Was nach mehr Entwicklungshilfe aussieht, ist trotzdem weniger
Immerhin – so mögen manche reagieren auf die vom Bundesrat präsentierte «Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2025 – 2028» (IZA). Er will den Budgetrahmen im Vergleich zur Vorperiode 2021 – 2024 erhöhen – wenn auch nur geringfügig, weshalb es sich inflationsbereinigt als nur scheinbares Plus erweisen wird. Doch die Meldung erregte wenig Aufsehen in den Medien – allerdings zu Unrecht.
Statt wie bisher 0,5% künftig noch 0,42% des Bruttoinlandprodukts
Hätten die Medienschaffenden den publizierten «Erläuternden Bericht» bis zur Seite 50 gelesen, hätten sie ihrer Berichterstattung eine andere Färbung geben müssen. Erst dort legt der Bundesrat auf fünf erläuternden Zeilen zur «Tabelle 1» offen, was er plant: «Auf der Grundlage der projizierten Daten würde die APD-Quote bei 0,42 Prozent liegen». Und weiter: «Ohne Berücksichtigung der Asylkosten in der Schweiz würde die Quote 0,36 Prozent betragen.» Die Prozentzahlen markieren eine Wende nach unten. Der Bundesrat will die IZA auf den tiefsten Stand seit mehr als zehn Jahren zurückstutzen.
Seit 2020 hatte die Schweiz entweder knapp oder etwas mehr als 0,5 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts für die internationale Zusammenarbeit aufgewendet. Damit blieb sie zwar deutlich unter dem international seit Jahrzehnten geforderten Zielwert von 0,7 Prozent. Der Bundesrat hielt sich aber immerhin an das vom Parlament vor mehr als zehn Jahren erstmals und seither wiederholt geforderte Ziel. Jetzt plant er den Rückfall in die Nullerjahre vor 2010, als die Ausgaben um 0,4 Prozent herum pendelten.
Selbst mehr Geld für die Ukraine-Hilfe stoppt Einbruch nicht
Der Rückfall soll stattfinden trotz Mehrausgaben für die kriegsgeplagte Ukraine. 1,5 Milliarden Franken stellt der Bundesrat dafür bereit, was 13 Prozent des gesamten IZA-Budgets ausmacht. Wie bereits seit Februar letzten Jahres, als Russland in der Ukraine einfiel, soll das grössere Engagement zugunsten der Ukraine auch in den nächsten Jahren auf Kosten der ärmsten Länder gehen. Das Versprechen, dass ihnen der vor drei Jahren angekündigte Rückzug aus Lateinamerika zugutekommen soll, gilt nicht mehr.
Die Not im globalen Süden nimmt zu, das weiss selbst der Bundesrat
Der Einbruch ist geplant, obwohl die Not in der Welt noch grösser ist als sie ohnehin schon war. Selbst der Bundesrat weiss es, schreibt er doch im erläuternden Bericht: «2020 nahm die extreme Armut zum ersten Mal seit 30 Jahren wieder zu.» Vielversprechende Fortschritte im Bereich der nachhaltigen Entwicklung seien gestoppt oder rückgängig gemacht worden – und das ausgerechnet in den Schwerpunktregionen der schweizerischen IZA-Strategie. Die Zahl der Menschen, die dringend humanitäre Hilfe benötigen, habe seit 2019 (dem Jahr vor der Covid-Pandemie) erheblich zugenommen. Ein Zehntel der Weltbevölkerung sei von Hunger betroffen, ein Drittel von Mangel- oder Fehlernährung. Allein in Subsahara-Afrika habe sich in den letzten vier Jahren der Bedarf an humanitärer Hilfe verdoppelt.
Der Bundesrat weiss um die dramatische Lage im globalen Süden und weiss auch, dass die Entwicklung nicht in die gewünschte Richtung zielt, hält er doch fest: Die Welt befinde sich nur bei 12 Prozent der Ziele einer nachhaltigen Entwicklung auf Kurs, auf die sich die Staatengemeinschaft inklusive der Schweiz verständigt haben. Bei fast einem Drittel gäbe es seit 2015 keine Fortschritte oder sogar Rückschritte, beschreibt der Bundesrat faktenbasiert die ungemütliche Entwicklung in den Ländern des globalen Südens. Die Schweiz hätte allen Grund, sich verstärkt in den Schwerpunktregionen zu engagieren.
Doch daraus wird nichts. Was die Ukraine zusätzlich erhält, fehlt nun in den ärmsten Ländern, obwohl der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine auch dort grosse Schäden anrichtet. Insbesondere Afrika leidet mit, weil die Preise auf Weizen, Mais und Düngemittel massiv teurer wurden. Zusammen mit den Turbulenzen auf den Energiemärkten trieben sie die Inflation an, worauf die grossen Zentralbanken ihre Zinsen in Rekordtempo massiv erhöht haben. Zahlreiche Entwicklungsländer, die sich schon in arger Notlage befanden, wurden Opfer einer eigentlichen Zins-Schockwelle. Für neue Kredite müssten sie jetzt um mehr als 14 Prozentpunkte höhere Zinsen leisten als noch vor dem Angriffskrieg gegen die Ukraine. Es ist offensichtlich der Moment gekommen für «dringende, wirksame und grosszügige Massnahmen», wie der Chefökonom der «Financial Times», Martin Wolf, jüngst bilanzierte (13.06.2023).
Klimafinanzierung nur wie bisher trotz Klimanotstand
Zu alledem gesellen sich die jetzt schon dramatischen Auswirkungen des Klimawandels in den armen Ländern, die am wenigsten dafür die Schuld tragen. Der Bundesrat erweckt zwar den Eindruck, als wäre er sich des Problems bewusst. Für den Kampf gegen den Klimawandel will er 1,6 Milliarden Franken bereitstellen und damit gleich viel, wie er schon bisher aufgewendet hat.
Dass internationale Verhandlungen die Schweiz schon ab 2026 zu beträchtlich höheren Klimafinanzierungen zwingen dürfte, dazu macht der Bundesrat keine Angaben. Erst recht fehlt dem Bundesrat das Verständnis dafür, dass der Erfolg des Kampfes gegen den Klimawandel nicht zuletzt davon abhängt, ob die reichen Länder des Nordens in saubere Energien in armen Ländern investieren. Die neue Chefin des «Green Climate Fund», die Portugiesin Mafalda Duarte, formulierte es kürzlich in der «Financial Times» kurz und prägnant: «Wenn wir nicht in saubere Energien in Entwicklungsländern investieren, können wir das Klima vergessen.» Wenn dort die Abkehr von den fossilen Energien nicht gelingt, «wird es die USA treffen und wird es Europa treffen».
Europa wird es noch mehr treffen, als es schon jetzt der Fall ist. Hier stieg die Temperatur letztes Jahr bereits um 2,3 Grad Celsius über den vorindustriellen Stand und damit weit über den international vereinbarten Zielwert hinaus von deutlich unter zwei Grad. Der Klimanotstand ist also bereits eingetroffen. Deshalb muss sich die Schweiz schon aus Eigeninteresse mehr Klimafinanzierung leisten.
Sparen trotz Kriegsgewinnen
Doch Sparen ist die Devise im Bundeshaus. Die Schuldenbremse verlange es, hat der Bundesrat bereits im März dieses Jahres erklärt. Ob das Argument im Ausland sticht, ist zumindest offen. Denn alle können wissen, wie die Rohstoffhandels-Weltmacht Schweiz seit Beginn des Ukraine-Krieges profitiert. Glencore vermeldete einen Rekordgewinn von 17 Milliarden Dollar, mehr als das Dreifache des Vorjahres; der Rohstoffhändler Trafigura verdoppelte den Gewinn auf 7 Milliarden Dollar; der Profit des Genfer Konzerns Vitol lag 2022 mit 15 Milliarden US-Dollar so hoch wie die kombinierten Gewinne aus den sechs Jahren zuvor, errechnete Public Eye. Auch die in der Schweiz ansässigen Agrarrohstoffhändler wie Cargill und andere strichen Rekordgewinne ein.
Warum sollte nicht auch die Schweiz tun, was andere Länder getan haben? Auch sie könnte über eine Extrasteuer auf solchen «Zufallsgewinnen» den finanziellen Spielraum ausweiten. Der Bundesrat könnte im neun Zeilen kurzen Abschnitt unter der Überschrift «Politikkohärenz» des erläuternden Berichts nicht mehr nur behaupten, dass es der Schweiz wichtig sei, «bei ihren auswärtigen Beziehungen kohärent» zu handeln. Er könnte dafür auch einen Beleg liefern, dass ihm kohärentes Handeln tatsächlich wichtig ist.
Fragen, welche die Bundesräte Cassis und Parmelin nicht stellen mögen
Gleichzeitig mit der Publikation der Botschaft zur «Strategie der Internationalen Zusammenarbeit 2025-2028» haben die Bundesräte Ignazio Cassis und Guy Parmelin ein sogenannt fakultatives Vernehmlassungsverfahren eröffnet. Sie bitten um Antworten auf drei Fragen zu den Entwicklungszielen, zum geografischen Fokus und zur Mittelzuweisung an die Ukraine. Sie wollen wissen, ob sie für «relevant», «sinnvoll» bzw. unterstützenswert gehalten werden. Die Fragen sind so allgemein formuliert, dass Widerspruch kaum zu erwarten ist. Kritische Fragen mögen die beiden Bundesräte hingegen nicht stellen – obwohl es viele zu stellen gäbe. Zum Beispiel:
- Sind Sie einverstanden, dass die IZA trotz leichter Zunahme inflationsbereinigt selbst im besten Fall nur stagnieren wird?
- Sind Sie damit einverstanden, dass die IZA in der Periode 2025 – 2028 noch 0,42 Prozent des Bruttoinlandprodukts betragen soll und damit auf den tiefsten Stand seit mehr als zehn Jahren zurückfällt?
- Soll der starke Anstieg der Unterstützung für die Ukraine vor allem im Rahmen der IZA erfolgen oder sollte dafür eine eigene Gesetzesgrundlage ausserhalb der IZA geschaffen werden, um das IZA-Budget nicht zu belasten?
- Sind Sie der Ansicht, dass die Schweiz vor allem im Rahmen der IZA Klimafinanzierung betreiben soll oder sollte sie dafür zusätzliche Mittel mobilisieren, wie es die internationale Vereinbarung vorsieht?
- Sollte die Schweiz – wie es andere Länder tun – einen Teil der ihnen zustehenden, aber selber nicht gebrauchten Sonderziehungsrechte an stark verschuldete arme Länder übertragen, um deren Liquiditätsprobleme zu lindern?
- Sollte sich die Schweiz im Kampf gegen den Klimawandel und deren Schäden in Entwicklungsländern für neue Finanzierungsinstrumente einsetzen wie z.B. Abgaben auf Schifffahrt und/oder Flugverkehr, wie es in den Diskussionen «jenseits der ausgetretenen Pfade» (so Bundespräsident Alain Berset) am kürzlich in Paris stattgefundenen Gipfel für einen globalen Finanzierungspakt vorgeschlagen wurde?
- Soll eine Extrasteuer erhoben werden auf den im Gefolge des Krieges in der Ukraine stark gestiegenen Gewinnen der Rohstoffunternehmen in der Schweiz, die zur Behebung von Kriegsschäden in der Ukraine und von Kriegsfolgen in armen Ländern beitragen könnten?
Ob die für die Vernehmlassung angeschriebenen Kantone, politischen Parteien, Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete, gesamtschweizerischen Wirtschaftsverbände und weitere interessierte Kreise über die drei von den Bundesräten Cassis und Parmelin gestellten Fragen hinaus solche Themen aufgreifen werden?
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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So wichtig humanitäre Hilfe sein mag und so wichtig es auch sei, finanzielle Förderungen für wichtige Projekte im Ausland zu leisten, stellte sich mir schon immer die Frage ob es wirklich notwendig ist Gelder bereit zu stellen wenn im eigenen Land Finanzierungslücken offenlegen das der innere Friede nicht gewährleistet ist?
Einerseits gibt es hier Bedarf bei dem Gesungheitssystem, der IV, der Integration von Flüchtlingen, ect. um nur einiges zu nennen, andererseits gehen Gelder in Projekte die überhaupt nicht nötig wären, würden entsprechende politische Entscheidungen das Problem im Vorwege überhaupt garnicht erst entstehen lassen.
Stichwörter Wasser-Privatisierung, Export von Müll und überschüssigen Lebensmitteln und vieles mehr.
Ich finde, da sollte grundsätzlich mal darüber nachgedacht werden Ursachen zu bekämpfen anstelle die Missstände zu finanzieren.