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Mohammad Faisal Abu Sakha © Klaus Petrus

Abu Sakha, der Clown hinter israelischen Gittern

Klaus Petrus /  Der palästinensische Artist Abu Sakha sitzt seit über einem halben Jahr in Verwaltungshaft – ohne Anklage, Prozess und Urteil.

Montag, der 14. Dezember 2015: Ein damals 23-jähriger Palästinenser verlässt sein Elternhaus in Jenin und wartet auf ein Sammeltaxi in Richtung Ramallah. Am Zaatara Checkpoint im Süden von Nablus wird das Taxi von israelischen Soldaten kontrolliert, was zunächst nicht ungewöhnlich ist. Später heisst es, das Militär habe gezielt nach Mohammad Faisal Abu Sakha gesucht. Er wird gegen 16 Uhr verhaftet, kommt zuerst auf den Militärstützpunkt Huwara, dann in die Haftanstalt Megiddo im Norden Israels und später ins Ketziot-Gefängnis in der Wüste Negev. Ein israelischer Militärrichter wird im Januar 2016 die sechsmonatige Verwaltungshaft bestätigen. Am 13. Juni – Mohammad Faisal Abu Sakha sollte an diesem Tag freigelassen werden – lässt er die Haftanordnung um weitere sechs Monate verlängern. Der Mann sei «eine Gefahr für die Sicherheit in der Region», heisst es auf israelischer Seite.

Auch eine Art des Widerstandes

Die Knaben und Mädchen rennen im Zirkuszelt herum, sie jonglieren mit Bällen, wirbeln Diavolos durch die Luft, fahren Einrad, schaukeln auf dem Trapez, und ganz vorne auf den Holzbänken steht Mohammad Faisal Abu Sakha und feuert sie immer wieder an, er schlägt auf die Trommel, gibt den Takt vor, macht den Clown, lacht und hüpft auf und ab. «Die Kinder in unserem Land haben keine Perspektive, sie können sich gar nicht entfalten, da staut sich viel Negatives an. Wir versuchen diese Energie kreativ zu nutzen.»

Seit 2008 gehört Abu Sakha zur Palestinian Circus School, eine Art sozialer Einrichtung mit Hauptsitz in Bir Zeit nördlich von Ramallah. Dort wurde er zum Artisten, Clown und Trainer ausgebildet und leitet seit 2011 selber Kurse, vorzugsweise mit behinderten Kindern. «Die Zirkusschule hat mir gegeben, was ich als Kind nie hatte: Selbstbewusstsein, Vertrauen, Respekt.» Aba Sakha erzählt mir seine Geschichte. Und er redet über die verlorene Kindheit der palästinensischen Jugendlichen, die einmal mehr auf die Strasse gehen, Steine und Molotowcocktails gegen israelische Soldaten werfen oder sie mit Messern attackieren. Und dann im Gefängnis landen. Es ist Oktober 2015, als ich Abu Sakha in Bir Zeit treffe, das Land ist in Aufruhr und in der Presse ist von einer dritten Intifada die Rede, die bald ausbrechen könnte.

Auch Aba Sakha wurde schon einmal verhaftet. Das war 2009. Damals war er 17 Jahre alt, er wurde einen Monat weggesperrt und musste ein Bussgeld von 600 Franken bezahlen. Im Alter von 12 soll er Steine gegen einen israelischen Militärjeep geworfen haben. Die Tat hat Abu Sakha stets bestritten. Wie so viele aus der Zirkusschule, redet er einer ganz anderen Vision von Widerstand das Wort. «Stell dir vor, unsere Kids schmeissen keine Steine mehr, sondern stellen sich mit ihren Jonglierbällen und Diavolos vor das Militär und fangen an zu spielen. Wie würden die Israelis da wohl reagieren?»

Das möchte auch Shadi Zmorrod wissen. 2006 hat er zusammen mit seiner belgischen Ehefrau Jessika Devlieghere die Zirkusschule gegründet. Heute sind es an die 200 Schüler zwischen 9 und 27 Jahren, die er jedes Jahr unterrichtet. Und auch ihm geht es nicht nur um artistische Fähigkeiten, es steht mehr auf dem Spiel. «Wir wollen nicht, dass unsere Kinder auf der Strasse sterben. Wir wollen, dass sie leben, dass sie wieder an sich glauben können, stark werden und frei. Und so der israelischen Besatzung trotzen, ohne Gewalt.»

Zweifelhafte Verwaltungshaft

Konkrete Gründe für die Inhaftierung von Abu Sakha liegen bisher nicht vor. Das hat offenbar System. Personen in sogenannter Verwaltungshaft können grundsätzlich ohne Anklage, Prozess und Urteil für zunächst sechs Monate festgehalten werden. Dabei kann die Haftanordnung, wie bei Abu Sakha, verlängert werden. Und zwar beliebig oft. Tatsächlich steht die israelische Verwaltungshaft, ein Relikt aus der Zeit des britischen Mandats in Palästina in der 1940er Jahren, weitherum in der Kritik. Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus, dass viele der fast 600 Palästinenser, die sich gegenwärtig in Verwaltungshaft befinden, schon seit Jahren ohne Gerichtsverfahren im Gefängnis sitzen und nicht wissen, wann sie freigelassen werden – darunter sind nach Angaben von Defense for Children Palestine auch Minderjährige. Nicht selten werden die Inhaftierten in Gefängnisse in Israel versetzt, was einen Verstoss gegen die Vierte Genfer Konvention über den Schutz von Zivilpersonen darstellt. Demnach müssen Gefangene, die zur Bevölkerung besetzter Gebiete gehören, auch in diesen Gebieten inhaftiert werden.

Auch Abu Sakha wurde in ein Gefängnis in Israel verlegt, und auch er sitzt ohne Prozess in Haft. Im März liess ein Sprecher des israelischen Militärs über den Nachrichtensender Al Jazeera vermelden, der Inhaftierte sei an Aktionen der Volksfront zur Befreiung Palästinas (Popular Front for the Liberation of Palestina PFLP) beteiligt gewesen. Die linksgerichtete Organisation wurde 1967 gegründet und machte in den 1970er Jahren vor allem mit Flugzeugentführungen von sich reden. Inwieweit der Vorwurf berechtigt ist, wissen nicht einmal die Anwälte von Abu Sakha. Ihnen wurde die Einsicht in die Akten bisher verweigert.

Auch das gehört angeblich zur Praxis der Verwaltungshaft. «Nicht nur die Gefangenen, sondern auch ihre Anwälte kennen für gewöhnlich den Grund für die Inhaftierung nicht. Eine Verteidigung ist so gar nicht möglich», sagt der Menschenrechtsanwalt Laith Abu Zeyad der Gefangenenorganisation Addameer aus Ramallah. Dabei spiele es keine Rolle, ob jemand Mitglied der PFLP oder einer anderen palästinensischen Organisation sei. «Aus israelischer Sicht sind sowieso alle Parteien rechtswidrig, eine Mitgliedschaft ist allemal Grund für eine Verwaltungshaft», sagt Abu Zeyad.

Ein Lächeln auf den Gesichtern der Palästinenser

«Wir sind neutral. Wir gehören keiner politischen Partei an, auch keiner Religion. Wir machen Zirkus für die Jugendlichen, wir gehen in die Flüchtlingslager, arbeiten mit Behinderten, das ist alles. Und ja, wir zaubern ein Lächeln auf die Gesichter der palästinensischen Kinder», sagt Shadi Zmorrod, und er fügt hinzu: «Könnte es etwa sein, dass sich die israelische Armee vor diesem Lächeln fürchtet?»

Dass die Israelis immer wieder «Schlüsselfiguren« in Verwaltungshaft nehmen, die es mit ihrer politischen Arbeit verstehen, der palästinensischen Bevölkerung Mut zu machen, sie in ihrem Selbstverständnis zu stärken und ihr eine Stimme zu geben, ist ein offenes Geheimnis. Darunter sind Journalisten, BDS-Aktivisten, Lehrer, Anführer des gewaltlosen Widerstandes gegen die Besatzung und jetzt auch ein Zirkusclown. «Das zeigt, wie unberechenbar die israelische Verwaltungshaft ist. Und wie wichtig der Protest gegen diese Willkür ist», sagt Abu Zeyad von Addameer. Bis heute haben über 13’000 Menschen aus aller Welt die Petition zur Freilassung von Mohammad Faisal Abu Sakha unterzeichnet.

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Dieser Artikel ist erstmal auf der Online-Plattform «Hintergrund» erschienen.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Klaus Petrus ist freischaffender Publizist und Fotograf mit den Schwerpunkten Protestbewegungen und Tierschutz.

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2 Meinungen

  • am 13.07.2016 um 12:45 Uhr
    Permalink

    In der Wikipedia steht unter Rechtsstaat untwr anderem: Rechtssicherheit.
    Die wird damit nicht erfüllt vom autonomen Gebiet Israel.
    Nb: Hehlerei auf Staatsebene ist auch Hehlerei. Deshalb anerkenne ich den Staat Israel nicht.

  • am 15.07.2016 um 10:03 Uhr
    Permalink

    6 Mio Juden sind im Holocaust ermordet worden, ein fürchterliches Ereignis. Zum Glück gibt es viele Juden – Israelis – die sich gegen das rechtsextreme, terroristische Gebaren der aktuellen Regierung wehren. Haben diese Leute gar nichts aus der Geschichte gelernt? Ist Nächstenliebe für sie ein Fremdwort, ein Unwort? Ich wünsche mir so sehr, dass die Israelis Rabin’s Vision – ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung, in Sicherheit und Frieden, in Respekt und nachbarschaftlichem Zusammenleben mit dem palästinensischen Brudervolk – bald durchsetzen werden. Die Hoffnung stirbt zuletzt!

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