Frachtschiff Türkei

Die Türkei exportierte letztes Jahr Waren im Wert von 5,4 Milliarden US-Dollar nach Israel. Rund 70 Prozent der Baumaterialien importierte Israel aus der Türkei. © Evren Kalinbacak / Depositphotos

Türkisch-israelische Beziehungen knapp vor dem Aus

Amalia van Gent /  Die Türkei setzt ihre Handelsbeziehungen mit Israel wegen des Gaza-Kriegs aus – mit ungeahnten Folgen für die Wirtschaft.

«Alle Export- und Importgeschäfte mit Israel wurden eingestellt. Und zwar für alle Produkte», hiess es in einer Erklärung des türkischen Handelsministeriums am 2. Mai. Dabei veröffentlichte die Regierung in Ankara eine Liste von 54 Produkten, die fortan nicht mehr nach Israel exportiert werden dürften – so beispielsweise Zement, Stahl und Eisen. Die Türkei werde die Massnahmen «strikt und entschlossen umsetzen, bis die israelische Regierung einen ununterbrochenen und ausreichenden Fluss humanitärer Hilfe nach Gaza» zulasse, begründete das türkische Handelsministerium seinen unerwarteten Schritt.

Ungewöhnlich harsche Rhetorik

Der israelische Aussenminister Israel Katz bestätigte kurz darauf, dass die türkische Regierung damit begonnen hatte, israelische Importe und Exporte in türkischen Häfen zu blockieren. Er war über den vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan initiierten Handelsstopp mehr als empört. «So verhält sich ein Diktator, der die Interessen des türkischen Volks missachtet und internationale Handelsabkommen ignoriert», schrieb Katz auf der Social-Media-Plattform X. 

Auch der israelische Wirtschaftsminister Nir Barkat machte keinen Hehl aus seinem Unmut. Israel habe bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Beschwerde gegen die Türkei eingelegt, erklärte Barkat. Und: Sein Land erwarte, dass die OECD gegen die Türkei vorgehe. Erdoğans «wahnsinnige Entscheidung» verletze schliesslich das internationale Seerecht, störe die globalen Lieferketten und schade der gesamten europäischen Wirtschaft, so Barkat. 

Gaza-Krieg bedroht die israelisch-türkischen Beziehungen

Der Tonfall zwischen Ankara und Tel Aviv wird umso schriller, je länger der Gaza-Krieg anhält. Die Sprache der Politiker verroht und scheint jedes Mass an Respekt und Anstand zu verlieren. Während israelische Amtsträger den türkischen Präsidenten als «antisemitischen Diktator» verschreien, vergleicht dieser den israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu in aller Öffentlichkeit mit Adolf Hitler und bezeichnet die Hamas als eine «Befreiungsbewegung». Kann der Gaza-Krieg dem aussergewöhnlichen Lauf der türkisch-israelischen Beziehungen den Garaus machen?

Das bilaterale Verhältnis zwischen Israel und der Türkei hatte Mitte der 1990er Jahre ein einmaliges Hoch erreicht. Auf Ermunterung der USA wagten die zwei kulturell und politisch so unterschiedlichen Staaten am östlichen Mittelmeer damals eine «strategische Allianz», die ihre engste Zusammenarbeit im politischen, wirtschaftlichen und militärischen Bereich vorsah. Dank dieser strategischen Allianz gelang es Israel, seine bis dahin eiserne Isolation in der islamischen Welt erstmals zu durchbrechen. Dafür ermöglichte ein Freihandelsvertrag der Türkei den Zugang zum Markt Israels und der USA. Die Allianz im militärischen Bereich erlaubte schliesslich den Transfer von Hightech-Produkten aus Israel für die damals noch unbedeutende türkische Rüstungsindustrie. 

Krisen nach dem Wahlsieg der Islamisten

Die ersten tiefen Risse machten sich gleich nach dem Wahlsieg Erdoğans zu Beginn der 2000er Jahre bemerkbar. Erdoğan und seine regierende AKP-Partei sind Kinder des politischen Islam in der Türkei. Das traurige Schicksal der Palästinenser bewegt die Menschen dieser Bewegung seit je tief. Dass Israel die Zwei-Staaten-Lösung sowie jeden Vermittlungsversuch der ersten Erdoğan-Regierungen ablehnte, sorgte in Ankara für Missstimmung. Dass die Führungsriege in Erdoğans AKP-Partei der palästinensischen Hamas unverhohlen nahestand, nagte wiederum am Vertrauen der Israelis. Trotz aller politischen Krisen der letzten 25 Jahre blieb allerdings der türkisch-israelische Freihandelsvertrag unangetastet. Das bilaterale Handelsvolumen belief sich letztes Jahr laut offiziellen Angaben auf 6,8 Milliarden US-Dollar. 

Sollte der von Ankara angekündigte Handelsstopp in die Tat umgesetzt werden und zeitlich länger anhalten, würde dies die Wirtschaft beider Staaten arg treffen: Die türkischen Exporte nach Israel umfassten letztes Jahr 5,4 Milliarden US-Dollar und die israelischen Exporte in die Türkei 1,6 Milliarden Dollar. Israel hat rund 70 Prozent seiner Baumaterialien aus der Türkei importiert. Die Verbraucher in Israel müssten mit plötzlichen Preiserhöhungen rechnen, kommentierte die regierungsnahe türkische Zeitung «Hürriyet» am Montag. Israel habe jede Warnung aus Ankara vor einem Warenverbot als «leer» abgetan und keine alternativen Importmöglichkeiten entwickelt, zitiert «Hürriyet» den Bericht der israelischen Nachrichtenseite «Calcalist» schadenfreudig. Dass die Einnahmen von diesen Exporten auch der eigenen Kasse fehlen werden, wird in der regierungsnahen türkischen Presse nicht erwähnt.

Noch ist unklar, ob Ankara den Handel mit Drittländern ebenfalls einstellen will – beispielsweise die Öllieferungen aus Aserbaidschan nach Israel. Die in Fragen des Nahen Ostens meist gut informierte Internet-Plattform «al monitor» schätzt, dass rund 60 Prozent der israelischen Öleinfuhren aus Aserbaidschan und Kasachstan stammen. Sie gelangen über eine Pipeline zum südtürkischen Mittelmeerhafen Ceyhan und werden von dort per Schiff nach Israel transportiert. 

Erdoğan unter Druck seiner Parteibasis

Warum Erdoğan ausgerechnet jetzt die Krise mit Israel auf die Spitze treibt, bleibt umstritten. Viele politische Beobachter führen seine verhärtete Position in erster Linie auf den Druck seiner eigenen Parteibasis zurück. Bilder aus dem Gaza-Streifen von hungernden und ermordeten Kindern sowie von der unfassbaren Zerstörung der palästinensischen Städte und Dörfer lösen in der Türkei dieselben Emotionen aus wie in der westlichen Welt die Bilder aus dem Ukraine-Krieg. Solange der Handel mit Israel unangetastet blieb, warfen vor allem fromme Anhänger Erdoğan Versagen in der Palästina-Frage vor. Bei den letzten Kommunalwahlen sollen sie selbst in den traditionellen Hochburgen der AKP für kleinere Parteien des politischen Islam gestimmt haben.   

Erdoğan steht unter Druck. Als eine emotionell explosive Persönlichkeit reagiert er dabei unberechenbar. Just zum Zeitpunkt, als das türkische Handelsministerium den Handelsstopp mit Israel verkündete, teilte das türkische Aussenministerium in Ankara mit, die Türkei werde sich der von Südafrika angestrengten Völkermord-Klage gegen Israel anschliessen.

«Was wir jetzt tun, ist das Richtige»

Nur eine knappe Woche vor dem Handelsstopp mit Israel liess Erdoğan einen für den 9. Mai geplanten Besuch beim US-Präsidenten Joe Biden kurzfristig einfach fallen. Dabei handelte es sich um das erste Treffen beider Präsidenten in Washington. Dort sollten sie ein seit Jahren von Ankara angestrebtes Abkommen zum Kauf von F-16-Kampfjets und zur Modernisierung der türkischen Flotte unterzeichnen und Einigkeit der zwei grössten NATO-Partner vordemonstrieren. Stattdessen vertieft die plötzliche Streichung des Besuchs die alte Krise zwischen den USA und der Türkei. Die Sicherheitslage in «unserer Nachbarschaft am östlichen Mittelmeer» sei genauso wie Erdoğan «noch unberechenbarer, noch volatiler geworden als zuvor», beklagt die griechische Tageszeitung «Kathimerini» besorgt.

«Wir sind uns bewusst, dass das, was wir jetzt tun, das Richtige ist», sagte Erdoğan vor einer Versammlung des Verbands unabhängiger Industrieller und Geschäftsleute (MÜSIAD) in Istanbul letzten Freitag. MÜSIAD ist der Verband von Geschäftsleuten, die dem politischen Islam der Türkei nahestehen. Der Westen werde es nicht unterlassen, die Türkei wegen des Handelsstopps mit Israel anzugreifen, setzte Erdoğan seinen Gedanken fort. Aber «wir lassen uns nicht einschüchtern». «Wir werden aufrecht stehen.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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5 Meinungen

  • am 7.05.2024 um 12:04 Uhr
    Permalink

    Zitat:
    Die Türkei werde die Massnahmen «strikt und entschlossen umsetzen, bis die israelische Regierung einen ununterbrochenen und ausreichenden Fluss humanitärer Hilfe nach Gaza» zulasse

    Es sieht so aus, als ob Erdogan sich der Bewegung BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) für die Zeit, bis Israel seine Forderungen erfüllt, anschließt – mit hohen wirtschaftlichen Opfern für sein Volk.

    Ob das jetzt dazu beiträgt, dass im Verhandlungsprozess zwischen Israel und Hamas eine Einigung erzielt wird, die den Versuch beendet, die Hamas komplett zu liquidieren, bleibt abzuwarten.

    Aber die Tötung so vieler Zivilisten in Gaza hat, wie öfter berichtet, auch indirekt damit zu tun, dass Netanyahu den Regierungsposten braucht, um nicht wegen Korruption im Gefängnis zu landen. Für diesen Regierungsposten braucht er Parteien, die einen 100% jüdischen Staat wollen.

    Aus rechtsstaatlichen Gründen bleibt zu wünschen, dass Netanyahu seinen Prozess bekommt und die Mörder auf Seiten der Hamas auch.

  • am 7.05.2024 um 16:58 Uhr
    Permalink

    Beim Terrorakt gegen die «Mavri Maru» war die Türkei noch sehr zurückhaltend.
    Man kann nur hoffen, daß jetzt noch andere Länder ermutigt werden, dem Beispiel der Türkei zu folgen.
    Nur so kann die Apartheit beendet werden, wie vormals in Südafrika.
    Ich wünsche mir ein Ende der den Deutschen aufgezwungenen «Staatsraison»

  • am 7.05.2024 um 19:25 Uhr
    Permalink

    Das ist so merkwürdig, dass richtige, weil menschlich zu unterstützende Entscheidungen machmal nur von der ‹falschen› Seite kommen. Die Türkei – Erdogan – zeigt genau die klare Linie, die ich gerne von ‹unserer› Seite gewünscht hätte, damit einmal deutlich wird, dass Werteorientierung wirklich Werte zur Orientierung des politischen Handelns nutzt. Der Wertewesten könnte sich jetzt schämen, nicht es selbst gewesen zu sein: Selbst auf die Gefahr hin, dass die Konsequenzen der Handelsunterbrechung zu Israel ein Schnitt ins eigene Fleisch sein werden eine klare Ansage zu machen. Was heisst Ansage: Die bisherigen wurden ja geflissentlich nicht nur von Israel, sondern auch von unseren politisch Verantwortlichen überhört. – Der Westen hat eine ähnliche wirtschaftliche Aktion nur mit den Sanktionen, zuletzt gegen Russland, geschafft. Nur leider nicht wirklich für das Primat des Friedens und der Menschlichkeit, sondern für Zerstörung und Krieg. Die negativen Konsequenzen tragen wir heroisch –

  • am 8.05.2024 um 01:13 Uhr
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    Gegen Russland wurden sehr rasch massive Sanktionen ergriffen. Warum ergreifen USA und Europa keine Sanktionen gegen Israel? Wir sollten alle Erdogan unterstützen. Auch wir haben uns mit den Russland-Sanktionen ins eigene Bein geschossen, aber Europa hat es im Namen des Völkerrechtes auf sich genommen. Weshalb also nicht bei einem Krieg, der vom Internationalen Gerichtshof als plausibler Genozid betrachtet wird, sofort mit Sanktionen reagieren?
    Ein Mal mehr «deux poids, deux mesures». Dass bei unseren Jungen Wut und Verzweiflung aufkommt ist absolut verständlich, die Bevölkerung ist machtlos gegen unsere Regierungen!

  • am 9.05.2024 um 15:00 Uhr
    Permalink

    Eigentlich ist die Mühe umsonst, auf das Moralisieren mit Fakenews über Genozid an den Palästinensern zu reagieren. Es bleibt jedoch bemerkenswert, dass die barbarischen mit Jubelrufen begleiteten Gräueltaten an wehrlosen Zivilisten von Kleinkindern bis gebrechlichen Senioren von den Boykottfordern nie in die Betrachtung gezogen wird. Denselben ist das diktatorische Gehabe Erdogans u.a. und der effektive Genozid oder Apartheid gegen die Jessiden, Kurden, Uiguren, Armenier, Buren, Afghaninnen, Iranerinnen, Rohingya, und weiteren kein Engagement wert. Das Reklamieren humanitärer Werte gilt eben exklusiv den Palästinensern. So wird es nie politische Lösungen geben, die fair und wirklich menschenwürdig sind. Die Gesinnung ermöglicht eben keine vernünftigen und weisen Lösungen.

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