Wölfe gegen die Hirsch-Plage: Wallis zensuriert
«Die Schweizerische Gebirgswaldpflegegruppe (GWG) begrüsst die natürliche Rückkehr des Wolfes in die Schweiz.» So steht es in einem unveröffentlichten, internen Arbeitspapier der GWG, welche ein Zusammenschluss von Gebirgswaldfachleuten ist, insbesondere der Forstdienste aller Alpenkantone. Das allein ist noch nichts Besonderes. Brisant daran ist, dass der GWG-Präsident Roland Métral heisst und Chef des Forstkreises Unterwallis ist. Bekanntlich gilt der Wolf im Wallis als Staatsfeind Nummer eins, der besser heute als morgen abgeschossen werden müsste. Métral bewegt sich also auf gefährlichem Terrain. Neben Métral ist ein weiterer Walliser GWG-Mitglied, nämlich Philipp Gerold, Ingenieur Waldbewirtschaftung beim Forstkreis Oberwallis.
Kritische Waldzustände und teure Massnahmen
Im GWG-Papier wird die positive Haltung gegenüber dem Wolf wie folgt begründet: «Die GWG betrachtet den Einfluss des Wolfes auf die Schalenwildarten als erwünschten Beitrag zur Regulierung der Wildbestände.» Denn laut GWG führen die hohen Wildbestände im Gebirge dazu, dass die Verjüngung des Waldes nicht mehr im «erforderlichen Umfang» sichergestellt werden kann. Die Folge seien «kritische Waldzustände und teure Massnahmen zur Wildschadenverhütung oder im Extremfall sogar bauliche Massnahmen zum Schutz vor Naturgefahren. Durch ausbleibende oder verzögerte Verjüngung wird die nachhaltige Erfüllung der Waldfunktionen gefährdet.» Klare Worte, die aber in der Walliser Öffentlichkeit bisher völlig unbekannt geblieben sind. Haben die Verantwortlichen im Kanton Wallis dem GWG-Präsidenten Métral also einen Maulkorb verpasst? Dazu Markus Hürlimann von der GWG: «Ich weiss es nicht. Aber es ist sehr gut vorstellbar.»
Und wieso hat die GWG den Inhalt des Arbeitspapiers nirgends veröffentlicht? Laut GWG-Sekretär Raphael Schwitter befasst sich die GWG «vor allem mit der Weiterentwicklung von Grundlagen für die Gebirgs- und Schutzwaldpflege und der Weiterbildung» und «weniger mit Politik und Öffentlichkeitsarbeit». Das überlasse man der Kantonsoberförsterkonferenz oder dem Schweizerischen Forstverein, dessen Papier zu Luchs und Wolf der Meinung der GWG entspreche.
Forstverein: «Luchs und Wolf sind willkommen»
Auf der Homepage des Schweizerischen Forstvereins, in dem 900 ausgewiesene Waldfachleute Mitglied sind, findet man das Positionspapier «Luchs und Wolf sind willkommen». Darin wird betont, dass Luchs und Wolf «zum Gleichgewicht zwischen Wald und Wild einen wichtigen Beitrag leisten. Dies ist im besonderen Masse für Schutzwälder in höheren Lagen von Bedeutung.» Die fehlende Waldverjüngung durch Verbissschäden des Wildes kann laut Forstverein zu «einer Verminderung der Schutzleistung» führen und folglich zu «einer grössere Gefährdung der Bevölkerung durch Lawinen, Steinschlag und Murgänge». Im Klartext: Der Wolf kann einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit der Bevölkerung liefern und hilft Kosten sparen. Im Vorstand des Forstvereins sitzt ein weiterer Chefbeamter aus dem wolfsfeindlichen Wallis, nämlich Jean-Christophe Clivaz, Chef des Forstkreises Mittelwallis.
Hirschbestand hat sich in 20 Jahren mehr als verdoppelt
Die beiden Chefs der Forstkreise Mittel- und Unterwallis, Clivaz und Métral, sind Angestellte der kantonalen Dienststelle für Wald und Landschaft (DWL), deren Chef Olivier Guex neulich zu Beginn der Walliser Jagd die «wichtige Rolle» der Jäger für die «Erneuerung der Schutzwälder» betonte. Dabei verwies er auf den neuen Höchststand der Hirsche und die drohende Gefahr für die Verjüngung des Waldes. Und der zuständige Staatsrat Jacques Melly (CVP) flehte die Jäger an, «in den kommenden fünfzehn Tagen eine entscheidende Rolle» zu spielen, «indem sie das durch die Dienststelle für Jagd gesetzte Ziel mit dem Abschuss von 1800 Tieren erreichen». Ein schwer erreichbares Ziel, wie die Statistik der vergangenen Jahre zeigt.
Jahr für Jahr präsentiert sich nämlich bei der Abschussquote dasselbe Bild: Die geforderte Abschusszahl wird selten erreicht und muss durch Zusatzabschüsse erhöht werden. Im letzten Jahr beispielsweise hätten die Walliser Jäger laut Vorgabe des Kantons 1714 Hirsche schiessen sollen. Effektiv wurden aber nur 1351 erlegt. Und auch mit den Zusatzabschüssen von 159 wurde das Plansoll um 200 unterschritten. Tatsächlich sind die Walliser Jäger seit Jahren nicht mehr im Stande, der stets steigenden Hirschpopulation wirksam Einhalt zu gebieten. In den letzten 20 Jahren hat sich der Hirschbestand von 2 810 auf heute 5 800 mehr als verdoppelt.
Der hohe Hirschbestand führt zu Verbissschäden und behindert die Verjüngung der Schutzwälder. Der Bund leistet jährlich Millionensubventionen für die Schutzwalderhaltung und für Lawinenverbauungen. Beispielsweise subventionierte der Bund von 2008 bis 2012 die Schutzwaldpflege im Wallis mit 40 Millionen Franken. Der Kanton zahlte 44 Millionen und die Gemeinden weitere 16 Millionen. Insgesamt wurden in vier Jahren also 100 Millionen Franken investiert.
«Rein theoretische Betrachtung»
Die Argumentation der Dienststelle für Wald und Landschaft deckt sich weitgehend mit jener des Forstvereins und der Gebirgswaldpflegegruppe, mit einer Ausnahme: Der Rolle des Wolfes für die Regulation des Wildes und folglich für die Verjüngung des Schutzwaldes. Da schweigt sich die Dienststelle für Wald und Landschaft aus. Auf Anfrage von Infosperber bezeichnet DWL-Chef Guex «die Rolle des Wolfes als Regulationsfaktor als theoretischen Ansatz, der diskussionswürdig ist.» Diese «rein theoretische Betrachtung» stosse aber «in der Praxis auf klare Grenzen». Guex führt dafür folgende Gründe an:
- «Insbesondere fehlen momentan noch praktische Erfahrungswerte im Zusammenhang mit Rudeln in dicht besiedelten, touristisch und landwirtschaftlich stark genutzten Gebieten, wie dies im Kanton Wallis der Fall ist.
- Erste noch nicht abgesicherte Erfahrungen zeigen auch, dass die durch die Wolfspräsenz verursachte Störung bei den Wildtieren zu Verhaltensänderungen führt, welche die Bejagung der Wildtiere und damit die Wirksamkeit der Jagd beeinträchtigen können.
- Wolfspräsenz kann auch zu unerwünschten Rotwildkonzentrationen (Angstrudeln) führen und damit die Schadensproblematik in Schutzwäldern noch verschärfen.
- Weitere negative Auswirkungen der Wolfspräsenz zum Beispiel durch die Herdenschutzhunde im Bereich des Wandertourismus sind bei weitem noch nicht gelöst. Auch die für einen umfassenden Herdenschutz erforderlichen Mittel werden zurzeit vom Bund nur beschränkt zur Verfügung gestellt.
- Wildschäden im Wald sind im Kanton lokale Probleme in einzelnen Regionen und kein allgemeiner flächendeckender Zustand. Der Wolf als Regulator ist nicht lenk- und planbar. Damit der Wolf zur Lösung dieser lokalen Probleme beitragen könnte, bräuchte es eine Anzahl von Wölfen, welche mit Sicherheit weit oberhalb der sozial verträglichen Dichte liegen würde.»
Kantonale Wolfsstudie wurde sistiert
In der Stellungnahme von Guex kommt die bekannte, abwehrende Haltung des Kantons Wallis zum Ausdruck. Unbestritten ist einzig die Forderung nach mehr Wissen über die Auswirkungen des Wolfs. Erstaunlicherweise übt sich dabei der Kanton Wallis in grosser Zurückhaltung. Der Walliser Staatsrat hat zwar bereits im November 2009 beschlossen, eine Studie über «die Auswirkungen der Rückkehr des Wolfs in unseren Kanton» in Auftrag zu geben.
Daraus ist offensichtlich nichts geworden. Wie Guex gegenüber Infosperber erklärt, hat der Staatsrat die Studie sistiert, weil der Bund zusammen mit dem Kanton eine Studie über die Auswirkungen des Wolfes auf die Landwirtschaft erarbeitet. Unter den Tisch fallen also die geforderten Abklärungen über die Auswirkungen auf die Gebirgswaldpflege, aber auch auf den Tourismus. Da will man lieber keine Antworten auf die gestellten Fragen.
Politische Signale kamen von oberster Instanz
Der Umgang mit dem Wolf im Wallis ist verfahren, weil der Abwehrkampf von den führenden CVP-und SVP-Politikern populistisch geführt wurde, im Hinblick auf Wählerstimmen. Allen voran der ehemalige CVP-Staatsrat und heutige Ständerat Jean-René Fournier, der vor zwei Jahren zu einer bedingten Strafe verurteilt wurde, weil er den Abschuss eines Wolfes bewilligte, den er medienwirksam ausstopfen liess und in seinem Büro zur Schau stellte. Sozusagen als Symbol für die negative Haltung des Kantons gegenüber dem Wolf und die jahrelange Obstruktion gegen den Herdenschutz der Schafe. Solche politischen Signale von oberster Instanz nahmen die meisten Schafbauern gerne auf. Unterstützt auch von regionalen CVP-Politikern wie dem Gommer Präfekten Herbert Volken, der in der Boulvardpresse zum Abschuss des Wolfes aufrief.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Autor des Buches «Tal des Schweigens: Walliser Geschichten über Parteifilz, Kirche, Medien und Justiz»
Tja, das Wallis scheint doch immer noch eine Art Königreich, respektive Herzogtum oder Oligarchie einiger einflussreicher Persönlichkeiten und Interessenvertreter zu sein.
Gut geschrieben, Herr Marti.
Leider lässt sich der Beitrag nicht drucken. Der entsprechende Versuch endet mit zwei leeren Seiten. Hat evtl. eine Walliser Zensurbehörde infosperber gehackt? 😉