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Mit dem Ausbau der Strassen werden Staus nicht kürzer – nur breiter © epSos/Flickr/CC

Wie die Strassenlobby die Staatskasse melkt

Hanspeter Guggenbühl /  Mehr Geld aus der Bundeskasse will das Parlament auf die Strasse werfen. Auch Linke stützen die halbe Milchkuh-Vorlage.

Wer die verschlungenen Wege erkunden will, auf denen Steuergeld in die Schweizer Strassen fliesst, muss grosse Buchstaben entziffern. Da gibt es die SFSV, die «Spezialfinanzierung Strassenverkehr». Die SFSV speist bislang den IF, ausgeschrieben «Infrastruktur-Fonds». Der befristete IF wiederum soll, wenn sich der Wille von Bundesrat und Parlaments-Mehrheit erfüllt, abgelöst werden durch den unbefristeten NAF. Der NAF ist der «Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds»; darüber stimmen wir am 12. Februar ab.
Gespeist wird der NAF aus dem SFSV-Topf sowie zusätzlich mit 650 Millionen Franken, die bisher in die Bundeskasse flossen. Ein Teil der Spezialfinanzierung Strassenverkehr soll aber weiterleben unter dem Kürzel SFSV NEU. Und weil das alles – gewollt oder ungewollt – etwas schwer durchschaubar ist, ersetzen wir die verwirrlichen Abkürzungen in der Folge mit dem zutreffenden Begriff «Strassengeld».
Wie sich die Verkehrsspirale dreht
Zweckgebundenes Strassengeld, geäufnet aus Mineralölsteuern, gibt es in der Schweiz seit Beginn der Autobahnplanung. Die Mineralölsteuern bestehen heute aus zwei Teilen: Aus der Grundsteuer, die zur Hälfte, und aus dem Steuerzuschlag, der vollständig in die Strassenfinanzierung fliesst.
Diese Zweckbindung schmiert seit Jahrzehnten eine unselige Mobilitätsspirale: Mehr Strassen bringen mehr Verkehr, mehr Verkehr braucht mehr Treibstoff und bringt mehr Mineralölsteuern, mehr zweckgebundene Steuern ermöglichen mehr Strassen, mehr Strassen bringen mehr Verkehr, etc. Das Resultat dieser Entwicklung zeigt die Statistik: Seit 1960 hat sich der motorisierte Strassenverkehr in der Schweiz mehr als verfünffacht. Trotz vier bis sechsspurigen Autobahnen sind die Staus aber nicht kürzer, nur breiter geworden.
Linke und Grüne, denen die Natur näher stand als der motorisierte Verkehr, stemmten sich dieser Verkehrsspirale einst beherzt entgegen. Sie kämpften gegen Autobahnen oder Teile davon, verlangten Demokratie im Nationalstrassenbau, wollten die Zweckbindung der Treibstoffsteuern abschaffen und stattdessen einen Öko-Bonus einführen – alles ohne Erfolg.
Auf der andern Seite möchten Auto- und Baulobby noch mehr Geld in Strassen betonieren. Dazu forderten sie eine Ausweitung der Zweckbindung, zuletzt mit ihrer «Milchkuh-Initiative» (siehe dazu auf Infosperber «Milchkühe kosten mehr als sie zahlen»). Diese sah vor, jene 50 Prozent der Einnahmen aus der Mineralöl-Grundsteuer, die bislang in die Bundeskasse fliessen, ebenfalls zweckgebunden für den Bau und Unterhalt von Strassen zu verwenden. Das hätte zusätzlich 1,5 Milliarden Franken pro Jahr in den Strassentopf gespült. Doch das Volk lehnte diese Initiative letzten Juni deutlich ab.
Mehr Bundesgeld für Strassen 
Die «Milchkuh-Initiative» diente auch als Druckmittel für den neuen Verkehrsfonds NAF, über den Regierung und Ständerat bereits vor dem Volks-Nein berieten. Das zeigt der Werdegang der Vorlage. Mit dem NAF wollte schon der Bundesrat die Finanzierung der Nationalstrassen nicht nur neu regeln, sondern zusätzliches Geld aus Bundessteuern unbefristet und ohne Rücksicht auf Schuldenbremsen und andere Schranken in die Strassen pumpen. Konkret beantragte er folgende Änderungen:

  • Der Zuschlag auf der Mineralölsteuer soll um 6 auf 36 Rappen pro Liter Treibstoff erhöht und der Ertrag weiterhin vollständig, aber neu via NAF, für die Finanzierung der Nationalstrassen verwendet werden. Ursprünglich plante der Bundesrat eine Erhöhung um 12 bis 15 Rappen pro Liter Sprit, beugte sich dann aber dem Widerstand von Autolobby und bürgerlichen Parteien. 
  • Der gesamte Ertrag der Importsteuer auf Automobilen, der heute in die Bundeskasse fliesst, soll neu zweckgebunden in den NAF geleitet werden.
  • Auf Elektrofahrzeugen, die von den Mineralölsteuern verschont bleiben, soll neu eine Abgabe erhoben und ebenfalls zweckgebunden in den NAF fliessen.
  • Der Ertrag aus der Autobahnvignette plus 50 Prozent des Ertrags aus der Mineralöl-Grundsteuer bleiben ebenfalls für die Strassenfinanzierung reserviert. Die Mineralölsteuer fliesst aber nicht in den NAF, sondern bleibt im SFSV-Fonds. Mit diesem Fonds will der Bundesrat weiterhin die Bundesbeiträge an Kantonsstrassen und weitere Aufgaben finanzieren.

«Halbe Milchkuh-Initiative»
Im Lauf der Beratungen erfüllten die bürgerlichen Mehrheiten im National- und Ständerat  zusätzliche Wünsche der Auto- und Strassenbaulobby: Sie entlasteten die Automobilistinnen und Automobilisten, indem sie den Mineralölsteuer-Zuschlag nur um 4 statt 6 Rappen pro Liter erhöhten. Als Kompensation vergrösserten sie den Anteil  der Mineralöl-Grundsteuer, der für die Strassenfinanzierung verwendet werden muss, von 50 auf 60 Prozent; entsprechend weniger Geld bleibt damit für andere Aufgaben des Bundes übrig. Zudem machte das Parlament 400 Kilometer Kantons- zu Nationalstrassen, was deren Finanzierung und Ausbau ebenfalls erleichtert.
Was diese Änderungen bewirken, rechnete SP-Vertreter Paul Rechsteiner in der Eintretensdebatte im Ständerat vor: «Ging es nach der Vernehmlassungs-Vorlage noch darum, 270 Millionen Franken pro Jahr vom Bund in die Strassenkasse umzuleiten, so waren es nach der bundesrätlichen Botschaft schon 400 Millionen Franken. Jetzt sind es 700 Millionen Franken, und das ohne jede Rücksicht auf kommende Einkommensverluste, beispielsweise aus der Reform der Unternehmensbesteuerung», kritisierte Rechsteiner.
650 Millionen betrage die «Umwidmung von der Bundeskasse in die Strassenfinanzierung», präzisierte darauf CVP-Ständerat Konrad Graber. Dazu aber kommen noch 110 Millionen pro Jahr aus der neuen Abgabe für Elektrofahrzeuge. «Das gibt dann insgesamt 760 Millionen Franken», folgerte Graber, «oder eine halbe Milchkuh-Initiative». Als «unverantwortlich» bezeichnete der Grünliberale Jürg Grossen später im Nationalrat  diese Umverteilung zu Gunsten der Strassenkasse, nachdem das Stimmvolk die «Milchkuh-Initiative» bereits abgelehnt hatte. Und die SP-Nationalrätin und VCS-Präsidentin Evi Allemann stellte klar: «Für uns ist das ein No-go.»
Bleibt die Frage, was die halbe Milchkuh anrichtet respektive wie das Strassengeld des Bundes künftig verteilt wird. Von den rund 1,5 Milliarden Franken pro Jahr, die in der Spezialfinanzierung Strassenverkehr bleiben, wird weiterhin der Grossteil für Bundesbeiträge an Kantonsstrassen und weitere Verkehrsanlagen verwendet. Die rund 3,1 Milliarden Franken (Preisstand 2014), die jährlich in den neuen NAF fliessen, will der Bundesrat laut seiner Botschaft wie folgt verteilen (Mittelwerte in den nächsten 22 Jahren):

  • 1,8 bis 2,0 Milliarden Franken pro Jahr sollen für den Betrieb, Unterhalt und die Sanierungen von bestehenden und neuen Nationalstrassen verwendet werden. In die Kategorie «Sanierung» fällt auch die zweite Strassenröhre durch den Gotthard. 
  • 0,8 bis 1,0 Milliarden pro Jahr, Tendenz steigend, will der Bund in den Ausbau der Nationalstrassen-Kapazität investieren. Dazu gehört die Vollendung des bereits beschlossenen Nationalstrassennetzes und – unter dem Titel «Engpassbeseitigung» – der Ausbau diverser Autobahnteilstücke auf sechs bis acht Spuren. In diese Kategorie fallen die Nordumfahrung von Zürich, der Rheintunnel in Basel sowie viele Teile der A1 zwischen St. Gallen und Genf. Ausserdem sieht das «Programm bis 2040 zwei neue Nationalstrassen vor, nämlich die Glatttal-Autobahn im Raum Zürich sowie die Umfahrung von Morges im Kanton Waadt. 
  • 0,3 bis 0,4 Milliarden pro Jahr, Tendenz sinkend, sind für Beiträge an Strassenverkehrs-Projekte in den Agglomerationen vorgesehen. Mit diesen sogenannten Agglomerations-Programmen rechtfertigen Städteverband und Stadtregierungen ihr Ja zur NAF-Vorlage. Doch diese Verkehrsprojekte können bis 2027 wie bisher weiterhin mit dem bestehenden Infrastruktur-Fonds finanziert werden, falls das Volk den NAF ablehnt. Die Ja-Parole von linksgrünen, strassenkritischen Stadtregierungen ist darum schwer verständlich.

Die Addition der obigen Zahlen zeigt, dass die künftigen Ausgaben etwas höher sind als die neuen zweckgebundenen Einnahmen. Zudem dürfte die Teuerung die auf dem Preisstand 2014 berechneten Ausgaben erhöhen. Eine weitere Erhöhung der Strassengelder ist damit bereits absehbar.
Lauer rotgrüner Widerstand
Erstaunlicherweise gibt es wenig Widerstand gegen diese stärkere Strassenförderungs-Politik. Der Verkehrsclub der Schweiz sowie die Parteien SP und Grüne empfehlen zwar die Nein-Parole. «Doch weder bei den Grünen noch bei der SP fliesst viel Herzblut oder gar Geld in die Nein-Kampagne», analysierte der «Blick» und hat hier wohl Recht. Denn die NAF-Vorlage steht in der Abstimmung vom 12. Februar im Schatten der Unternehmenssteuerreform.
Schon im Parlament bröckelte die linksgrüne Opposition: Im Nationalrat lehnten die Fraktionen von SP und Grünen die Vorlage noch mehrheitlich (48 von 55 Mitgliedern) ab. Im Ständerat hingegen stimmte einzig SP-Mann Christian Levrat dagegen. Auf die Frage, warum sie der NAF-Vorlage in der Schlussabstimmung zustimmten, obwohl sie die Aufstockung der Strassengelder in der Eintretensdebatte hart kritisierten, antworteten GLP-Nationalrat Jürg Grossen und SP-Ständerat Paul Rechsteiner, der seine Funktion als St. Galler Standesvertreter betont, weitgehend übereinstimmend: Die sichere Finanzierung der Nationalstrassen und Agglomerationsprogramme aus einem Topf habe als Vorteil überwogen gegenüber der Umverteilung von zusätzlichem Geld aus der Bundes- in die Strassenkasse. Das markiert einen Paradigmawechsel in der Verkehrspolitik: Linke und Grüne stellen die Zweckbindung von Strassengeld nicht mehr grundsätzlich in Frage, seit der Bund mit dem Bahninfrastruktur-Fonds (BIF) einen ähnlichen Finanzierungs-Automatismus für den Schienenverkehr einführte. 
Allerdings wollen sich Rechsteiner und Grossen im Abstimmungskampf nicht aktiv für den NAF einsetzen. Anders halten es die SP-Ständeräte Hans Stöckli und Claude Janiak. Beide sitzen im Abstimmungskomitee «Ja zum NAF», das von der Strassenlobby dominiert wird. Ausserhalb dieses bürgerlichen Komitees werben auch der Neuenburger SP-Ständerat Roger Berberat und der Grüne Nationalrat Daniel Brélaz für ein Ja. Bei Claude Janiak deckt sich das politische Bekenntnis auch mit dem persönlichen Verhalten: «Ich bin», so bekannte er im Ständerat, «einer, der gerne und oft Auto fährt.»

Dieser Artikel ist zuerst in der Wochenzeitung WOZ erschienen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

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Auto oder Bahn: Wer zahlt Defizite?

Wer subventioniert wen und wieviel? Kann oder soll man Pendler zur Kasse bitten?

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4 Meinungen

  • am 11.01.2017 um 12:03 Uhr
    Permalink

    Vielen Dank für diese prägnante Stellungnahme! Ja, diesmal spricht Infosperber wieder einmal Klartext, im besten Sinne des Wortes. Wir befinden uns längst in einem «Circulus Vitiosus», einem sog. Teufelskreis, aus dem wir nicht mehr herauskommen. Bundesrat und viele Bundespolitiker sprechen dem ungebremsten Wachstum das Wort, ohne einzusehen, dass wir nur über beschränkte Ressourcen verfügen, nicht nur in der Bundeskasse. Mit einem «Buebetrickli» werden immer wieder separate Kässeli geäufnet, zweckgebundene Bundesausgaben, welche nicht mehr zurückgestutzt werden können. Und schliesslich fehlt das Geld im Bundesbudget für Ausgaben, welche dringend notwendig wären oder welche seit Jahren vernachlässigt wurden.

  • am 11.01.2017 um 16:25 Uhr
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    Wer an den Klimaschutz denkt und die damit verbundene Notwendigkeit, den Treibstoffverbrauch massiv zu reduzieren, kann eigentlich nur ein Nein zur NAF in die Urne legen.

  • am 12.01.2017 um 06:03 Uhr
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    NAF NEIN: Kapazitätsausbau der Verkehrsanlagen erleichtert Mobilität und Zuwanderung

    Die auf die bestehenden und die zu erwartenden Kapazitätsengpässe gestützten Ausbaubegehren bei den Nationalstrassen und der Bahninfrastruktur sind die Quittung für das ungehinderte Mobilitätswachstum in der Schweiz. Dieses wird verursacht durch die wegen der Personenfreizügigkeit übergrosse Zuwanderung, die zu tiefen Mobilitätskosten und den hohen Wohlstand in der Schweiz. Soll jetzt die stringente Zuweisung der Mittel aus der Strassenkasse in den Strassenbau dazu dienen, dieses Mobilitätswachstum via Kapazitätsausbau der Strassen noch anzukurbeln und die Zuwanderung noch mehr zu erleichtern?

  • am 12.01.2017 um 12:19 Uhr
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    Besonders tückisch und listig finde ich Fonds zur Kummulation und Distribution von Kapital für staatliche Projekte.
    Fonds sind lediglich eines von vielen Systemen sich um progressive Steuern drücken zu können.
    Fonds sind Wegzölle, Brückenzölle was aich immer die inhärent jeden Benutzer ohne Rücksicnt auf die Einkommens und Vermögensverhältnisse zu Abgaben zwingen.
    Wichtig ist, sich die Kontrolle über diese Fonds via Lobbying, Ideologie zu sichern um die Ausgaben steuern und lenken zu können.
    Fonds verteilen diese Einnahmen in der Regel vorbei an demokratischen transparenten partizipativen Gepflogenheiten und agieren eher im geheimen unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
    Die derart bei allen einkassierten Wegzölle werden durch die Vergabe staatlichen, aber eben nicht zwingend demokratisch transparenten, Aufträgen umverteilt. Die daraus erarbeiteten Profite enden zum Schluss in den Händen einiger weniger Anteilseigner.
    Diese Anteilseigener sind wiederum von fiskalischen Belastungen befreit und können frei von jeglicher sozialer demokratischer Verbindlichkeit tun was grad passt.
    Auf der anderen Seite wird der Staat, das Gemeinwesen, unser Zusammenleben die Sozial- und Rentensysteme systematisch durch Sparmassnahmen zerstört.
    In diesem Beispiel ist die erhöhung des Wegzolles via eine Einheit Treibstoff um -.36 eine versteckte Kopfsteuer.
    Auch das typisch neoliberale Vorstellungen von Gerechtigkeit und eine völlige Abkehr vom einstigen «nach Ökonomischer Leistungsfähigkeit».

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