Fukushima

Drei der vier Fukushima-Reaktorblöcke sind zerstört © cc

Abstieg der Atomenergie begann vor «Fukushima»

Hanspeter Guggenbühl /  Nach «Fukushima» setzten viele Staaten weiterhin auf Atomenergie. Doch der Atomanteil an der globalen Energieversorgung schrumpft.

«Trotz dem Unfall in Fukushima ist kein globaler Trend weg von der Kernenergie feststellbar.» Das schrieb Rolf Hartl, Präsident der Schweizer Sektion des Weltenergierates (WEC), Ende 2011 in der «Neuen Zürcher Zeitung». Er stützt seine Aussagen auf Daten des Nuklearforum Schweiz. Demnach halten die meisten Staaten trotz «Fukushima» an ihren bisherigen Plänen zum Bau von neuen Atomkraftwerken fest.

»Vom leisen Abgesang zum Absturz»

«Nach Fukushima» entwickle sich die Atomenergie «vom leisen Abgesang zum Absturz». Das prophezeit Mycle Schneider im neusten Magazin der atomkritischen Energiestiftung (SES). Schneider ist internationaler Energiepolitikberater und erhielt 1997 den Alternativen Nobelpreis für seine fundierte Kritik an der Plutoniumwirtschaft. Er stützt sich nicht auf Ankündigungen der Regierungen, sondern Volksbefragungen, die seit dem 11. März 2011 eine wachsende Ablehnung der nuklearen Stromproduktion signalisieren.

Die Beispiele zeigen: Die Prognosen über die nukleare Zukunft klaffen ebenso weit auseinander wie die Positionen zur Atomenergie. Aussagekräftiger sind Fakten zur realen Entwicklung:

Der GAU in Fukushima hat vor einem Jahr ein Gebiet radioaktiv verstrahlt, das grösser ist als der Kanton Aargau, und weite Teile davon für Jahrzehnte unbewohnbar gemacht. Von den 54 AKW, die einst 30 Prozent des japanischen Stromverbrauchs deckten, sind momentan nur noch zwei in Betrieb; die andern sind havariert oder aus Sicherheitsgründen abgeschaltet worden. Trotzdem sind die Lichter in Tokio nicht ausgegangen. Der Inselstaat ersetzte den wegfallenden Atomstrom durch zusätzliche Importe. Wie viele der abgeschalteten Reaktoren künftig wieder ans Netz gehen, steht in den Sternen. Während die Regierung möglichst bald möglichst viele AKW wieder in Betrieb nehmen und sogar neue bauen will, fordert laut Umfragen eine grosse Mehrheit der japanischen Bevölkerung den Ausstieg aus der Atomenergie.

60 AKW wurden abgeschaltet

Neben Japan hat auch Deutschland auf die Kernschmelze in Fukushima mit Taten reagiert: Die Regierung beschloss, bis 2022 aus der Atomenergie auszusteigen und legte acht Atomkraftwerke sofort still. Selbst in den extrem kalten Februarwochen blieb auch hier der befürchtete Stromcrash aus. Die Abschaltung von 60 Reaktoren in Japan und Deutschland zusammen dürfte die globale Produktion von Atomstrom in den letzten Monaten um übeer zehn Prozent vermindert haben.

Mit Ankündigungen statt Abschaltungen reagierten andere Staaten: In der Schweiz beschlossen Bundesrat und Parlament ein Bewilligungsverbot für neue AKW und kündeten eine «Energiewende» an (mehr darüber in der morgigen Ausgabe). Belgien und Spanien beschlossen, aus der Atomenergie auszusteigen. Italien und Venezuela verzichteten auf den vor Fukushima angekündigten Einstieg in die nukleare Stromproduktion.

Atomanteil geschrumpft

Der «leise Abgesang» (Schneider) begann jedoch vor dem März 2011: Schon nach der Atomkatastrophe 1986 in Tschernobyl verflachte sich die Wachstumskurve der globalen Atomstromproduktion. Seit 2002 werden mehr alte AKW stillgelegt als neue gebaut. Und 2010 verminderte sich erstmals auch die installierte Leistung der weltweit in Betrieb stehenden Reaktoren (siehe Grafik). Weil der gesamte Verbrauch von Energie und Strom weiter wuchs, sank der Anteil der Atomenergie seit dem Jahr 2000, nämlich von sechs auf fünf Prozent des weltweiten Primärenergieverbrauchs und von 16 auf 13 Prozent der Stromproduktion allein.

Ende 2010 wurden weltweit 442 AKW mit einer installierten Leistung von 374 Gigawatt betrieben (374 mal KKW Gösgen). 65 Atommeiler befanden sich im Bau, der Grossteil davon in Asien. Weitere 150 waren laut Statistik des Nuklearforums geplant, 12 davon in Japan und 3 in Schweiz. Wie viele AKW tatsächlich vollendet werden, steht in den Sternen. Denn nach «Fukushima» dürften die Sicherheitsbestimmungen in den meisten Staaten verschärft werden, was die Atomenergie verteuert und ihre Konkurrenzfähigkeit gegenüber andern Energieträgern vermindert.

Selbst wenn die meisten Staaten an ihren Neubauplänen festhalten sollten, wird der Anteil der Atomenergie am globalen Energieverbrauch weiter schrumpfen. Das jedenfalls zeigt das neuste Referenzszenario der Internationalen Energieagentur (IEA). Was zeigt: Auch wenn in den nächsten Jahren keine weiteren Kerne mehr schmelzen, entwickelt sich die Atomenergie zum Auslaufmodell.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

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