Peace

Im global verwendeten Peace-Zeichen verbleibt ein Hauch von Hoffnung © public-domain Alan Levine

21. September: Heute ist … wäre eigentlich Weltfriedenstag

Hans Steiger /  Ausgerufen wurde der Tag durch die Vereinten Nationen. Wo blieb der Frieden? Eine diskursiv angelegte Buchtrilogie fragt nach ihm.

Proklamiert wurde der «International Day of Peace» mit einer UN-Resolution im November 1981. Es sollte «ein Tag des Waffenstillstands und der Gewaltlosigkeit» sein. 2001 sprach sich die Generalversammlung der Vereinten Nationen im September einstimmig dafür aus, den Tag in diesem Sinne sowie «zur Stärkung der Ideale des Friedens und zum Abbau von Spannungen und Konfliktursachen» zu nutzen. Gegenwärtig scheint die Suche nach Wegen zum Frieden, gar Pazifismus, völlig aus der Zeit gefallen zu sein.

Trilogie für die Demokratie

In einer neuen Schriftenreihe will ein etablierter deutscher Sach- und Fachbuchverlag zumindest die dominante Fixierung auf militärisches Denken durchbrechen. Die «aktuelle Krise unserer Demokratie» habe nicht zuletzt mit Filterblasen zu tun, dem Ausblenden anderer Meinungen. Mit den von ihm gestarteten «Kohlhammer Trilogien» sollen häufig hochkomplexe Zusammenhänge jeweils aus drei verschiedenen Perspektiven behandelt werden. Jörg Armbruster, der schon ein langes Berufsleben als Journalist bei öffentlich-rechtlichen Medien hinter sich hat, brachte die Idee ein, um «besonders junge Menschen» mit sachbezogenen Informationen zu versorgen, differenziert und verständlich. «Wir wollen zum Mit- und Nachdenken anregen», in der Hoffnung, damit populistischen und autoritären Versuchungen entgegenzuwirken.

Dass es bei der ersten Trilogie um «Krieg und Frieden» geht, lag für den mit vielen Krisenherden vertrauten Berichterstatter «angesichts des nicht für möglich gehaltenen Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine und des Krieges in Israel und dem Gazastreifen seit dem 7. Oktober 2023» nahe. Aber es gehe nicht nur um sie, sondern um grundsätzlichere Fragen: Warum gibt es immer wieder Kriege? Was könnten wir für eine friedlichere Welt tun?

Gegen die militante Verrohung

Eigentlich wäre «Logik und Schrecken des Krieges» der erste Band. Ich begann mit «Pazifismus – ein Irrweg?» von Pascal Beucker. Der bei der «taz» tätige Publizist weiss, dass die Definition dieses Begriffs nie einfach war und nun noch schwieriger wurde. Mit vielerlei Zitaten und Beispielen zeigt er, wie Menschen gegen Gewalttätigkeit anschrieben, Unterdrückung und Kriege zu überwinden versuchten. Bertha von Suttner, Remarque, Tucholsky oder Gandhi, Martin Luther King … Was für ein Spektrum! Die zuerst 1845 in Frankreich als pacifisme bezeichnete Strömung war wichtig, gerade weil Bedrohungen und Waffengänge in aller Welt zunehmend dominierten. Eine geraffte Chronologie im Anhang steckt den Rahmen des Essays ab. Sie beginnt mit der Veröffentlichung von Kants Abhandlung «Zum ewigen Frieden» und endet mit kontroversen deutschen Manifestationen zum Ukrainekrieg.

Gespannt las ich die Skizze der vom Autor selbst erlebten Entwicklung der deutschen Friedensbewegung im Kalten Krieg. Auch für mich waren die aus England inspirierten frühen Kampagnen gegen atomare Aufrüstung biografisch wichtig. Bertrand Russell, der 1958 den ersten Ostermarsch von London zu einem britischen Atomforschungszentrum anführte, prägte als radikaler Philosoph meine Vorstellung von Pazifismus mit. Er grenzte seine Haltung als «relativ» und «politisch» gegen «absolute» Varianten ab. So wurde für ihn der militärische Kampf gegen das aggressive nationalsozialistische Regime nach dessen Machtübernahme unvermeidlich. Die nukleare Hochrüstung und entsprechende Tests hielt er für unverantwortlich. Mit seiner Peace Foundation wandte er sich danach auch gegen Kriegsverbrechen in Vietnam. Das bei all dem meist verwendete «Campaign»-Zeichen, um das sich ein ganzes Kapitel dreht, wurde zum globalen Friedenssymbol. Trotz der Gefahr, zu einem belanglos modischen Signet zu verkommen, bewahrt es einen Hauch von Hoffnung. «Nuclear disarmament» wollte ja immer auch mehr.

Pazifismus will Frieden erhalten und schaffen; allen Varianten dürfte die Abwehr primär militärischen Denkens gemeinsam sein. «Krieg lässt Menschen verrohen.» Das gelte für jede bewaffnete Auseinandersetzung, auch jene in der Ukraine, steht in der Einleitung, und nicht nur für Menschen, die direkt involviert sind. Seit dem 22. Februar 2022 seien unsere Gesellschaften erschreckend schnell in Muster zurückgefallen, die überwunden schienen. Während sich bei vielen nach der «Zeitenwende»-Rede des Bundeskanzlers bald alles um Waffenlieferungen und eigene Aufrüstung drehte, verdrängte bei anderen die Friedenssehnsucht jede Empathie für die Menschen in der Ukraine. «Kriegstreiber», «Friedensschwurbler» … unversöhnlich. «Das ist bitter und traurig», und der Autor möchte sich dem entziehen, obwohl er Trennlinien nennt, die nicht überbrückbar seien. Solidarität mit Angegriffenen müsse die Basis sein, auf der mögliche Wege zu einem tragfähigen Frieden zu prüfen wären. Beucker versucht es mit Rückgriffen auf Erfahrungen.

Töten und Sterben verweigern

Im letzten Abschnitt greift er noch ein besonders brisantes Thema auf. Als einer, dem 1991 vom zuständigen Ausschuss schriftlich bescheinigt wurde, er sei «berechtigt, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern», musste er sich der Frage stellen: Wie halten wir es mit jenen jungen Männern, die Russland angesichts von Putins Krieg verlassen? «Wer nicht in der Ukraine kämpft, der kann nicht in der Ukraine töten.» Das allein müsste eigentlich Grund genug sein, sie mit offenen Armen aufzunehmen. Stattdessen haben viele europäische Staaten ihre Grenze für diese Verweigerer geschlossen. Und was gilt bei den Ukrainern zwischen 18 und 60 Jahren, die seit Kriegsbeginn ihr Land nicht mehr verlassen dürfen? Nachvollziehbar, aber hat ein Staat das Recht, einen Menschen zum Töten anderer Menschen zu zwingen? Bei russischen Deserteuren mutet die Diskussion um deren Schutz besonders aberwitzig an, nachdem die UN-Generalversammlung den Ukrainekrieg mit klarer Mehrheit verurteilt hat. Deutschland sollte sich zudem an seine eigene Vergangenheit erinnern, an die vom Nazi-Regime rigoros Hingerichteten, an gar nach dem verlorenen Krieg als «Verräter» und «Feigling» beschimpfte Fahnenflüchtige. Tatsächlich brauchte es in der Geschichte «schon immer mehr Courage, sich einem Krieg zu verweigern, als mitzumarschieren.» Einer, der das wagte, habe einmal zwei Motive genannt: «Ich wollte nicht töten. Und ich wollte leben.» Ihm reichte das als Begründung. Das muss reichen. Auch heute.

Zur immer bizarreren «Logik»

Jochen Hippler ist Politikwissenschaftler, professioneller Friedens- und Konfliktforscher. In der Trilogie soll er vorab den Kriegsaspekt ausleuchten. Sein erster Satz: «Krieg ist brutal und zerstörerisch.» Immer. Auch wenn er viele Formen hat, sich wandelt. Die potentielle Verheerung bleibt im Blick, wenn es um Strategie, Taktik, Logistik oder eben Kriegslogik geht. Die wurde nach dem bisher einzigen Einsatz von Atombomben in Hiroshima und Nagasaki mit jeder Drehung der Rüstungsspirale bizarrer. 1986 hatten sich die USA und Sowjetunion gegenseitig so weit vorangetrieben, dass die Zerstörungskraft der zusammen mehr als 64’000 atomaren Sprengköpfe den Einsatz in einem zwischenstaatlichen Krieg undenkbar machte. Sie war eine Drohkulisse, diente zur Erpressung von nicht nuklear gewappneten Dritten, blieb brandgefährlich. Aber mit der Formel vom «Gleichgewicht des Schreckens» konnte das Absurde als sinnvoll propagiert werden. Mit der Rückkehr der «konventionellen» Kriege, die – zumindest in den globalen «Zentren» – jahrzehntelang fast überwunden schienen, kommt das verdrängte Massenmordinstrumentarium wieder in unser Bewusstsein. Wenn die Phase des langen labilen Friedens endet, sind Ängste berechtigt. Helfen «die dämpfenden Mechanismen der Multilateralismus» noch?

Deutlich wendet sich der Autor gegen jede Art von militaristischem Denken und die Rede von «heldenhaften» Kriegen. Um die Abscheu vor Gewalt zu überwinden, sie allgemein akzeptabel zu machen, müssen Kriege als «gerecht» dargestellt, Gegner verteufelt, das Gefühl der Bedrohung geschürt werden: «Wir oder sie.» Olaf Scholz deutete nach dem russischen Einfall in ukrainisches Gebiet mit der «Zeitenwende» einen Mentalitätswandel an. Bei seinem neu eingesetzten Verteidigungsminister wurde daraus ein Gebot: «Wir müssen kriegstüchtig werden.» Also massiv aufrüsten. Die in den 1990er-Jahren, beim Ende des Kalten Krieges, kassierte «Friedensdividende» wurde nicht als Chance genutzt, das noch schwache Geflecht einer neuen Ordnung nicht gestärkt, sondern schrittweise untergraben, und als Trump sein «Make America great again» verkündete, fand er viele Nachfolger. In den nächsten zwei Jahrzehnten dürfte die Suche nach einem «neuen internationalen System» ein schwieriger, aber entscheidender Prozess sein.

(K)eine gemeinsame Bilanz

Das dritte Bändchen irritiert. Ist es eine Bilanz? Wiederholt bezieht sich Hartwig von Schubert auf seine zwei Kollegen. Er nehme «als evangelischer Theologe, ehemaliger Militärdekan an der Führungsakademie der Bundeswehr und inzwischen Privatdozent an der Universität Hamburg die beiden Fäden auf». Auch er empfinde «aus tiefstem Herzen» den «ewigen Krieg» als Übel. Ihn, nicht «diesen oder jenen Feind», gelte es zu besiegen. Und beim politisch-philosophischen Bogen, der sich durch seine Betrachtungen zieht, knüpft er wieder bei Immanuel Kant und dessen Abhandlung «Zum ewigen Frieden» an, um durchaus überzeugend zur UNO als dem Ort zu führen, wo dieser zu schaffen wäre – mit gerechter Weltverfassung, entsprechenden Verträgen und tauglichen Instrumenten. Davon sei ab 1945, als der Schock des zweiten verheerenden Weltkriegs zur Gründung der Vereinten Nationen führte, einiges erreicht worden. Die heute offensichtliche Lähmung durch Veto-Mächte im Sicherheitsrat müsste mit Reformen überwunden werden. Das findet sich als Postulat bei allen drei Autoren.

Im konkreten Fall der Ukraine, dem auch der Verfasser von «Den Frieden verteidigen» weder ausweichen kann noch will, werden unzählige Positionen und Spekulationen zitiert. Was ja der verwirrten Situation entspricht. Aber ein klarer Argumentationsstrang ist hier kaum zu erkennen. Umso erschreckender «die abschliessende Bilanz», wo dem Westen dringend geraten wird, gegenüber Russland «seine weit überlegenen personellen und materiellen Reserven» auszuspielen sowie «drastisch und sehr zügig» eine militärische Eskalation einzuleiten. Wie anno 1979, beim sogenannten NATO-Doppelbeschluss, sei «dem Kreml» zu signalisieren, «ihn notfalls an die Wand zu rüsten». Diesmal jedoch «nicht nur in den Arsenalen», sondern «auf dem blutigen Schlachtfeld», mit eigenen Truppen an der Seite der Ukraine. Wie vom französischen Präsidenten öffentlich angedacht und im Sinne eines alten lateinischen Sprichwortes: «Si vis pacem …»

Krieg beginnt in den Köpfen

«… para bellum». Das hatte ich schon bei Beucker gelesen. Der russische Aussenminister verkündete genau dies ein Jahr bevor die «militärischen Spezialoperation» in der Ukraine begann: «Wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor.» Heinrich Böll bemerkte einst, die Absurdität dieser Denkweise sei so augenfällig, dass sie gar nicht mehr auffalle. Richtig sei das Gegenteil. Militarisierung und Aufrüstung sichern nicht den Frieden, sie erhöhen die Kriegsgefahr. Mit derartigen Parolen beginnt – bei Hartwig von Schubert immerhin eine Kapitelüberschrift – «der Krieg in den Köpfen».

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Dieser Text erscheint auch in der P.S.-Herbst-Buchbeilage, dort mit weiteren Buchhinweisen zum Thema.

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Trilogie





Kohlhammer-Trilogie «Von Krieg und Frieden»:
– Jochen Hippler: Logik und Schrecken des Krieges

Pascal Beucker: Pazifismus – ein Irrweg?
– Hartwig von Schubert: Den Frieden verteidigen.
Kohlhammer, Stuttgart 2024, 535 Seiten, Fr. 66.90.
Die einzelnen Bände der Trilogie «Von Krieg und Frieden» sind auch separat erhältlich für je Fr. 29.90


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors


Der Autor wurde in den frühen 1960er-Jahren als Jugendlicher durch die Schweizerische Bewegung gegen die atomare Aufrüstung der Schweiz politisiert.
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4 Meinungen

  • am 21.09.2024 um 13:19 Uhr
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    Solange nicht über die immergleichen Ursache des Krieges diskutiert wird, sind alle frommen Friedenswünsche ein naives Haschen nach Wind. Das eigentliche Problem ist doch ein auf Konkurrenz und Profit basierendes Weltwirtschaftssystem, was aufgrund innerer Gesetzmäßigkeiten immer nur mal kurzzeitig so tun kann, als ob es zur Kooperation fähig wäre. Immerhin geben auch deutsche (Kiesewetter) und amerikanische Politiker (Graham) zu, daß es in der Ukraine um Bodenschätze geht – im Nahen Osten sowieso. Und daß es um Geopolitik – also um Macht- und Einflußspären geht: den jeweils anderen gefügig machen.

    «Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich, wie die Wolke den Regen.» (Jean Jaurès)
    Solange es dieses System gibt, wird es also auch Krieg geben.

    Es ist also immer ein Krieg der Herrschenden da oben (die ihre Interessen verteidigen und nicht aufs Schlachtfeld müssen) gegen den (ohnmächtigen) Normalbürger da unten. Was zählt da schon das einzelne Menschenleben???

  • am 21.09.2024 um 20:55 Uhr
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    Heute war Weltfriedenstag?!
    Habe das nur von Infosperber mit dem spannenden Beitrag mitbekommen! – Sonst weder im Tagesanzeiger, noch im TV! – Danke!

    • am 22.09.2024 um 21:12 Uhr
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      Als ich jung war,berauschten wir uns am Satz: » Stell dir vor es ist Krieg und Keiner geht hin».
      Heute kann man sagen: Stellt dir vor, es ist Weltfriedens Tag und Keiner weiss davon.
      Dafür sagt mir der Tagesanzeiger gerade vorhin, wie der Gewerkschaftsbund die Stimmberechtigten manipuliert hätte ( 70 % der Stimmenden in Oberiberg sollen dank Maillard nein gesagt haben )

  • am 22.09.2024 um 12:57 Uhr
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    Herzlichen Dank an Hans Steiger und den Sperber, dass sie das Thema «Frieden» am Leben erhalten!
    Ohnehin erschreckend, wie wenig die Menschen hierzulande sich für Frieden wahrnehmbar äußern und positionieren, vor dem Hintergrund, dass nun seit Jahren in Europa ein brutaler Krieg (mit deutscher, ja EU-weiter Beteiligung) tobt, nun auch noch im Nahen Osten, Hunderttausende – man möge sich das bildlich vorstellen! – ermordet oder verstümmelt worden sind … und es ist kein Ende dieses Leids absehbar.
    Ich stimme W.Witten insofern zu, dass das System des Kapitalismus den Krieg in sich tragen mag, ihn als Werkzeug nutzt, von Kriegen massiv profitiert – und dennoch greift diese Erklärung zu kurz und scheint mir zu oberflächlich: Es sind die Menschen, wir alle, welche die Kriege ermöglichen (der «Kapitalismus» steht nicht als Soldat an der Front, als Arbeiter in der Munitionsfabrik oder als Wähler an der Urne), unterstützen, gestatten, finanzieren … gerade in Demokratien ein Offenbarungseid!

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