100 Jahre Panzer – 100 Jahre Tod den Zivilpersonen
Die NZZ macht in einem informativen Artikel darauf aufmerksam, dass 1916 – in der Mitte des Ersten Weltkrieges – die ersten Panzer zum Einsatz kamen. Die Panzer haben danach, vor allem später dann im Zweiten Weltkrieg, die Kriegsführung massiv beeinflusst.
Militärgeschichte ist wichtig. Gelegentlich ist sie in der Lage, die politische Geschichte, die sich, nicht nur in der Schweiz, oft um Mythen rankt, zu korrigieren. So etwa weiss man heute, dass die Tschechoslowakei durchaus Chancen gehabt hätte, sich gegen den Einmarsch der Hitler-Truppen Mitte März 1939 zu wehren. Die Übermacht der deutschen Truppen wurde, propagandabedingt, überschätzt. Militärisch so richtig stark ist Hitler – Ironie des Schicksals – erst mit der Eroberung Böhmens und Mährens und mit der Einverleibung der tschechoslowakischen Kriegsindustrie und Waffen-Arsenale geworden. Oder, ein anderes Beispiel, man weiss heute, dass Hitler den von ihm begonnenen Mehrfronten-Krieg militärisch Anfang 1943 in Stalingrad und Mitte 1943 in Kursk in Russland verloren hat, nicht erst Mitte 1944 mit der Landung der Alliierten in der Normandie.
Ein oft übersehener Aspekt: die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung
Deutlich weniger Beachtung in der Militärgeschichte finden die Auswirkungen der Kriege auf die Zivilbevölkerung. Und gerade auch in diesem Punkt war der Erste Weltkrieg ein Meilenstein in der Geschichte – allerdings kein Meilenstein, den es zu feiern gilt, im Gegenteil. Denn bis zum Ersten Weltkrieg fanden Kriege, etwas vereinfacht dargestellt, in Form von Schlachten zwischen Heeren verschiedener Mächte auf Schlachtfeldern statt. Die Kriegshandlungen waren von der zivilen Bevölkerung weitgehend getrennt. Die Uniformen der Soldaten waren farbig, die Soldaten mussten sich nicht verstecken. Natürlich gab es Plünderungen von Dörfern und Städten durch vorbeiziehende Heere oder Heeresteile, aber die Kämpfe zwischen den «Kriegern» fanden in räumlich einigermassen begrenzten Schlachtfeldern statt. Nicht zufällig trugen die französischen Militärs bei Kriegsausbruch 1914 noch immer Uniformen in leuchtenden Farben. Feldgraue, also auf Tarnung ausgerichtete Uniformen hatten damals, bei Ausbruch des Krieges, erst die deutschen Truppen. Erst das Aufkommen von Kanonen mit grosser Reichweite, von Maschinengewehren und natürlich von Flugzeugen brachte es mit sich, dass sich der Krieg von den begrenzten Schlachtfeldern verabschiedete und sich in die zivilen Wohngebiete verschob.
Französische Offiziere und Soldaten waren auch 1914 noch auf Schlachten auf einem Schlachtfeld ausgerichtet – mit farbigen Uniformen
Sucht man etwa nach den Opferzahlen des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71, so findet man in der Literatur nur Angaben über gefallene Soldaten und Offiziere, in dem Fall rund 45’000. Zu zivilen Opfern dieses Krieges gibt es keine Angaben. Im Ersten Weltkrieg gab es auf 8,5 Millionen tote Soldaten aber bereits 6,5 Millionen tote Zivilpersonen. Und 30 Jahre später, am Ende des Zweiten Weltkrieges, sah die Bilanz der Opferzahlen nun definitiv anders aus: Weltweit hatte der Krieg etwa 27 Millionen militärische Opfer gefordert, aber deutlich mehr, nämlich etwa 39 Millionen zivile Opfer.
Die heutigen Kriege bedrohen vor allem die zivile Bevölkerung
Die moderne Kriegführung heute dürfte mindestens zehnmal mehr zivile Opfer zur Folge haben als militärische, vielleicht auch hundertmal mehr. Im von den USA willentlich begonnenen Irakkrieg verloren die USA so um die 4000 Soldaten (die höhere Zahl von Suiziden von zurückgekehrten Soldaten nicht eingerechnet). Die Verluste auf Seite der irakischen Armee dürften deutlich höher gewesen sein, genaue Zahlen allerdings fehlen. Die Zahl der zivilen Opfer des Krieges aber wird auf mindestens 250’000 geschätzt, einzelne Schätzungen gehen sogar von über 600’000 Toten aus – von den Verletzten und Vertriebenen gar nicht zu reden.
Die Kriegsschuld liegt bei identifizierbaren Akteuren
Solange sich in der Vergangenheit Fürstenhäuser mit ihren eigenen Soldaten und bezahlten Söldnern bekriegten, konnte es der zivilen Bevölkerung fast gleichgültig sein, welchem Feudalherrn sie jetzt ihren «Zehnten» – ihre Steuern – bezahlen mussten; von Zeit zu Zeit halt wieder einmal einem anderen. Heutzutage aber ist Krieg aufgrund der eingesetzten Waffen a priori Massenvernichtung – und dies auch ohne Einsatz von Atomwaffen: unendliches menschliches Leid und unermessliches Leiden unter Unbeteiligten und Unschuldigen, nicht zuletzt unter Kindern, unter den Betagten, unter Kranken, denen eine Flucht verwehrt bleibt. Dass die Kriege trotzdem allein von den machtbesessenen politischen «Führern» beschlossen, befohlen und begonnen werden, macht die Kriegsschuld dieser politischen Akteure umso gravierender. Da kann kein Geschwafel von Verteidigung von «Freiheitsrechten» eine Rechtfertigung eines Militärschlages in einem anderen Land sein – eines «präventiven» Militärschlages schon gar nicht.
Auch die kriegshetzenden Medien machen sich heute, im Zeitalter vor allem ziviler Kriegsopfer, in besonderem Masse mitschuldig.
US-Soldaten beim Häuserkampf im Irak: die meisten Opfer waren Zivilisten
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Die ganz grosse schweizerische Pointe der Panzergeschichte hat mit Würenlingen zu tun, wurde erzählt, als Christian Müller noch massgeblicher Redaktor beim Badener Tagblatt war. Es gab in Würenlingen vor mehr als hundert Jahren ein Dorforiginal, genannt Lämele, eigentlich Emil Meier, der als Tüftler und Erfinder tätig war, und zur Verwandtschaft des berühmten pionierhaften Rebgutes «Zum Sternen» gehörte. Sein Pech war, das Prinzip des Panzers fast gleichzeitig, aber für die Patentierung doch zu spät erfunden zu haben. Diese Geschichte hat der beste Würenlinger Schriftsteller, Träger des Aargauer Literaturpreises, Hansjörg Schneider, genannt Bökel, in sein Theaterstück «Der Erfinder oder Späck und Bohne» eingebracht, welches in den siebziger Jahren am Zürcher Schauspielhaus uraufgeführt wurde, dann auch im Fernsehen gesendet wurde und in Würenlingen einen Skandal auslöste.
Noch bekannter geworden ist die Filmfassung «Der Erfinder» mit Bruno Ganz in der Titelrolle. Es muss nicht immer gleich Hitler sein. Von Christian Müller konnte man zu seinen besten Zeiten als progressiver und ideenreicher Journalist lernen, dass lokale Geschichten auch ganz tolle Geschichten sein können und höchste journalistische Ansprüche stellen. Ich bedaure ein bisschen, dass Christian dies nicht noch wenigstens am Rande einbezogen hat, hole es hiermit nach.
Hansjörg Schneider, ein grosser Schweizer Dramatiker und Romancier. ist bekanntlich noch der Verfasser der bekannten Hunkeler-Kriminalromane.
Zivilpersonen ist ein Begriff, der im Journalismus leider sehr selten vorkommt. Vom Kämpfern, Soldaten und Truppen ist die Rede und – wie selbstverständlich – von «Zivilisten». Diesen Ausdruck haben preussische Militärs geprägt und auch abwertend für Männer verwendet, die sich dem soldatischen Dienst entzogen oder nicht gestellt haben. Heute brauchen ihn Journalisten gedankenlos, und stellen damit alle nicht kämpfenden, aber leidenden Frauen, Kinder, Flüchtlinge und andere Opfer militärischer Auseinandersetzungen dar. Danke, Christian Müller, für diese Differenzierung, die Respekt vor den Kriegsopfern zeigt.
“Trotz der heiligen Versprechen der Völker, den Krieg für alle Zeiten zu ächten, trotz der Rufe der Millionen: ‘Nie wieder Krieg’, entgegen all den Hoffnungen auf eine schönere Zukunft muß ich sagen: Wenn das heutige Geldsystem, die Zinswirtschaft, beibehalten wird, so wage ich es, heute schon zu behaupten, daß es keine 25 Jahre dauern wird, bis wir vor einem neuen, noch furchtbareren Krieg stehen.”
Silvio Gesell, Herbst 1918 (direkt nach dem Ende des 1. Weltkrieges)
Es dauerte tatsächlich “keine 25 Jahre” vom Ende des ersten bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges. Der dritte Weltkrieg wäre spätestens in den 1980er Jahren fällig gewesen und wurde nur durch die atomare Abschreckung bis in die Gegenwart verhindert. Auf der anderen Seite hat darum heute, durch das Ausbleiben dieser “überfälligen Sachkapitalzerstörung”, die systemische Ungerechtigkeit der Zinsumverteilung von der Arbeit zum Besitz – sowohl innerhalb der Nationalstaaten als auch zwischen den Staaten – ein nie dagewesenes Ausmaß erreicht, sodass wir unmittelbar vor der größten anzunehmenden Katastrophe der Weltkulturgeschichte stehen, die auch ohne Atomkrieg unsere ganze “moderne Zivilisation” auslöschen kann:
http://www.deweles.de/willkommen/cancel-program-genesis.html
Offenbar findet man keine Angaben über die zivilen Opfer des deutsch-französichen Krieges 1870/1871. Ich bin nicht sicher, ob man daraus ableiten darf, dass es keine gab. Noch viel weniger glaube ich, dass man generell annehmen darf, früher sei generell mehr Rücksicht auf die Zivilbevölkerung genommen worden.
Eher nebenbei erwähnt Christian Müller das Phänomen der Plünderungen. Mag sein, dass bei manchen Plünderungen nicht die Gewalt gegen die Bevölkerung, sondern die Bereicherung im Vordergrund stand. Allerdings ist auch bekannt, dass längst nicht alle Opfer eines Krieges durch direkte Gewalteinwirkung ums Leben kommen, sondern dass viele als Folge des Krieges verhungern.
Der technische «Fortschritt» hat zweifellos das Vernichtungspotential kriegführender Akteure erhöht. Ein generelles «früher war alles besser» scheint mir aber nicht angebracht.
@Heierli. Unglaublich. Vom Krimkrieg bis zum deutsch-französischen Krieg war der ehemalige und abgewählte Bundesrat Ulrich Ochsenbein noch General der Reserve der französischen Armee, doch wollte gerade der Bundesrat nicht, dass Ochsenbein bei der Geschichte mit den Bourbakis noch eine Rolle spielen sollte, was er gerne gemacht hätte. Er war französischer General, weil er als Bundesrat keine Pension hatte und das Verbot fremder Kriegsdienste noch lange Übergangsbestimmungen hatte und Frankreich sowieso ausgenommen war usw. Noch eine Anekdote: Als Ochsenbein, Vater einiger Töchter, mal einen unerwünschten Schwiegersohnanwärter zur Platzierung von dessen Heiratsantrag empfangen sollte, zog er die Generalsuniform an, um seinem Nein mehr Gewicht zu geben. Tragischerweise hat Ochsenbein beim Aufbruch zur Jagd seine Frau Emilie, geb. Sury, versehentlich erschossen. Das Grab ist noch jetzt auf dem Friedhof Nidau vorhanden.
PS. Auch im Kirmkrieg waren 3000 Schweizer, meist als Reservisten, im Einsatz, was bei Debatten über die Krim mitbedacht werden darf. Natürlich auf der antirussischen Seite.