Kampfflugzeug

Sicherheitspolitik ist nicht mit teurer Armee gleichzusetzen. © srf

Turbo-Aufrüstung bringt noch nicht Sicherheit

Markus Mugglin /  «Eine überstürzte Erhöhung des Armeebudgets macht die Schweiz nicht sicherer», meinte die NZZ im Mai 2022. Das gilt noch immer.

Kurz nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine warnte der Leiter der NZZ-Bundeshaus-Redaktion Fabian Schäfer vor der «überstürzten Erhöhung des Armeebudgets» und kritisierte bürgerliche Sicherheitspolitiker, die «sofort mehr Geld» forderten. Konkret hat er moniert: «Die Armee kostet mehr als es scheint», «die Aufrüstung ist bereits im Gange», «mit Sicherheit mehr Verschwendung», «verbindlich festlegen wollen, wie viel die Armee 2030 ausgeben soll, ist irritierend», «Ist das wirklich nötig?», «Vielleicht, Vielleicht aber auch nicht. Man weiss es heute einfach nicht».

Die Lektüre lohnt sich nicht nur in der Rückblende. Denn zweieinhalb Jahre später geht es nicht mehr nur um die Warnung vor einer überstürzten Erhöhung des Armeebudgets. Das Parlament will sie in der Dezember-Session zulasten der internationalen Zusammenarbeit durchsetzen.

Doch der Reihe nach:    

«Die Armee kostet mehr als es scheint»

Die Armeeausgaben liegen deutlich höher als sie offiziell ausgewiesen werden. Relevante Posten werden ausserhalb des Bundesbudgets verbucht. Der militärpolitisch «unverdächtige» ThinkTank Avenir Suisse hatte die buchhalterische Verschleierung in der Studie «Perspektiven der Schweizer Sicherheitspolitik» für das Rechnungsjahr 2020 enthüllt.

In der Bundesrechnung nicht mitgezählt sind die Militärausgaben der Kantone und Gemeinden, die Budgetanteile des VBS an bundesinternen Leistungsverrechnungen, die Militärversicherung und die privaten Ausgaben, die sich aus den staatlich garantierten Erwerbsersatzzahlungen und den privaten Lohnfortzahlungen zusammensetzen.       

Die Armee kostete deshalb im Jahr 2020 nicht 5,3 Milliarden Franken, wie offiziell ausgewiesen. Avenir Suisse hielt fest: «Berücksichtigt man alle Posten der Vollkostenrechnung, so kumulieren sich die jährlichen Kosten für die Landesverteidigung auf etwa 8,2 Mrd. Fr., was 1,16 % des Schweizer BIP entspricht.» Das von der Militärlobby propagierte Ziel, für die Armee möglichst schnell 1 Prozent des BIP aufzubringen, wurde also bereits längst erreicht. Geht es nach Wünschen der Militärlobby im Parlament, würde sich der Anteil bis 2030 schnell dem Wert 1,5 Prozent annähern.

«Die Aufrüstung ist bereits in Gange»

Die Aufrüstung der Armee begann schon nach der Annexion der Krim im Jahre 2014. Damals beliefen sich die offiziell ausgewiesenen Militärkosten auf 4,23 Milliarden, letztes Jahr auf 5,67 Milliarden Franken, erhöhten sich damit um mehr als einen Drittel.

Geht es nach der bundesrätlichen Planung, werden sie sich bis 2030 auf 7,4 Milliarden belaufen, geht es hingegen nach den Wünschen der Militärlobby sollen es dann neun Milliarden sein. Die Kosten der Armee werden sich folglich seit der Annexion der Krim im Jahre 2014 entweder um 75 Prozent erhöhen oder sie werden sich mehr als verdoppeln.   

«Ist das wirklich nötig?»

«Man weiss es einfach nicht», wie eine zeitgemässe und realistische Landesverteidigung im 21. Jahrhundert aussehen kann. Diese Feststellung gilt noch immer. Selbst Militärpolitiker bemängeln es. SVP-Ständerat Werner Salzmann kritisierte es in der Frühjahrs-Session «geradezu empört»: Es fehle eine sicherheitspolitische Lagebeurteilung, um ein Gesamtkonzept für die Armee festzulegen. Die Mehrheit des Ständerates war in der Herbst-Session gleicher Meinung und überwies die von FDP-Ständerat Josef Dittli eingereichte Motion, die den Bundesrat auffordert, ein «Zielbild zu erstellen, wie die Armee künftig aussehen soll». Alt Bundesrat Kaspar Villiger hat unlängst eingeräumt, der geforderten Erhöhung der Armeeausgaben hafte «ein Beigeschmack von Willkür und nicht von präziser Bedarfsentwicklung» an.

«Wer das Budget auf Vorrat aufstockt sorgt … mit Sicherheit für mehr Verschwendung»

Eine regelmässige Medien-Lektüre nährt den Verdacht der Verschwendung. Die NZZ berichtete jüngst über «Vetternwirtschaft im Verteidigungsdepartement» und erwähnte unter anderem, dass die Kanzlei Homburger bei der Kampfjet-Beschaffung für eine zwei A4-Seiten Expertise eine halbe Million Franken ausbezahlt erhielt. Überhaupt, so wird SP-Nationalrätin Andrea Zryd zitiert: «Das VBS verursacht die höchsten Gutachterkosten.»

Dazu kommen die Probleme beim Nachrichtendienst als «ewige Baustelle» («NZZ», 21. November) oder das unlängst publik gewordene Eingeständnis, dass die für 2025 geplante Inbetriebnahme des neuen Luftüberwachungssystems bis voraussichtlich 2030 verschoben werden muss. FDP-Nationalrat Matthias Jauslin kommentierte gemäss «Tages-Anzeiger» auf X: «Einmal mehr zeigt sich, dass die Wehrbereitschaft der Armee nicht einfach mit mehr Geld erkauft werden kann.» Dazu kommen immer wieder mal Berichte über die Fehleranfälligkeit der bestellten F-35-Kampfflugzeuge.   

«Wer das Budget auf Vorrat aufstockt, sorgt nicht für mehr Sicherheit»

Das im August publik gewordene «worst case»-Szenario der Nato zeigt exemplarisch, dass sich Sicherheit nicht auf mehr Armee reduzieren lässt. Es rechnet im «schlimmsten Fall» mit bis zu fünf Millionen Flüchtlingen aus der Ukraine nach Westeuropa und zusätzlichem Migrationsdruck aus dem Westbalkan und Afrika. Das VBS folgerte daraus: Um vorbereitet zu sein, «muss die Verteidigungsfähigkeit bis spätestens Ende der 20er Jahre wiederhergestellt sein.» Das wirkt so, als ob eine stark aufgerüstete Armee das geeignetste Mittel gegen grosse Fluchtbewegungen wäre – etwa gar mit Panzersperren, Luftabwehr oder Kampfflugzeugen an der Landesgrenze.. Der «worst case» zeigt doch vielmehr, dass Sicherheitspolitik jenseits der Grenze beginnen müsste. Wichtiger ist es, im Kriegsgebiet zerstörte Infrastruktur zu reparieren, Gebiete und Felder zu entminen und wieder begehbar zu machen und nach Ende des Krieges den Wiederaufbau zu unterstützen. Menschen – ob in der Ukraine oder in anderen Krisengebieten – bleiben oder kehren zurück, wenn sie in ihrem Land eine Perspektive sehen.

Das kostet aber. Für die Ukraine schätzt die Weltbank die Kosten für den Wiederaufbau auf mehr als 400 Milliarden Franken. Dafür braucht es auch die Schweiz. Sie wird reichlich Mittel für ihre Sicherheitspolitik jenseits des Grenzschutzes nötig haben, die ihr durch die Turbo-Aufrüstung abhanden kämen. Doch hier hapert es. Die Schweiz steht mit ihren Hilfeleistungen an die Ukraine gemessen am Bruttoinlandprodukt im internationalen Vergleich weit hinten auf Position 34 (abgerufen am 6.12.2024).

Nicht nur in der Ukraine und der umliegenden Region geht es um Sicherheitspolitik jenseits der Landesgrenzen, braucht es Investitionen in die Stabilisierung krisen- und kriegsgeplagter Länder. Deren gibt es mehr als nur genug – auch ausserhalb Europas. Doch wo das Geld herholen und gleichzeitig «fiskalische Tugend» walten lassen, die der NZZ-Kommentator vor zweieinhalb Jahren anmahnte. In diesem Punkt scheint das Parlament ihm folgen zu wollen. Es will es allerdings auf Kosten einer Sicherheitspolitik, die mehr «als bloss Waffen und Munition» ist.

Turbo-Aufrüstung gegen Sicherheitspolitik jenseits der Grenzen

Der Appell des Direktors des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik, Thomas Greminger, dass «der nichtmilitärische Teil der Sicherheitspolitik nicht in Vergessenheit geraten» darf, verhallt ungehört. Ihr Abbau ist vorgespurt, wo er endet ist noch unklar.

Die ersten vier Schnitte machte der Bundesrat. Als erstes rückte er in der Vernehmlassungsvorlage im Frühjahr 2023 vom früheren Versprechen ab, 0,5 Prozent des Bruttonationalprodukts für die internationale Zusammenarbeit aufzuwenden. Gleichzeitig erhöhte er den Anteil für die Ukraine auf Kosten der Länder im globalen Süden. In der Botschaft im letzten Frühjahr folgte eine nächste Kürzung gegenüber dem vorher versprochenen Budgetrahmen. Der nächste Coup folgte im Sommer mit der Umlenkung eines Drittels der Ukraine-Hilfe zugunsten der Subventionierung von Schweizer Unternehmen in der Ukraine. Im Parlament droht für 2025 zusätzlich eine Kürzung um 250 Millionen Franken, was gegenüber dem Vorschlag des Bundesrates einem Minus von 16 Prozent entspricht.   

Die Ausgaben für die internationale Zusammenarbeit werden schrumpfen. Offen ist nur noch, ob sie künftig noch rund 0,35 oder eher 0,30 Prozent des Bruttonationalprodukts betragen. Im schlechteren Fall wäre es nicht einmal mehr die Hälfte der 0,7 Prozent, denen die Schweiz im September in New York im Rahmen des «Uno-Pakts für die Zukunft» erneut zugestimmt hat, wie sie es seit vielen Jahren regelmässig auf internationaler Bühne macht.

Wie will die Schweiz den Rückbau der internationalen Zusammenarbeit den Ländern im globalen Süden erklären? Mit ihrem finanziellen Engpass und der Schuldenbremse, die es angeblich nicht erlauben, mehr zu tun? Die Schuldenrate der Schweiz liegt im internationalen Vergleich bekanntlich rekordtief weit unter 20 Prozent; gemäss Finanzplanung soll sie in den nächsten Jahren weiter sinken.

Kürzung trotz Krisengewinnen

Die Schweiz gehört aber auch zu den Krisengewinnlern der Welt. Die Turbulenzen auf den Rohstoffmärkten zahlten sich aus. Zum Beispiel für den Kanton Zug: Seine Einnahmen aus Unternehmenssteuern haben sich 2023 gegenüber 2021 fast verdoppelt. Oder zum Beispiel für den Kanton Genf: Er hat das für 2022 budgetierte Defizit von 820 Millionen Franken in einen Überschuss von 1,45 Milliarden Franken umwandeln können. Die Rekordgewinne der in Genf domizilierten Agrarhandelshäuser und anderer Rohstoffunternehmen haben sich offensichtlich ausgezahlt. Die Schweiz trägt wie nur wenige dazu bei, dass global operierende Konzerne ihre Steuerabgaben reduzieren können. Einzig die drei karibischen Offshore-Finanzzentren British Virgin Islands, Cayman und Bermuda erleichtern es noch mehr.  

Im globalen Süden hingegen breitet sich die Not aus. Die weltwirtschaftlichen Turbulenzen seit der Pandemie und dem Krieg in der Ukraine richteten grosse Schäden an. Zuvor erreichte Fortschritte sind gestoppt oder rückgängig gemacht worden. Erstmals seit Jahrzehnten nimmt die Armut wieder zu. Gerade jetzt will die Schweiz die Entwicklungsbudgets stark kürzen, weil die Schuldenbremse ihr keinen anderen Ausweg biete. Auf Verständnis wird sie sicher nicht zählen können.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Zum Infosperber-Dossier:

Fliegerabwehrkanone

Die Sicherheitspolitik der Schweiz

Wer und was bedroht die Schweiz? Welche Strategie braucht sie für ihre Sicherheit nach innen und aussen?

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9 Meinungen

  • am 8.12.2024 um 11:06 Uhr
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    So langsam sollte es Jedermann klar werden, dass wir für den herannahenden 3. Weltkrieg denkbar schleicht gerüstet sind !!

    • am 9.12.2024 um 14:38 Uhr
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      Was wollen Sie uns denn damit sagen? Müssen wir wieder vermehrt unsere Keller mit Luftschutzbunkern ausrüsten und mit KI ausstatten, damit wir dann noch jemanden haben mit dem wir nachher kommunizieren können ?

  • am 8.12.2024 um 11:27 Uhr
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    Die Armeeführung, das VBS und die armasuissse leisteten sich schon immer krasse Fehlbeurteilungen, Planungen und finanzielle Desaster. Tausende Seiten Expertenberichte werden zusammengeschustert, nur immer in eine Richtung : Aufrüstung. Eine andere Sichtweise wird nie sichtbar, weil diese Beteiligten keine Kritik äussern dürfen. Sie würden sonst aus den eigenen Kreisen ausgegrenzt. Bis heute kommen da Millionen Kosten zusammen die allesamt in den Sand gesetzt wurden. Konsequenzen gab es aber nie, für niemanden. All das wird seit Jahrzehnten durch eine rechtsbürgerliche Mehrheit in den Parlamenten geschützt.

  • am 8.12.2024 um 20:12 Uhr
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    Tulio de Oliveira (Leiter des Zentrum für Epidemiebekämpfung und Innovation an der südafrikanischen Stellenbosch Universität und Professor für globale Gesundheit an der Universität von Washington): «Du musst Deinen Feind so schnell wie möglich kennen lernen, um ihn bekämpfen zu können.»
    Das ist auch mein Rat an Europa und die Schweizer Armee, seit Jahren publiziert: «Wenn man Freund und Feind verwechselt, nützen alle (Militär-) Milliarden nichts (man zahlt nur teuer das eigene Begräbnis).» Bei Bundesrätin Amherd sehe ich leider den falschen Weg hin zu USA/Nato.

    • am 9.12.2024 um 12:33 Uhr
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      Vielleicht könnte man am Beispiel der Geschehnisse der letzten Wochen in Syrien einiges lernen? Ist doch frappant, wie schnell und relativ friedlich das Assad-System verschwunden ist.

      Alles – auch Diplomatie, Geschichte, Soziales etc. – genau analysieren und entsprechende Strategien entwickeln. Dazu braucht es gewiss keine Flugzeuge. Das viele Geld für diese Spielzeuge lässt sich wesentlich klüger, nützlicher und wirksamer einsetzen; ja und dann braucht es wohl auch keine zusätzlichen Gelder. Nach einer umfassenden Analyse (wie auch im IS-Text angeregt), wüsste man – wenn überhaupt nötig – wenigstens, wofür wie viel Geld einsetzen.

    • am 9.12.2024 um 14:36 Uhr
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      Stimme Ihnen voll und ganz zu. Nur leider werden solche Meinungen in unseren Medien fast konsequent unterschlagen oder mies gemacht !

  • am 9.12.2024 um 12:03 Uhr
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    Es ist so beschämend für die reiche Schweiz, auf Kosten der Allerärmsten dieser ungerechten Welt, Geld zu einer ineffiziente Armee rüberzuschieben. Und nicht nur beschämend, auch unklug: Gut eingesetzte Gelder im Ausland bewirken tragen nicht nur zu Linderung von Not dort bei, sondern auch zu unserer eigenen Sicherheit.

    • am 9.12.2024 um 23:42 Uhr
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      Ja genau!
      Wir senden seit 60 Jahren Dutzende von Milliarden an «Entwicklungshilfe» nach Afrika — und hat sich dort irgend etwas geändert, oder verbessert??!!
      Erst mal den eigenen armen Leuten in der Schweiz helfen, und von denen haben wir genug!
      Zum Beispiel jene 250’000 Rentner, welche Anspruch auf AHV – Ergänzungsleistungen hätten, und sie nicht bekommen !!

  • am 9.12.2024 um 12:46 Uhr
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    Was erwarten wir bezüglich Armee von Bundespolitik und Armeeführung ?
    Nichts, wir lassen einfach machen ! Und das haben wir davon :
    Nichtdenken und Konzeptlosigkeit zusammen im Topf mit Korruption, Manipulationssteuerung, Lobby, Geld und Dummheit, Hand in Hand mit gezielter Fehlinformation, kaltblütiger Kompetenzüberschreitung auf der Bundesratsseite, Nichtausübung der Kompetenzen auf der Parlamentsseite.
    Seit Jahrzehnten ist die Armee-ausrichtung und -finanzierung von Wunschdenken, Sandkastenmentalität und feuchten Träumen geprägt. Dabei wäre es relativ einfach :
    Die Schweiz braucht keine repräsentative Armee oder eine, die in einem Bündnis kämpfen wird. Sie braucht keine Grosssysteme wie Panzer, F-xy, Elektro-LKWs, Artillerie, die alle innerhalb von Sekunden durch Billigdrohnen vernichtet sind. Firlefanz !
    Die Schweiz braucht eine technologisch moderne Miliz-Infanterie-Armee. Leider nützt die aber auch nichts ohne eine Tellsche Mentalität . . .

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