften und TV-Sendungen zu historischen Ereignissen. In den Reiseführern nehmen Gedenkstätten einen immer prominenteren Platz ein.
Jetzt kommen viele ausländische Touristen und wollen diese Geschichte möglichst hautnah erleben. Für die Deutschen ist das sicher nicht einfach. Vor allem deshalb, weil die Historien-Urlauber immer zahlreicher kommen. Die meisten Gedenkstätten verzeichnen Besucherzahlen in einem Ausmass, das nie erwartet wurde.
Es gibt aber auch Stätten, welche die Reiseführern nur am Rande oder gar nicht erwähnen, und um die kein Museum oder Mahnmal gebaut wurde. Hier zeigt sich die Spannung zwischen dem Wunsch nach Vergessen und der Realität der Geschichte.
Einziger Zeuge des geplanten Triumphbogens
Zum Beispiel eine kleine, unscheinbare Grünanlage in Berlin. In der Nähe des Holocaust-Denkmals, zwischen Wohnblocks, Baustelle und Parkplatz, sitzen Schülerinnen und Schüler am Boden und picknicken. Auf einer Tafel, rund fünfzehn Meter davon entfernt, steht geschrieben, dass hier zu Zeiten Adolf Hitlers die Reichskanzlei war. Inklusive Führerbunker und Vorgarten. Hier starb also Hitler, Eva Braun, sein Hund Blondi und die gesamte Familie Goebbels.
Etwas besser gekennzeichnet ist ein monumentaler Betonblock mitten in einem Wohnquartier. Der unsinnig anmutende, 12 380 Tonnen schwere Zylinder ist ein Grossbelastungskörper. Er wurde 1941 zu Testzwecken gebaut: Hitlers Architekt Albert Speer wollte feststellen, ob der Boden kompakt genug war, um den geplanten riesigen Triumphbogen der neuen Reichshauptstadt Germania zu tragen. Der Test war erfolgreich, der Boden war und ist stark genug. Trotzdem wurden weder der Triumphbogen noch Germania gebaut. Und so ist dieser Betonblock das einzige reale Bauwerk, das von Hitlers Traumstadt Germania zeugt.
Jugendherberge in Nazi-Bauwerk
Ein bauliches Mahnmal an die Nazi-Zeit ist auch ein Koloss auf Rügen. Das gigantische, rund 4,5 Kilometer lange und nie benutzte «Kraft durch Freude»-Bad in Prora thront an der Ostsee. Es hätte das Urlaubsdomizil für 20’000 Menschen werden sollen. Jetzt, am 1. Juli dieses Jahres, sollen immerhin 400 Menschen zusammen hier Ferien machen können: In einem Teil des Nazi-Bauwerks wird eine Jugendherberge eröffnet.
Pfeiler von Hitlers geplanter Erlebnis-Autobahn unter Denkmalschutz
Eine ähnlich erstaunliche Umnutzung passierte mit einem Nazi-Bauwerk, das nahezu unbekannt ist. An einem idyllischen Ort zwischen Würzburg und Fulda steht ein Brückenpfeiler. Allerdings ohne Brücke. Der Pfeiler wird heute als Kletterwand benutzt. Wären die Arbeiter, die hier einmal geschuftet haben, nicht plötzlich abgezogen und an den «Westwall» des Reichs gekarrt worden, dann würde hier eine Autobahn stehen: Hitlers Erlebnisautobahn Nord-Süd. Die Strecke 46, von der noch Hunderte von Bauwerken sichtbar sind, wurde, im Gegensatz zu den anderen Autobahnen, nach dem Krieg nicht fertiggestellt, weil sie zu viel bergauf und bergab führte. So ist diese Strecke heute ein von der Natur zurückerobertes Stück Geschichte und steht unter Denkmalschutz. Touristisch liegt es aber völlig brach. Das soll sich ändern – mit einer Wanderroute im Spessart, entlang dem Symbol einer gescheiterten Ideologie. Zum Beispiel.
Platz mit Hitlers Kanzel in Nürnberg
Der Umgang mit den stummen Zeugen von Hitlers Wahn ist oft ein schwieriger. Besonders Nürnberg trägt mit dem Gelände der Reichsparteitage ein schweres Erbe. Natürlich gibt es hier ein Museum. Aber trotzdem hat der Platz mit Hitlers Kanzel etwas Beklemmendes. Der Besucher steht zwar in einer Öde, einer Leere – doch im Kopf spielen sich Leni Riefenstahls Filmszenen mit den dem Führer entgegen gereckten Massen von rechten Armen ab.
Experten sind sich nicht einig
Einen veritablen Richtungsstreit über den Umgang mit Nazi-Bauwerken gab es kürzlich an einem noch viel problematischeren Ort: Auf dem Obersalzberg, Hitlers Feriendomizil in Berchtesgaden (Bayern). Historiker, Denkmalpfleger und Museumspädagogen diskutierten an einer Tagung im «Dokumentationszentrum Obersalzberg» darüber, was mit den Relikten der NS-Zeit passieren soll. Abreissen, umnutzen, ausstellen? Der Abriss bedeute eine Vernichtung historischen Stätten, sagten diese Experten. Bei der Umnutzung bestehe die Gefahr der Verharmlosung und «Verhübschung» der Nazi-Zeit, meinten andere Fachleute. Und mit Ausstellungen könne ein «sakraler Umgang» mit den Objekten entstehen und zu einem «Ziegelsteinfetischismus» führen, warnte ein weiterer Experte.
Touristisch oder authentisch
Wie schwierig der touristische Weg ist, zeigt sich auf dem Obersalzberg selbst. Zwar ist Hitlers Ferienort mit einem ausgezeichneten Museum ausgestattet. Doch der eigentliche Täterort, Hitlers Berghof – oder die wenigen Ruinen, die davon übriggeblieben sind –, liegt versteckt in einem Wald. Zwar steht am Ort selbst eine Tafel. Aber die Touristenmassen verirren sich nicht hierhin. Das ist auch nicht erwünscht. Verirrte Geister, so wird befürchtet, könnten hier eben diesen «sakralen» Geistes heraufbeschwören.
Dafür ist der Ort authentisch. Wie alle, nicht touristisch aufbereiteten.
Und das macht sie unheimlich.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine