Stoltenberg zu Ukraine: Gebiet abgeben für Nato-Mitgliedschaft
Was Jens Stoltenberg bis vor wenigen Tagen nicht zu sagen wagte oder nicht befugt war zu sagen, tat er nur vier Tage nach seiner Ablösung als Nato-Generalsekretär. Auf der kleinen, bewaldeten Insel Utoya vor den Toren Oslos sprach er bei einem gemeinsamen Mittagessen mit Henry Foy von der «Financial Times» aus, was im Nato-Bündnis bisher nur hinter den Kulissen über das Ende des Krieges in der Ukraine besprochen wurde.
Stoltenberg sieht die Nato-Mitgliedschaft gegen Gebietsverluste als mögliche Lösung für ein Ende des Krieges in der Ukraine. Doch bevor er es sagte, hatten die beiden Gesprächspartner weniger heikle Fragen der zehnjährigen Karriere an der Nato-Spitze besprochen. Die leeren Teller waren abgeräumt, als Henry Foy von der «Financial Times» die politisch sensible Frage stellte: Wo wird das enden mit dem Ukraine-Krieg?
Stoltenberg antwortete: «Wir müssen die Bedingungen schaffen, die es der Ukraine ermöglichen, sich mit den Russen zusammenzusetzen und etwas zu erreichen, das akzeptabel ist … etwas, bei dem sie als unabhängige Nation überleben können.»
Nach dieser allgemein gehaltenen Antwort, wollte der Journalist der «Financial Times» noch genauer wissen, was Stoltenberg Selenski vorschlagen würde. Er habe zuerst gezögert und dann mit einem historischen Vergleich geantwortet:
Finnland, Japan und Westdeutschland als historische Vorbilder
«Finnland hat 1939 einen tapferen Krieg gegen die Sowjetunion geführt. Es hat der Roten Armee viel höhere Kosten auferlegt als erwartet. Der Krieg endete damit, dass es 10 Prozent des Territoriums aufgeben musste. Aber es bekam eine sichere Grenze.»
Doch Finnland bekam Neutralität bis es erst letztes Jahr Nato-Mitglied wurde. Die Ukraine aber will sofort die Nato-Mitgliedschaft, was Putin nicht will, gab der Journalist der «Financial Times» zu bedenken. Er insistierte auch mit dem Hinweis, dass die USA und Deutschland dagegen sind, der Ukraine die in Artikel 5 des Nato-Bündnisses festgeschriebene Beistandspflicht zu gewähren. Darauf meinte Stoltenberg: Es gibt immer Wege, das zu lösen. Und weiter: «Wenn es eine sichere Grenze gibt, ist das nicht unbedingt die international anerkannte Grenze.»
Auch dazu verwies Stoltenberg auf ein historisches Beispiel, auch wenn er es selber als «sehr gefährlich» bezeichnete, «Vergleiche anzustellen, weil keine Parallelen zu 100 Prozent korrekt» seien. Aber, so Stoltenberg, «die Vereinigten Staaten haben Sicherheitsgarantien für Japan. Aber sie decken nicht die Kurilen [Inseln] ab, die Japan als japanisches Territorium betrachtet, das von Russland kontrolliert wird.»
Stoltenberg stellte auch noch einen Vergleich mit Deutschland an: «Westdeutschland betrachtete Ostdeutschland als Teil des grösseren Deutschlands. Sie hatten keine Botschaft in Ost-Berlin. Aber die Nato hat natürlich nur Westdeutschland geschützt.»
«Wo ein Wille ist, da gibt es auch Wege»
Stoltenberg fuhr fort: «Wo ein Wille ist, da gibt es auch Wege, eine Lösung zu finden. Aber man braucht eine Grenze, die definiert, wo Artikel 5 in Anspruch genommen wird, und die Ukraine muss das gesamte Gebiet bis zu dieser Grenze kontrollieren.» Da Russland gemäss Selenski 27 Prozent des ukrainischen Territoriums kontrolliert, müsste die Ukraine heute auf einen bedeutenden Teil seines Gebiets verzichten – wenn auch «nur faktisch» und nicht völkerrechtlich verbindlich.
Ob Selenski dazu bereit ist? Anzeichen dafür gibt es nicht – jedenfalls nicht öffentlich. Laut SDA-Meldung vom 6. Oktober ist für den ukrainischen Präsidenten ein dauerhafter Frieden nur «ohne jeglichen Handel mit Souveränität oder Handel mit Territorien möglich». Doch die Ukraine scheint vermehrt unter Druck zu geraten. Einen Tag nach der Publikation des Gesprächs mit Jens Stoltenberg doppelte die «Financial Times» nach in einem Artikel mit der Überschrift «Nato membership and the West German model». Zentrale Aussage dabei:
«Westliche Diplomaten und zunehmend auch ukrainische Beamte sind zu der Auffassung gelangt, dass sinnvolle Sicherheitsgarantien die Grundlage für eine Verhandlungslösung bilden könnten, bei der Russland de facto, aber nicht de jure die Kontrolle über das gesamte oder einen Teil des ukrainischen Territoriums behält, das es derzeit besetzt hält.»
Noch will die Ukraine nichts davon wissen. Oder etwa doch? Ob der ukrainische Präsident Selenski deshalb gegenüber dem Nachfolger von Jens Stoltenberg an der Nato-Spitze, Mark Rutte, bei dessen Antrittsbesuch in Kiew betonte, dass das wichtigste Ziel der Ukraine sei, ein vollwertiges Mitglied der Allianz zu werden? Auch wichtiger als die Kontrolle über das gesamte Territorium des Landes?
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Das wäre ein worst-case deal für Russland. Ich würde mich vielmehr auf Gorbis Zeiten beziehen und die «Nicht-einen-Inch-Ausdehnung der NATO» in Richtung Osten.
Es muss zu einem Einfrieren des Konfliktes zwischen der Europäischen Union und Russland kommen..
Wer sich intensiver mit der Ukraine befassen will, sollte das Buch
von Emmanuel Todd «La Défaite de l´Occidente» erschienen bei Gallimard, Paris 2024
oder in Kürze auf Deutsch «Der Westen im Niedergang» im Westendverlag lesen.
Historiker Todd hat bereits 1976 den Niedergang der Sowjetunion vorausgesagt. Ein Buch mit neuen Einsichten.
Sorry,! Jedoch schon Ihr Eingangssatz ist falsch und verhindert eine Lösung>>»Es muss zu einem Einfrieren des Konfliktes zwischen der Europäischen Union und Russland kommen..» Nicht Russland und EU sind die Kontrahenten sondern das ÜBEL begann wieder mal mit der USA. Und dafür gab es schon lange vor 2022 Aussagen und Handlungen diesbezüglich der Absichten der USA .
Hoffentlich hat die Bekanntwerdung nicht die Chancen für eine Realisierung vernichtet. Zeitpunkt und Person sind allerdings sehr überraschend – denn am 12.März 2022 hat ein Unbekannter ziemlich genau diesen Vorschlag gemacht und begründet. Der Vorschlag wurde aber von der Öffentlichkeit ferngehalten.
Der Schaden ist nun angerichtet, für die Ukraine, für Europa. Die Wiederaufbaukosten zahlen wir die Europäer! Die Opfer, die Verletzten und deren Angehörige sind die wahren Leidtragenden, während die oberen Herren der Politik sich zu schämen haben dafür, dass sie sich nicht viel früher für friedliche Lösungen eingesetzt haben. Gerade diese Herren leben nun unbekümmert weiter. Die Kriegsherren treiben ein fieses Spiel mit der Gesellschaft leider auch in den Ländern des Westens.
Israel kann seine 1000 km Grenze (22.000 Quadratkilometer Fläche) nicht gegen das Eindringen von Terroristen schützen, aber hat ein ziemlich wirksames Raktenabwehrsystem.
Russland kann aber seine 22 000 km Grenzlänge (davon schon 2000 km Grenze zur Ukraine; Russland hat 17 Millionen Quadratkilometer Gesamtfläche) keinesfalls ausreichend schützen – v.a. gegenüber der NATO nicht. Es ist daher vollumfänglich verständlich, dass Russland die NATO nicht vor der Haustüre haben will, so wie die USA nicht russische oder chinesiche Rakten z.B. in Kuba oder Mexiko möchte. Die Nato ist ja erwiesenermassen ein Angriffsbündnis, so bald es sich im Inneren angegriffen fühlt.
Grundsätzlich sollte meines Erachtens noch immer der Geist der Minsker Abkommen gelten: Eigenständige West-Ukraine und neutrale Rest-Ukraine.
Die Ukraine braucht eine garantierte Neutralität und muss wirtschaftlich zur EU und zu Russland beste Beziehungen unterhalten. In der Krimfrage ist der Zug abgefahren; Putin hat de-facto Chruschtschows Schenkung von 1954 mit dem nachträglichen aber deutlichen Segen der Krimbevölkerung rückabgewickelt. Chr. hatte seinerzeit damit die Absicht, die starke Stellung der ukr. KP zu beschwichtigen und der ukr. SSR Dank für ihren Beitrag im Kampf gegen den Faschismus auszusprechen. Russland schafft durch den schnellen Wiederaufbau, Wirtschaftsaufschwung und Sozialleistungen in den neu angeschlossenen Gebieten des Donbass Arbeitsplätze, Bindung und Gefolgschaft. Da kann die Ukraine nicht mithalten. So wird es letztlich entschieden, wem sich die Volksmeinung dort zuneigt. Solange Russland den Krieg wirtschaftlich und personell verkraftet, wird er weitergehen.
NATO-Mitgliedschaft der Ukraine – das geht ganz und gar nicht für Russland.
Könnte man den USA ein feindliches Militärbündnis an die Grenzen stellen, so – wie gehabt – auf Cuba, oder Mexico, Venezuela oder Kanada?
Wie realitätsfern, geschichtsvergessen sind solche politischen Phantasien?
Wenn ich an Amerika denke, denke ich an den Amerikaner, der konservativ ist und eine Waffe haben will. Diesem Gedanken, den ich voriges Jahr irgendwo gelesen habe, verdanke ich, eindrücklich auf die freimaurerischen Staatssymbole aufmerksam geworden zu sein. Seit Anfang führen die US Kriege. Der Amerikaner ist nur Kriegsknecht. Und die US sind eine Gefahr für die Menschheit.
Deren Imperialismus ist so genial erfolgreich, daß die US 35 Billionen USD Schulden erwirtschaftet haben. Das ist 35 plus 12 Nullen. Die Tilgung mit einer Billion pro Jahr würde bereits 35 Jahre dauern. Jede Variante ist bereits unvorstellbar.