Wie bei Facebook über Politik diskutiert wird
Im November 2009 hat das Schweizer Volk der Minarett-Initiative überraschend deutlich zugestimmt. Es war ein Lehrstück, wie weit der öffentliche Diskurs in den Medien von der Meinung in der Bevölkerung abweichen kann. Hätten Politiker und Journalisten die vielen zustimmenden Lesermeinungen in Online-Medien ernster genommen, wäre das Ja zur Initiative nicht eine derart grosse Überraschung gewesen. Und weil der virtuelle Raum immer zentraler wird für den politischen Diskurs, wird er jetzt endlich auch Gegenstand von wissenschaftlichen Untersuchungen.
Auch in der Social-Media-Plattform Facebook war die Initiative in den Wochen vor der Abstimmung ein zentrales Thema. Die Kommunikationswissenschaftlerin Lotte Nordhus hat für eine Sonderausgabe der Fachpublikation «kommunikation@gesellschaft» am Beispiel der Minarett-Initiative jetzt erstmals den Einfluss von Facebook auf den politischen Diskurs untersucht. Ihr Hauptfazit: Zwar findet «durch die Diskussionen in den Gruppen auf Facebook ein Austausch zwischen Gegnern und Befürwortern der Minarett-Initiative statt, dieser führt jedoch nicht zu einer Annäherung, sondern zu einer Verhärtung der Fronten».
Gleich und gleich gesellt sich gern
Damit bestätigt Nordhus erstmals an einem Beispiel aus der Schweizer Politik, was Kommunikationswissenschaftler seit langem befürchten: Social Media führen zu regelrechten Meinungsblasen, in denen sich Gleichgesinnte in ihrer Meinung bestätigen. Abweichende Äusserungen werden von der Masse niedergewalzt. «Der Fall des Minarett-Streits zeigt, dass sich bei Facebook Gleichgesinnte treffen, die über ein Thema diskutieren wollen und die sich wieder mit Gleichen mobilisieren», so die Wissenschaftlerin, die zwei Facebook-Gruppen untersucht hat: die Gruppe Gruppe «Schweiz ohne Minarett», die zum Untersuchungszeitpunkt 9078 Mitglieder hatte, und die Gruppe «Nein zur Minarett-Initiative/Non a L‘Initiative Anti-Minarets» mit 7416 Mitgliedern.
Ein besonders Augenmerk richtete Nordhus in ihrer Studie auf den Angst-Aspekt der Initiative, die sich gegen Fremdes richtete. In der analogen Wirklichkeit stimmten Regionen mit einem hohen Anteil Muslime gegen die Initiative. «Diese Tatsache legt nahe, dass bei einer besseren Kenntnis des Fremden die damit verbundenen Ängste und Bedrohungsgefühle zurückgehen», sagt Nordhus. Anders jedoch im Internet: Die Online-Diskussionen dienten vor allem der Bildung von Vorurteilen. «Die Initiative ist auf Facebook von Teilen der Mehrheitsgesellschaft zum Anlass genommen worden, um sich als Wir-Gruppe zu definieren und auf ein Islambild zu verständigen. Auf die als störend empfundenen Symbole bewusster Fremdheit folgt eine Interpretation der Fremden, die durch subjektive Vorbehalte und stereotype Vorstellungen geprägt ist», lautet eine zentrale Konklusion der Studie.
Das Ergebnis lässt das zugespitzte Fazit zu, dass Social Media-Plattformen dem demokratischen Prozess nicht nur gute Dienste leisten, sondern diesen Prozess in Meinungs-Bubbles auch verflachen können.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Frage an den Autor: Können Sie bitte die Überlegungen erläutern, die zu Ihrem Fazit führen?
Die Studie hat die Frage untersucht, wie die Meinungsbildung innerhalb von zwei FB-Gruppen verläuft und festgestellt, dass sich die Fronten verhärten.
Diese Feststellung hat aber doch nichts damit zu tun, wie sich ein FB-Benutzer verhält und wie sie ihre persönliche Meinung bildet. Denn Personen, welche mit einer Gruppe nicht einverstanden sind, werden diese verlassen oder nichts mehr dazu beitragen.
Wie also kommen Sie zum Fazit, «dass Social Media-Plattformen dem demokratischen Prozess nicht nur gute Dienste leisten, sondern diesen Prozess in Meinungs-Bubbles auch verflachen können»?
Lieber Herr Fülscher, danke für Ihre Frage. Wenn sich die Fronten verhärten im Austausch von Befürwortern wie Gegnern im jeweils anderen Forum (was es in beiden Gruppen gab) oder Meinungen von Gleichgesinnten nur zur Verhärtung der eigenen Meinung dient, dann verflacht dies den demokratischen Prozess, der auf Verständnis für die andere Position und Dialog bedingt. Ich habe jedoch bewusst geschrieben «nicht nur gute Dienste leisten", weil ein gewisser Teil Selbstbestätigung natürlich auch zu ebendiesem Prozess gehört.