Syrien: Assad legt keinen Wert auf Rückkehr von Flüchtlingen
Nach dem tödlichen Messerattentat in Solingen, verübt von einem Syrer und reklamiert vom «Islamischen Staat», ist die Frage akut geworden, ob man unerwünschte Asylwerber ins Kriegsland Syrien abschieben kann. Die Debatte, die durch den Aufstieg der Rechtsradikalen in Europa umso dringlicher wird, schliesst an eine andere an, die im Juli nicht zuletzt vom österreichischen Aussenministerium angestossen wurde: Ist es nicht Zeit, die Beziehungen zum Regime von Bashar al-Assad, das 13 Jahre nach Beginn des Aufstands fest im Sattel sitzt, zu verbessern?
Dazu gibt es in der EU einen Vorstoss von Griechenland, Kroatien, Tschechien, der Slowakei, Slowenien, Zypern und eben Österreich. Die Eröffnung eines Dialogs mit Damaskus wäre Voraussetzung für mögliche Abschiebungen, denn dafür braucht man Kooperationsbereitschaft auf der anderen Seite. Aber es gibt noch einen Aspekt: Die wirtschaftliche und soziale Lage in Syrien ist so schlecht, dass nur Wiederaufbau und Stabilisierung des schwer zerstörten Landes verhindern können, dass in Zukunft noch mehr Menschen flüchten. Wer nur irgendwie kann, verlässt Syrien.
Assad hält sich heraus
Eher unerwartet ist dabei, dass die derzeitige grosse Nahostkrise Assad aussenpolitisch eher hilft. Das Assad-Regime ist alter Partner der Islamischen Republik Iran und eigentlich ein fixer Bestandteil der iranischen «Achse des Widerstands». Wegen der iranischen und der Hisbollah-Präsenz wird Syrien häufig von Israel aus der Luft angegriffen. Aber momentan verfolgt Assad eine klare Disengagement-Strategie, eine Abkoppelung. Er tut auch so, als ob ihn der Golan nichts anginge, der einer der Schauplätze der Auseinandersetzung zwischen Hisbollah und Israel ist.
Assad will nicht in einen Krieg zwischen Israel und der «Achse» hineingezogen werden – und auch sein Protektor Russland will das nicht. Ihm würde die EU mit Normalisierungsschritten einen Erfolg gönnen. Das gehört zur Abwägung der Interessen dazu.
Für Assads Zurückhaltung gibt es mehrere Gründe. Einer ist, dass die arabischen Golfstaaten die Beziehungen zu Assad normalisieren – das führen auch normalisierungswillige Europäer ins Treffen. Das will er nicht riskieren, indem er sich einmal mehr Teheran verschreibt. Dazu kommt das schlechte Verhältnis Assads zur Hamas, die er früher sogar in Damaskus beherbergte, die sich jedoch beim Aufstand 2011 gegen ihn wandte. Und so mies es den Menschen in Syrien geht: Im Vergleich mit dem Libanon und seiner Hisbollah steht jetzt Syrien beinahe als stabile Alternative da.
Verfolgung zu erwarten
Gleichzeitig versichern humanitäre und Menschenrechts-Organisationen, die etwas mit Syrien zu tun haben, dass dies kein Land ist, in das man Flüchtlinge zurückschicken kann. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR wird Syrien nicht für «sicher» erklären. Und Assad will bestimmt niemanden zurücknehmen, schon gar nicht Regimegegner. Sie hätten weiter Verfolgung zu erwarten.
Schon 2012 hat das Regime damit begonnen, sich das Vermögen der Flüchtlinge einzuverleiben: per Dekret und durch ein Antiterrorismusgesetz, dessen man sich gegen alle Oppositionellen bedienen kann. 2023 folgte ein Gesetz, das es dem Staat erlaubt, eingezogene Vermögen, auch Immobilien, zu managen; der Profit fliesst in die eigenen Kassen. Was den Flüchtlingen gehört hat, wird auf Regimegünstlinge umverteilt. Die engere Familie Assad hat Besitz von der syrischen Wirtschaft ergriffen. Dazu hat es durchaus auch interne Clankämpfe gegeben.
Währenddessen ist die Not vieler Menschen überwältigend. Die Hilfsorganisationen sind in Syrien stark unterfinanziert. Wieder geht eine Generation von Kindern verloren: Laut Schätzungen besucht nur die Hälfte von ihnen Schulen. Lehrer müssen sich teilweise selbst das Benzin finanzieren, um in die Schulen zu fahren – nicht alle können das.
Gewalt im ganzen Land
Aber gibt es in Syrien noch einen Krieg? Oft wird er als «eingefroren» bezeichnet. Lageberichte zeichnen ein Bild der ständigen Gewalt an unterschiedlichen Orten mit unterschiedlichen Akteuren. Aber es gibt praktisch keinen Tag ohne Todesopfer.
Da sind die sogenannten Unruhegebiete, wie Daraa im Süden, wo Regime- oder regimefreundliche Kräfte gegen Rebellen vorgehen und umgekehrt. Nicht jede Gewalt hat politische Ursachen, es spielt auch Drogenkriminalität, der Schmuggel mit der Aufputschdroge Captagon nach Jordanien, hinein. Auch jordanische Sicherheitskräfte greifen an der Grenze ein.
Im Nordosten gibt es vermehrt Auseinandersetzungen zwischen den von den USA gestützten SDF (Syrian Democratic Forces) und dem Regime oder auch «regimefreundlichen tribalen Kräften», also arabischen Stämmen, die gegen die kurdische Dominanz sind. Dazu kommen türkische Angriffe auf die PKK-nahen kurdischen Milizen, die stärkste Gruppe in den SDF. Im Nordwesten mischen von der Türkei gehaltene syrische Milizen mit. Eine «Unruheprovinz» ist auch das Drusengebiet in Suwayda. Drusische Milizen wehren sich gegen Islamisten, aber vermehrt auch gegen das Regime.
Die Aktivitäten des «Islamischen Staats», vor allem im Gebiet um Palmyra in Zentralsyrien, sind im Steigen begriffen. Erst am 25. August etwa wurden elf syrische Soldaten einer Patrouille tot aufgefunden, manche davon geköpft. Umgekehrt macht das Regime Jagd auf den IS und verschont dabei auch unbeteiligte Zivilisten nicht.
Das Gebiet von Idlib dominiert unter türkischer Ägide die Terrororganisation HTS. Idlib – auch die Bevölkerung, die nichts mit dem HTS zu tun hat – leidet unter Luftangriffen des Regimes und Russlands. Die HTS kämpft jedoch auch gegen den IS, sie selbst hat ihre Wurzeln in Al-Kaida. Nicht alle, die gegen Assad kämpfen, gehören zu den Guten. Das macht ihn aber nicht besser.
Dieser Artikel ist zuerst im «Standard» erschienen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Gudrun Harrer ist leitende Redakteurin des österreichischen «Standard» und unterrichtet Moderne Geschichte und Politik des Nahen und Mittleren Ostens an der Universität Wien.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Wieso «Aufstand» gegen Assad ?
Der Konflikt wurde doch von aussen ins Land getragen. Ethnische und religiöse unterschiedliche Volksgruppen lebten vorher friedlich
miteinander. (Karin Leukefel).
Aber der Wertewesten meinte, Assad muss weg…
Seit Jahr und Tag ist bekannt: «Wer Bomben sät, wird Flüchtlinge ernten» (M. Lüders)
Die Logik eines Assad ist nicht weniger inhuman, als die Logik der regelbasierten Ordnung des sog.
Wertewestens. Diesem ist es mit zu verdanken, dass wir uns zunehnmend wie auf einem Pulverfass sitzend fühlen dürfen. Siehe weitere Stationierung amerikanischer Atomraketen, über die eine Sicherheitsexpertin in der Tagesschau folgendermassen schwadroniert: » Mit den Waffensystemen soll eine «Fähigkeitslücke» geschlossen werden». Klingt nach «todsicher»!
Dem kann man nur beipflichten, willkommen Frau Plass von der Rationalgalerie…
“Nicht alle, die gegen Assad kämpfen, gehören zu den Guten.”
Alle, die zu dem Chaos und Leid in Syrien beigetragen haben, hierzu zählen auch sämtliche ausländische Kräfte, die sich in Syrien gegen den Willen der syrischen Regierung eingemischt und Gewalt befürwortet haben, gehören nicht zu den Guten.
Das gilt auch für die EU und die USA, die nicht nur keine Skrupel haben, dem Land ihr Öl zu stehlen, sondern dem geschundenen Land mit Wirtschaftssanktionen auch noch den Wiederaufbau verunmöglichen wollen.
So schlimm Assad auch ist, die, die sich zu den vermeintlich Guten zählen, haben alles nur noch viel schlimmer gemacht.
Fr. Harrers Analyse lässt wichtige Punkte vermissen: 1) Assads Regierung, ob wir nun Diktatoren mögen oder nicht, ist die rechtmäßige Regierung Syriens und kein «Regime», 2) Weite Teile syrischen Staatsgebiets werden von den NATO-Mitgliedern USA und Türkei kontrolliert und durch Öl- und Ressourcendiebstahl ausgeplündert – das widerspricht jeglichem Völkerrecht, 3) ebenfalls völkerrechtswidrig sind die harten und vielfältigen Sanktionen der EU gegen Syrien, die dauerhaft Elend und Armut verursachen und den Wiederaufbau behindern, 4) die russische Armee ist die einzige ausländische Kraft, die sich berechtigt, nämlich auf Wunsch der syrischen Regierung, auf syrischem Territorium aufhält, 5) Assad wurde vor einigen Jahren ähnlich wie Gaddafi als zukünftiger Partner des Westens gehandelt; es gab Gespräche, Entspannung und entschieden weniger Moralin, als es heute aus jeder außenpolitischen Pore tropft, bis irgendwer der Meinung war, ein «Regime»-Wechsel wäre doch besser.
Man sollte nicht vergessen, dass der Staat «Syrien» durch die Kolonialmacht Frankreich gegründet wurde und in sich sehr verschiedene kulturelle, ethnische und religiöse Gruppen vereint – oder eben besser, nicht vereint. Assad ist Alawit, die staatstragende Elite setzt sich aus Alawiten, die zu den Schiiten gezählt werden, sowie gemässigten Sunniten zusammen. Dagegen stehen andere sunnitische Gruppen, z.B. die Muslimbruderschaft und andere. Es leben aber auch Kurden und Drusen in Syrien. Kommt noch die Einmischung von aussen dazu, durch Türkei, die Golfstaaten, Israel und NATO. Sollte dies auseinanderfallen ist mit einem Genozid zu rechnen, ethnische Säuberungen sind ja bereits im Gang – die Kurden regieren sich selbst auf dem von ihnen kontrollierten Gebiet und sind noch pro forma Teil Syriens. In Idlib züchten der Westen und die Türkei Islamisten der HTS und der TIP heran, wobei hier mittlerweile auch die Ukraine aktiv HTS und TIP Leute trainiert. Assad ist nicht das Problem.
@Burkhard Bielski
Danke für den Gruß 🙂
Der sehr erhellende Video-Kommentar des Philosophen Ardalan Ibrahim über
«Daniel Bar-Tal, der Israel-Palästina-Konflikt, Dehumanisierung, Sozialpsychologie und Anthropologie»
dürfte Sie vermutlich interessieren.
Auch eine Anregung an die Infosperber-Redaktion für ein mögliches Gespräch mit diesem Philosophen, da es auch um Erkennntis des individellen wie kollektiven Konfliktpotentials geht.
Kurzum: Der Blick auf Mensch und Welt und die Mechanismen von Gewalt und Barbarei und welche Wege zum Frieden führen könnten.
Wenn man die Situation in Syrien bewerten will – was die Lebensqualität der Menschen dort betrifft – dann muß man den Blick zurück wenden etwa bis 1976. Ganz gewiß – dort gab es eine allumfassenden Geheimdienst und die Geschicke wurden durch die Baath-Partei gesteuert. ABER : ich habe das Land und seine Bewohner als frei und weltoffen erlebt – gerade die Frauen traten selbstbewußt und politisch engagiert auf. Was für ein Wandel zu den heutigen Zuständen – und da redet noch jemand von westlicher Wertskala! Allerdings gab es auch damals schon syrische Emigranten , vor allem Ärzte etc. – aber die waren keine bedrohte Gruppe, sondern Sucher des Goldenen Kalbes.