Suffizienz_Wohnen1

Suffizienz beim Wohnen: 8000 m2 Haus Familie Siegel, USA (links), 4m2 Chu 200, Architekt Hagai Nager © Stadt Zürich/Amt für Hochbauten

Wer Mass hält, spart mehr Energie

Hanspeter Guggenbühl /  Der Lebensstil kann den Energieverbrauch ebenso stark beeinflussen wie die Technik. Das belegt eine Studie zum Thema «Suffizienz».

Wirtschaft, Wohnfläche und Verkehr in der Schweiz werden ungebremst weiter wachsen; dies sowohl insgesamt als auch pro Kopf der Bevölkerung. Das setzt der Bundesrat in seiner «Energiestrategie 2050» voraus. Die angestrebte Reduktion des Energieverbrauchs will er allein mit effizienterer Technik erreichen. Dazu gehören etwa energetische Gebäudesanierungen, die der Bund subventioniert, oder strenge Energieverbrauchs-Normen für neue Elektrogeräte, Anlagen und Fahrzeuge. Suffizienz hingegen, also die Begrenzung der Menge durch menschliches Verhalten, schliessen die Verfasser der nationalen Energieperspektiven in allen Szenarien aus: «Solange technologische Optionen zur Verfügung stehen», so begründen sie, «werden Suffizienzstrategien als nicht akzeptabel angesehen».

Mit dieser Ausgrenzung lässt der Bundesrat ein riesiges Potenzial brach liegen. Denn wer die Menge begrenzt, also weniger oder effektiver konsumiert, kann den Energieverbrauch von Gebäuden und Verkehr ähnlich und zum Teil sogar stärker beeinflussen, als technische Massnahmen es vermögen. Das belegen Informationen, die kürzlich an einer Tagung unter dem Titel «Qualität durch Mässigung – Suffizienz im bebauten Raum» präsentiert wurden.

Suffizienz halbiert Verbrauch

In ihrer Studie «Suffizienzpfad Energie» (siehe Link unten), welche sie an der Tagung präsentierte, quantifizierte die Architektin Katrin Pfäffli das Sparpotenzial beim Wohnen und im Personenverkehr. Dabei verglich sie ein «suffizientes» mit einem «typischen» und einem «verschwenderischen» Verhalten (siehe Tabelle: «Was heisst Suffizienz konkret?»). Hier das Resultat am Beispiel eines alten, energetisch nicht sanierten Mehrfamilienhauses:

Suffiziente Leute beanspruchen pro Kopf dreissig Quadratmeter Wohnraum, leben im Winter in zwanzig Grad warmen Räumen, duschen täglich, aber nur kurz, nutzen Licht, Haushalt- und Elektrogeräte sparsam und verkehren vorwiegend mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder per Velo. Gegenüber einem «typischen» Verhalten können sie damit ihren Energieverbrauch sowie den Ausstoss von Treibhausgasen annähernd halbieren; dies in den Bereichen Wohnen und Verkehr zusammen. Gegenüber einem «verschwenderischen» Verhalten lässt sich der Energiebedarf sogar auf einen Drittel senken. Ähnlich gross – wenn auch auf tieferem absoluten Niveau – ist das Suffizienz-Potenzial in einem energetisch sanierten Gebäude.

Das Verhalten, so vertritt Katrin Pfäffli, soll nicht vorgeschrieben werden. Es lässt sich aber beeinflussen. Beispiele: In subventionierten Wohnungen mit Belegungsvorschriften ist die Wohnfläche pro Kopf um einen Drittel kleiner als im Schweizer Durchschnitt; allein dadurch kann der Energieverbrauch für Bau und Nutzung von Wohngebäuden um 20 Prozent vermindert werden. Leute in autoarmen oder autofreien Siedlungen benötigen für ihre Mobilität bis 60 Prozent weniger Energie als der Durchschnitt. Lenkungsabgaben, welche die Energie verteuern, bieten einen Anreiz, Heizungen und Elektrogeräte nur solange einzuschalten, solange sie benötigt werden.

Effizienz wirkt langfristig

Aufschlussreich ist der Vergleich mit dem Effizienz-Potenzial: Wer sein altes Wohngebäude energetisch saniert und mit effizienten Geräten bestückt, kann den Energieverbrauch – bei unverändert «typischem» Verhalten – auf weniger als die Hälfte vermindern. Damit wirkt Effizienz, die vor allem den Bedarf an Heizenergie stark reduziert, insgesamt etwas stärker als Suffizienz. Bei der Mobilität hingegen und beim Stromverbrauch allein ist der Einfluss des Verhaltens grösser. Beispiel: Sparsame Leute benötigen nur etwa ein Viertel so viel Haushaltstrom wie verschwenderische.

Massnahmen zur Effizienzsteigerung wirken erst langfristig. Das gilt insbesondere im Bausektor: Pro Jahr werden trotz Subventionen nur ein bis zwei Prozent der Gebäude in der Schweiz energetisch saniert. Bis alle Menschen hierzulande energieeffizient wohnen, wird es also mindestens fünfzig Jahre dauern. Der Umstieg auf ein leichteres Leben, das weniger Wohnfläche, weniger elektronischen Hausrat und weniger schwere Fahrzeuge erfordert, ist hingegen schon kurzfristig möglich.

Ein Thema für Bauleute

Einst waren es Grüne und Umweltschützerinnen, die Genügsamkeit im Wohn-, Verkehrs- und Güterkonsum predigten. Inzwischen aber haben auch Leute vom Bau das Thema entdeckt. Die Tagung «Qualität durch Mässigung» wurde organisiert vom Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein (SIA) in Zusammenarbeit mit der Stadt Zürich. Diesen Wertewandel begründet der SIA wie folgt: «Mit der Energiestrategie 2050 und der Vision der 2000-Watt-Gesellschaft haben sich der Bund und eine zunehmende Anzahl Schweizer Städte und Gemeinden ehrgeizige Energie- und Klimaziele gesetzt. Um diese zu erreichen, setzen die Akteure primär auf Effizienz (besser) und Konsistenz (anders). Der SIA regt nun dazu an, auch das Konzept der Suffizienz (weniger) in die Betrachtung mit einzubeziehen.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.