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Ein Plan B für Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland © freepik

Schweizer Vorschlag für Frieden in der Ukraine

Markus Mugglin /  Spitzendiplomat Thomas Greminger skizziert einen Plan B für Friedensverhandlungen und ein Ende des Ukraine-Kriegs.

Was der Schweizer Spitzendiplomat mit «Perspectives for the war in Ukraine» diskret überschreibt, ist mehr als nur eine weitere Publikation zum Krieg, der ganz Europa und darüber hinaus die Welt bewegt. Der Inhalt ist brisant, weil Greminger ausspricht, was viele in Europa nicht auszusprechen wagen: «In Anbetracht des extrem hohen Blutzolls, den der Krieg für die bewaffneten Kräfte, die Wirtschaft und die Gesellschaft auf beiden Seiten fordert, ist eine Einstellung der Feindseligkeiten oder sogar eine Rückkehr an den Verhandlungstisch mit dem Ziel, einen Waffenstillstand zu erreichen, in absehbarer Zeit wahrscheinlicher geworden und sollte ohne weitere Verzögerung ernsthaft in Betracht gezogen werden.»

Der Direktor des Geneva Centre for Security Policy (GCSP) weiss natürlich, dass der Verlauf eines Krieges nie wirklich vorausgesagt werden kann. Das gilt auch für den Krieg in der Ukraine. Noch schätzt der Sicherheitsexperte fünf Szenarien als möglich ein: einen Stillstand, ein Abflauen der Kämpfe oder umgekehrt eine weitere Eskalation, der Sieg einer Kriegspartei oder – fünftens – umgekehrt das Ende des Krieges mit einer Verhandlungslösung.

Als am wahrscheinlichsten stuft Greminger einen «Stillstand» ein, obschon es weder die Ukraine noch Russland eingestehen. Beide täten noch immer so, als ob sie siegen könnten. Die Wirklichkeit sehe aber anders aus. «Beide Seiten konzentrieren sich durch den Bau von Befestigungen und das Verlegen von Minen zunehmend auf die Stärkung der Verteidigungspositionen.» Sie setzten nun auf eine defensive Kriegsführung. Trotzdem setzen weder die Ukraine noch der Westen schon auf Verhandlungen. «Es gibt einen Plan A – und nur einen Plan A – und das ist die Unterstützung für die Ukraine», bekräftigte unlängst EU-Ratspräsident Charles Michel.

Nachdenken über einen Plan B

In der Experten-Community nimmt Thomas Greminger aber vermehrt die Forderung nach einem Plan B wahr. Er verweist auf Richard Haass – einst Berater von Präsident Bush senior und später von Aussenminister Colin Powell – Charles Kupchan und Samuel Charap von der Rand Corporation in den USA. Greminger erwähnt auch den deutschen Oberst a.D. Wolfgang Richter, der im Dezember letzten Jahres eine Exit-Strategie vorgeschlagen hat mit den Zielen, sowohl die Souveränität der Ukraine als auch die Sicherheitsinteressen Russlands gegenüber der NATO zu respektieren.

Ausgangspunkt der neuen Denkweise für einen Plan B ist für Greminger die Entwicklung, «die durch ein krasses Missverhältnis zwischen den Zielen und den verfügbaren Mitteln geprägt ist». Hinzu kommt, dass es für die Ukraine schwieriger wird, die notwendige finanzielle und militärische Unterstützung zur Aufrechterhaltung ihrer Kriegsanstrengungen zu mobilisieren.

Greminger schlägt Verhandlungen parallel auf zwei Ebenen vor: «Auf der einen Ebene würden die Ukraine und Russland ein bilaterales Friedensabkommen aushandeln. Auf einer zweiten Ebene würden die westlichen Staaten einen strategischen Dialog mit Russland über Rüstungskontrolle und die europäische Sicherheitsarchitektur aufnehmen.»

Es ginge um ein breites Spektrum strittiger Themen: «territoriale Fragen, Reparationen, Rechenschaftspflicht für Kriegsverbrechen, Minderheitenrechte, Sanktionserleichterungen und Sicherheitsgarantien». Letztere wären besonders schwierig und zugleich zentral, betont Greminger.

Beidseits Sicherheitsgarantien

Die Ukraine erwarte «verständlicherweise zuverlässigere Garantien als das verletzte Budapester Memorandum von 1994 geboten hatte». Ihre bevorzugte Lösung wären Garantien auf der Grundlage von Artikel 5 des Washingtoner Vertrags. Doch solange Krieg herrsche, sei das ausgeschlossen. Es sei aber auch klar: «Die NATO-Mitgliedschaft würde für Russland nicht akzeptabel sein.»

Statt NATO-Mitgliedschaft und die damit verbundene Beistandspflicht im Falle eines Angriffs gemäss Artikel 5 kann sich Greminger alternativ Pakte zwischen westlichen Staaten und der Ukraine vorstellen, wie sie die G7-Staaten im letzten August angeboten und Grossbritannien, Deutschland und Frankreich jüngst angekündigt haben. Diese Pakte könnten «auch eine Bestimmung enthalten, die mit Artikel 4 des NATO-Vertrags vergleichbar ist, in dem Konsultationen gefordert werden, wenn eine Partei ihre territoriale Unversehrtheit, ihre politische Unabhängigkeit oder ihre Sicherheit als bedroht ansieht».

Würden solche Pakte mit der Absage an eine NATO-Mitgliedschaft und mit gegenseitigen Rüstungskontrollen kombiniert, könnte – so hofft Greminger jedenfalls – auch den Sicherheitsbedenken Russlands Rechnung getragen werden.

Noch sieht es aber nicht nach baldigen Friedensverhandlungen aus. Oder etwa doch? Immerhin hat jüngst selbst der ehemalige Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk, im Wochenmagazin «Der Spiegel» den Wunsch geäussert, dass die Verbündeten seines Landes «diskret in Moskau ausloten könnten, ob echte Kompromissbereitschaft besteht». Ob sich sein Wunsch insbesondere an die Schweiz richtet mit Blick auf den für dieses Frühjahr angekündigten Friedensgipfel?


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Ukraine_Sprachen

Die Ukraine zwischen Ost und West: Jetzt von Russland angegriffen

Die Ukraine wird Opfer geopolitischer Interessen. Die Nato wollte näher an Russland. Seit dem 24.2.2022 führt Russland einen Angriffskrieg.

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9 Meinungen

  • am 2.03.2024 um 11:41 Uhr
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    Zitat: «Es sei aber auch klar: «Die NATO-Mitgliedschaft würde für Russland nicht akzeptabel sein.»

    So, so! Über alle Satzungen der UNO-hinweg, diktiert UNO-Mitglied Russland, Herr Putin, wer NATO-Mitglied werden darf und wer nicht. Souveräne Staaten, die dazu nur den Wunsch äussern, werden zerbombt. Träger anderer Meinung werden eingesperrt oder ermordet.
    Und «Spitzendiplomaten» empfehlen dies nun mit einem «Plan B» korrigieren zu wollen. Vielleicht diesen «Plan B» mal Putin unterbreiten, bevor man ihn in den Medien propagiert. Möglich, das Putins «Plan B» etwas anders aussieht als der in den Köpfen unserer «Spitzendiplpmaten», mit denen Putin trefflich umzugehen versteht. Man erinnere sich an den Besuch des UNO-Generalsekretärs bei Putin. «Hau ab mit deinem «PlanB»!

    • am 3.03.2024 um 21:43 Uhr
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      Tatsache ist einfach, dass in der ukrainischen Verfassung heute noch steht, die Ukraine sei ein neutraler Staat. Ferner verbieten die NATO-Satzungen die Aufnahme von kriegsführenden Ländern. Im Unterschied zu Frau von der Leyen und Co. pocht Russland zu Recht auf die Respektierung dieser Abmachungen unter Europäern. Auch die USA nehmen die NATO-Satzungen ernst, wenn es um ihre Interessen, also einen möglichen Angriff auf ihr Territorium, geht. Geht es hingegen um Europa, spielt es für die USA keine Rolle, ob nach dem Irak und und Afghanistan auch Europa in einen Krieg hineingezogen wird. Wie sagte doch die stellvertretende UA-Aussenministerin Nuland: «Fuck the EU».

  • am 2.03.2024 um 11:42 Uhr
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    Endlich ein vernünftiger Vorschlag! Ich fürchte aber, dass die USA den Krieg vorziehen, weil er Russland und Europa schwächt.

  • am 2.03.2024 um 14:20 Uhr
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    Lieber Markus Mugglin
    Warum soll brisant sein, was Greminger ausspricht, und warum sollen das viele in Europa nicht auszusprechen wagen?
    «In Anbetracht des extrem hohen Blutzolls, den der Krieg für die bewaffneten Kräfte, die Wirtschaft und die Gesellschaft auf beiden Seiten fordert, ist eine Einstellung der Feindseligkeiten oder sogar eine Rückkehr an den Verhandlungstisch mit dem Ziel, einen Waffenstillstand zu erreichen, in absehbarer Zeit wahrscheinlicher geworden und sollte ohne weitere Verzögerung ernsthaft in Betracht gezogen werden.»
    Dieser Text stammt vom Januar 2024, aber im „Echo der Zeit“-Interview mit Th. Greminger vom 8.2.2024 (SRFnews vom 10.2.2024) äussert er sich viel skeptischer und realistischer.
    Wie erklärt sich dieser Widerspruch?

    • am 3.03.2024 um 09:32 Uhr
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      Sehr guter Vorschlag ! Ca. 1990 hat Russland Deutschland die DDR geschenkt und hat sich unter der Voraussetzung, dass sich die Nato nicht weiter gegen Osten ausweitet zurückgezogen… was geschah? Rumänien, Ungarn Polen,Tschechien, die Baltischen Staaten wurden aufgenommen…Diese Staaten aufzunehmen war ein Fehler ! Dass in der Ukraine etwa 50% der Bevölkerung zu Russland gehören möchte wird im Westen vollkommen ausgeblendet, denn etwas do viele sprechen russisch ! Übrigens reden die meisten ukrainischen Flüchtlinge in der Schweiz russisch…übrigens..,die Sprache, die von Zelensky verboten zu gebrauchen ist… Auch dass Zelensky die eigene russischsprachige Bevölkerung seit 2014 systematisch mit Artillerie bombardiert hat, wollen hier viele gar nicht wissen ! Darum Friedensverhandlungen lieber schon gestern, bevor es ganz zu spät ist !

  • am 2.03.2024 um 15:09 Uhr
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    Das Klügstre was zu diesem Konflikt gedacht und geschrieben wurde. Der Weg aus dem Konflikt …

  • am 2.03.2024 um 20:03 Uhr
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    So lange die Herren in Kiev erwarten dass Russland die mit hohem Blutzoll erkämpften Gebiete bedingungslos azurückgibt, wird kein Friede möglich sein. Es müsste jedermann klar sein, dass eine solche Zusage allzu grosse Oppositionen in Russland mobilisieren würde. Kein Staatschef würde auf eine solche Bedingung eingehen, so lange er nicht auf dem Schlachtfeld geschlagen ist, was aber nicht der Fall ist. Im Gegenteil, seit der Einnahme von Avdiivka hat die russische Armee an Momentum gewonnen.

  • am 2.03.2024 um 21:54 Uhr
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    Wenn man ehrlich ist, wird man erkennen, dass es keine Sieger geben wird. Warum also nicht beide zum Verlierer erklären?
    Russland zieht sich in das Gebiet vor 2014 zurück und die Ukraine erhält die durch Russland annektierten Gebiete nicht zurück. Stattdessen erklärt man dieses Gebiet als neutrale Zone die weder Russland noch Ukraine noch die USA noch die NATO etwas zu melden haben. Ein unbewaffneter Staat als Pufferzone, beide Staaten verpflichten sich in einem Nichtangriffspakt und Aufbauhilfe zu geleichen Teilen.

  • am 3.03.2024 um 14:37 Uhr
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    «Es gibt einen Plan A – und nur einen Plan A – und das ist die Unterstützung für die Ukraine», bekräftigte unlängst EU-Ratspräsident Charles Michel. Die EU ist Kriegspartei. Sie verteidigt ihre „Werte“. Was auch immer sie unter „Werten“ versteht.
    „Stillstand“ würde die Zementierung eines neuen Kalten Krieges bedeuten. Das heisst, man richtet sich für die nächsten Jahrzehnte wieder genüsslich in den altgewohnten Feindbildern ein.

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