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Tausende syrischer Flüchtlinge arbeiteten bisher illegal in Jordanien. © International Labour Organisation ILO

50‘000 Arbeitsvisa für syrische Flüchtlinge

Daniela Gschweng /  Im syrischen Nachbarland Jordanien dürfen Flüchtlinge jetzt arbeiten. Eine Wende in der Flüchtlingspolitik – dank westlichem Geld.

Badra Hadahed verrichtet Schwerarbeit auf den Gemüsefeldern Jordaniens. Seit ihr Sohn bei einer Razzia aufgegriffen und nach Syrien zurückgeschickt wurde, pflückt sie an seiner Stelle in glühender Hitze Gurken – für 270 Dollar im Monat. Damit finanziert die Diabetikerin ihre Schwiegertochter, zwei Enkel und sich selbst.

Die Arbeit ist hart, eine Wahl hat die Flüchtlingsfrau jedoch kaum. Wenn Hadahed mit ihrem Sohn telefoniert, der wieder jenseits der nahen Grenze im teilweise vom Islamischen Staat besetzten Hama lebt, sagt er ihr «Egal was du tust, komm nicht zurück.»

Legalisierung von prekären Arbeitsplätzen

Vor kurzem ist Hadaheds Leben ein kleines Stück leichter geworden, berichtet die «New York Times». Genau wie das von Nuhammed Al Mulki, der in den Strassen der jordanischen Hauptstadt Amman als Kaffeeverkäufer arbeitet, und das von Zuheir Taleb, der nicht mehr durch die Hintertür des Sweatshops schlüpfen muss, sobald ein Uniformierter den Laden betritt. Das Risiko, bei einer Kontrolle aufgegriffen und als illegale Arbeitskräfte nach Syrien zurückgeschickt zu werden, gibt es für viele syrischen Flüchtlinge nicht mehr.

Im Mai hatte Jamal Muhammad Zoabi, Hadaheds Arbeitgeber für die etwa 100 Syrer, die bisher illegal auf seiner Plantage arbeiten, eine Arbeitserlaubnis beantragt. Möglich wurde das durch eine fundamentale Wende in der Flüchtlingspolitik, die von westlichem Geld finanziert und von europäischen Ängsten getragen wird.

Millionen von Hilfsgeldern und Zugang zum europäischen Markt

Anstoss ist eine Massnahme der Weltbank, die der jordanischen Regierung einen zinslosen Kredit über 300 Millionen Dollar gewährt hat. Im Gegenzug hat Jordanien einen Teil der illegalen syrischen Arbeitskräfte legalisiert. 13‘000 Arbeitsbewilligungen hat das Land bereits ausgestellt, 50‘000 sollen es bis zum Ende des Jahres werden, zehntausende sollen in den nächsten Jahren folgen.

Westliche Länder haben zudem 60 Millionen Dollar für den Bau von Schulen für syrische Flüchtlingskinder zugesagt. Ein Vertrag mit der EU über den zollfreien Export von jordanischen Textilien wurde im vergangenen Jahr auf den Weg gebracht. Der Zugang zum europäischen Markt stellt für Jordanien einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar.

Echte Hilfe oder Ousourcing von Dreckarbeit?

Nicht nur Jordanien nutzt die europäischen Ängste und Befürchtungen. Die Türkei hat für 6,6 Milliarden Dollar zugesagt, Flüchtlinge zurückzunehmen, die über das Mittelmeer nach Griechenland flüchten. Das Land verhandelt zudem mit der EU über die visafreie Einreise türkischer Staatsbürger. Weitere 4 Milliarden Dollar verspricht Europa afrikanischen Ländern, die sich bereiterklären, den Flüchtlingsstrom zu bremsen. Die Organisation «Human Rights Watch» nannte Zahlungen an Lybien, das mit dem Geld Flüchtlingsboote am Überqueren des Mittelmeers hindern soll, als «Outsourcing von Drecksarbeit an die lybischen Streitkräfte».

Syriens Nachbarland Jordanien hat in der Flüchtlingskrise bisher Aussergewöhnliches geleistet. Die UN zählt in Jordanien 650‘000 registrierte syrischen Flüchtlinge, nach Meinung eines Experten sind es insgesamt eher 800‘000 bis eine Million – in einem Land mit lediglich 6,5 Millionen Einwohnern.

Bis vor kurzem gab es in Jordanien kaum 5‘000 Arbeitsbewilligungen für syrische Flüchtlinge. Die internationale Arbeitnehmerorganisation ILO schätzt, dass rund 50‘000 Menschen in Jordanien bisher schwarz arbeiteten. Das sind etwa so viele Arbeitsplätze, wie die Regierung in diesem Jahr legalisieren will.

Eine einmalige Chance für die einheimische Wirtschaft

Bisher hatte Jordanien versucht, den Ankommenden die Niederlassung so schwer wie möglich zu machen. Ob das Land nun schlicht die Gelegenheit ergriffen hat oder ob westliche Nationen ihren Einfluss geltend gemacht haben: für hunderttausende Flüchtlinge ist der Versuch ein Hoffnungsschimmer. Aus Sicht der Geberländer zählt, dass legale, ausreichend bezahlte Arbeit womöglich Zehntausende davon abhält, die gefährliche Flucht über das Mittelmeer anzutreten.


Ein syrischer Flüchtling in Jordanien, dessen Fall 2015 von pbs dokumentiert wurde, durchsuchte nachts Mülltonnen nach Dosen, um seine Familie durchzubringen. Legal arbeiten durfte er nicht. Sein einziger Ausweg: Europa. Seine Familie fürchtete sich vor dem Weg dorthin. (vollständiges Video von pbs).

Für die jordanische Wirtschaft sind die Abmachungen eine einmalige Chance. «Ich würde sagen, die einzige Gelegenheit für Jordanien, seine Wirtschaft zu reformieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Dazu braucht das Land erhebliche internationale Mittel», sagt Stefan Dercon, Professor der Oxford University und Chefökonom des britischen Amts für Entwicklungszusammenarbeit, der das «Experiment» unterstützt.

«Dies ist eine gute Gelegenheit für Jordanien, neue Investoren anzuziehen», kommentiert Raed Nimri. Der jordanscher Ingenieur arbeitet als Entwicklungshelfer für die Organisation «Mercy Corps» in Oregon, die Menschen in Krisensituationen unterstützt. «In fünf bis zehn Jahren gehen die Syrer nach Hause. Die Investitionen bleiben», prognostiziert er.

Arbeitsbewilligungen gibt es nur für unattraktive Jobs

Die Wende in der Flüchtlingspolitik wird nicht nur in Jordanien von gemischten Gefühlen begleitet. Offiziell wird der im Februar angekündigte Handel und Teil des Vertragswerkes namens «Jordan Compact» als Entwicklungschance für das Land gefeiert. Der «Jordan Deal» soll Investitionen bringen und Arbeitsplätze für Jordanier wie Syrer schaffen. Von dem Risiko, dass die Gelder versickern, die jordanische Wirtschaft nicht in Gang kommt und sich Vorbehalte gegenüber syrischen Flüchtlingen verstärken, wird nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen.

Und Vorbehalte gibt es. Die grosse Anzahl der Flüchtlinge, die das relativ kleine Land bereits aufgenommen hat, belastet seit Jahren die öffentliche Infrastruktur. Syrer dienen oft als Sündenböcke für negative Entwicklungen wie steigende Preise, berichtet der Politikwissenschaftler André Bank. Die jordanische Bevölkerung befürchtet Lohndumping durch eine Schwemme an Billigarbeitskräften.

Die jordanische Politik betreibt grossen Aufwand, um klarzustellen, dass es Syrern nur erlaubt ist, in für Jordanier unattraktiven Branchen wie im Baugewerbe und in der Landwirtschaft zu arbeiten. Wer eine Arbeitsbewilligung habe, der müsse mit dem Mindestlohn von 270 Dollar monatlich bezahlt werden, stellen Politiker unermüdlich klar.

Ein Brennpunkt: die Textilindustrie

Davon kann Baby Hawladar nur träumen. Die 27-Jährige aus Bangladesch sitzt seit zwei Jahren an sechs Tagen in der Woche 10 Stunden lang an der Nähmaschine. Für 155 Dollar im Monat plus Überstundengeld, Kost und Logis. Hawladars Arbeitsplatz befindet sich in der Al Hassan Industrial Zone in der Nähe von Irbid, nicht weit von den Gurkenfeldern, auf denen Badra Hadahed schuftet.

Wie viele andere Frauen aus armen Ländern arbeitet die Näherin in einer speziellen Exportzone, wo Textilien für den Weltmarkt hergestellt werden – eine für Jordanien wichtige Industrie. Derzeit näht sie Yoga Pants für die US-Marke «Under Armour». Zwei Jahre will die zweifache Mutter noch bleiben, dann hat sie genügend Geld gespart, um sich in ihrem Heimatdorf ein Haus zu bauen. Western Union kommt direkt in die Fabrik, um Geldanweisungen entgegenzunehmen.

Armutsflüchtlinge werden durch Kriegsflüchtlinge verdrängt

In Irbid gibt es 300‘000 syrische Flüchtlinge, die die Textilarbeiterinnen aus armen Ländern ersetzen könnten. So würden Kriegsmigranten in Jordaniens Industrie Armutsmigranten verdrängen, darauf weisen einige Wirtschaftswissenschaftler hin. Dazu gibt es einige bürokratische und praktische Hindernisse, die Flüchtlinge davon abhalten, eine Arbeitserlaubnis zu beantragen: beispielsweise der Nachweis eines festen Arbeitgebers oder ein Arbeitsplatz ausserhalb der «erlaubten» Berufe. Auch andere Punkte sind noch ungeklärt: so ist ein Grossteil der versprochenen Hilfsgelder noch nicht in Jordanien eingetroffen.

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Diesen Beitrag hat Daniela Gschweng aufgrund eines Berichts des US-Mediums «The New York Times» und anderer Quellen erstellt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

Afghanischer_Flchtling_Reuters

Migrantinnen, Migranten, Asylsuchende

Der Ausländeranteil ist in der Schweiz gross: Die Politik streitet über Asyl, Immigration und Ausschaffung.

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Eine Meinung zu

  • am 25.07.2016 um 18:57 Uhr
    Permalink

    Jordanien scheint fortschrittlicher zu sein als die Schweiz. Für mich unverständlich ist, warum eshierzulande so kompliziert resp. sogar verboten ist, Flüchtlinge zu beschäftigen. Im Nachbarhaus logieren 7 junge, kräftige Asylanten aus Afrika. Sie stundenweise mit leichten Gartenarbeiten zu beschäftigen ist leider verboten. Erleichtert das die Integration?
    Martin A. Liechti, Maur

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