Kommentar

Wenn Diplomatie in den Zynismus schliddert

Beat Allenbach © zvg

Beat Allenbach /  Schweizer Behörden lehnen Ersuchen der afghanischen Botschaft um Unterstützung schroff ab.

In Afghanistan, das „von ausländischen Soldaten befreit ist“, sind jetzt viele Frauen und Männer Opfer brutaler Gewalt und Erpressungen durch die siegreichen Taliban. Die Taliban-Krieger haben nicht allein die Weltmacht USA gedemütigt, sondern den ganzen Westen, auch unser Land. Wie regiert die Schweiz auf die Verzweiflung und die Befürchtungen zahlloser Menschen in Afghanistan?

Hilferuf aus Genf

Ein Beispiel. Mitglieder der afghanischen Botschaft, die gleichzeitig bei der Uno in Genf und bei der Schweiz akkreditiert ist, sind besorgt um Angehörige in Afghanistan. Diese gelten für die Taliban als Verräter, weil sie mit der sich inzwischen aufgelösten Regierung zusammenarbeiteten. In einem Schreiben an die Schweizer Vertretung bei der Uno in Genf haben sie gefragt, was unternommen werden könnte zugunsten ihrer in Afghanistan gefährdeten Angehörigen. Die Schweizer Vertretung leitete das Schreiben an die zuständige Stelle weiter, an das Staatssekretariat für Migration (SEM). 

Die Antwort des SEM, welche die Schweizer Diplomaten ihren afghanischen Kollegen weiterleiteten, hält u.a. folgendes fest. Bedrohte Personen, die zu ihrem Schutz in die Schweiz einreisen möchten, hätten die Möglichkeit sich persönlich bei einer schweizerischen Botschaft zu melden und um Aufnahme zu bitten. Gleichzeitig wird präzisiert, dass die direkte Aufnahme von Personen aus Afghanistan gegenwärtig im Prinzip auf Schweizer Bürger, afghanische Angestellte der Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und ihrer engsten Familienangehörigen beschränkt sei.

Darauf habe sich der afghanische Botschafter direkt beim Staatssekretariat für Migration erkundigt, und zur Antwort erhalten, dem Schreiben, das die Botschaft bekommen habe, sei nichts beizufügen.

Es handelt sich nach meiner Meinung um ein bürokratisches, ja zynisches Verhalten. Die Antwort des SEM ist mit vielen höflichen Formeln versehen, bringt jedoch weder Verständnis noch Mitgefühl zum Ausdruck. 

Ist das etwa ein Beispiel für die humanitäre Tradition der Schweiz? 

Der Vorschlag ist ein Hohn, man könne ein humanitäres Visum bei einer Schweizer Botschaft beantragen. Unser Land hat in Afghanistan gar keine Vertretung. Das Staatssekretariat muss wissen, dass es den Familienangehörigen der afghanischen Diplomaten praktisch unmöglich ist, zur nächsten Botschaft nach Islamabad in Pakistan zu reisen. Diese Familienangehörigen sind jetzt in grosser Gefahr, doch gegenwärtig haben sie nicht die Möglichkeit ihr Land zu verlassen; sie erhalten keinen Schutz unseres Landes. 

Fragen an die Diplomaten unter Bundesrat Cassis 

Weshalb haben unsere Diplomaten in Genf das Staatssekretariat nicht um eine menschlichere Antwort ersucht? Weshalb haben sie sich bei ihren afghanischen Kollegen nicht für die schroffe Antwort entschuldigt? Und weshalb hat Aussenminister Ignazio Cassis, der die humanitäre Tradition der Schweiz verteidigen sollte, nicht seine Kollegin Karin Keller-Suter angerufen? Es geht nicht darum, vor der Welt gut dazustehen, aber es geht darum, Menschen in Lebensgefahr zu retten. Die afghanischen Diplomaten und Beamten in Genf haben eine enge Beziehung zur Schweiz: Unsere Behörden sollten deshalb auf ihren Hilferuf nicht bloss mit Achselzucken reagieren.


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11 Meinungen

  • am 4.09.2021 um 11:15 Uhr
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    Naja, die subito-Mentalität ist heimisch geworden, im Schweizerland. Mit grossem Staunen verfolgt man, wie Afghaninnen und Afghanen, Bürgerinnen und Bürger eines stolzen, auf Unabhängigkeit bedachten Landes, jegliche Verantwortung auf den Bösen Westen abwälzen und einen ganzen Strauss von Ansprüchen stellen. Das Vertrauen zu Menschen aus jenem Land ist nach den Ereignissen der vergangenen Jahrzehnte an einem kleinen Ort. Kürzlich las ich, dass Afghanistan seit 1963 internationale Lebensmittelhilfe beansprucht. Zusätzlich zu diesem «Dauernotfall» soll jetzt noch faktisch ein freies internationales Niederlassungsrecht erlassen werden? Man fragt sich schon, wann und wo das enden soll.

    • am 4.09.2021 um 22:56 Uhr
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      Der Zynismuss setzt sich auch in den Kommentarspalten fort.

  • am 4.09.2021 um 11:31 Uhr
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    Zitat «gedemütigt, … auch unser Land. Die Antwort des SEM ist mit vielen höflichen Formeln versehen, bringt jedoch weder Verständnis noch Mitgefühl zum Ausdruck.» Wie bitte? Die Verantwortlichen haben im Moment wirklich wichtigere Probleme, als mit angemessener Semantik «Verständnis und Mitgefühl zum Ausdruck» zu bringen.
    Das alte Lamento gewisser Kreise, die Schweiz ist an allem Elend in der Welt schuld. Sollte die Schweiz vielleicht Truppen-Transporter nach Afghanistan schicken und alle Leute heraus holen, die sich «bedroht» fühlen?

  • am 4.09.2021 um 13:03 Uhr
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    Ein schwieriges Thema – UND ein Autor, der nicht objektiv ist:

    NICHT die Taliban haben alle möglichen westlichen Ländern gedemütigt – SONDERN, deren Heimat, Afghanistan wurde schon oft von «Fremden» überfallen» — Also -bitte, sehr geehrter Autor, n i c h t Täter und Opfer «austauschen»!

    Dass die Taliban «zornig» sind, ist also normal.
    Dass einige der Taliban, die ohne Schulbildung blieben (was Schuld «unserer» Aggressoren!!) anfangs, bis alles durch-organisiert sehr grob bis teils unmenschlich handeln, ist so schlimm – wie logisch nachvollziehbar. Leider.

    Dass «die Taliban» auch viele intelligente, professionelle Mit-Kämpfer haben, beweisen deren !sehr! zügigen, !sehr! klugen diplomatischen Aktivitäten!

    Zur schweizer Diplomatie:
    Die Schweiz hat viel weniger «Wieder-Gut-Machungs-Pflichten» als all die Länder, welche in Afghanistan «sehr aktiv» waren ! – Es ist also nachvollziehbar, dass man sich vorab scheut «!frag-würdige!» Afghanen -in vorab unübersehbarer Anzahl- aufzunehmen.

    Dort war eine üble, korrupte » Scheinbar-Regierung » – die mit Sicherheit wenig «edle Menschen» in der Auslands-Diplomatie beschäftigte – dafür viele schmarotzende «Verwandte und Freunde». Also -bitte- wenn schon jemand aufnehmen, dann DIE nicht !

    Wer gekämpft und gelitten hat – und wieder leiden wird-
    NUR DER hat Priorität und Anspruch !

    Beanstandens-wert finde ich das «Herum-eiern» und die sehr unglückliche Wort-Wahl der schweizer Diplomatie.

    Wolfgang Gerlach
    scheinbar.org

  • am 4.09.2021 um 14:37 Uhr
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    Mit diesem Verhalten zeigt sich die Schweiz als Teil vom globalen Komplex einer kollektiv organisierten und tolerierten Verantwortungs- und Wertelosigkeit, wo nur zählt, was sich bezahlt macht und wo insbesondere gross Mächtige und schwer Reiche tun oder lassen können, was und wie sie es wollen. Nicht so brutal wie die Taliban, aber menschlich nicht weniger gleichgültig.

    • am 5.09.2021 um 05:34 Uhr
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      Sehr geehrter Herr Keller,
      dass die Taliban nicht nur aus blöden «Schlägern» bestehen hat sich ja mittlerweile gezeigt !
      Diese Menschen (midest deren Anteil Gebilderter) hatten ja nun auch rund 2 Jahrzehnte (fast 1 Generation !) Zeit, vergleichend über ihres und das «westliche» System und ihr eigenes nachzudenken. –

      Daher bin ich mir sicher: die Taliban von heute sind nicht mehr die Gleichen, wie die vor rund 20 Jahren. -Also sollten wir wenigstens noch ca 3 Monate abwarten, ob/welcher Kultur-Mix künftig in Afghanistan die «Richtung-en» bestimmen wird ?!

      Hätten wir all das Kriegsgeld über 2 Jahrzehnte in Hilfen zur Selbst-Hilfe investiert, wäre Afghanistan heute ein befreundetes, blühendes Land mit dem wir zu beiderseitigem Nutzen koperieren würden ! ! !

      Freundliche Grüsse !

      Wolfgang Gerlach
      scheinbar.org

      • am 5.09.2021 um 17:54 Uhr
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        Geschätzter Wolfgang Gerlach
        Sie verstehen mich total miss, wenn Sie meinen, ich würde einseitig nur die Taliban dafür verantwortlich machen wollen für die schrecklich unmenschlichen Verhältnisse in Afghanistan. Sie sind ein Teil davon. So wie die Schweiz ein Teil einer Welt ohne Zukunft ist.
        Wahrheiten aus Afghanistan sind mir intensiv in den beiden Romanen «Der Drachenläufer» und «Tausend strahlende Sonnen» des Schriftstellers Khaled Hosseini begegnet. Er wurde 1965 in Kabul geboren und lebt – mit seinen Eltern 1980 geflüchtet – seit langem in den USA … dem Land, das zusammen mit andern sein Ursprungsland und seine Menschen seit vielen Jahren für eigene Zwecke missbraucht. Auf dem Hintergrund der jüngeren Vergangenheit Afghanistans beschreibt Khaled Hosseini sehr berührend konkret und herzergreifend Schicksale von Menschen in und aus Afghanistan, von denen viele Millionen wie er geflüchtet sind. Beim „Drachenläufer“ geht es um zwei afghanische Jungen, und bei „Tausend strahlende Sonnen“ um zwei afghanische Frauen. Ihre Geschichten sind gezeichnet einerseits von individuell persönlich wirksamer Gewalt, die anderseits durch die Brutalität des Krieges verstärkt wird … und umgekehrt. Oder anders gesagt: Leid, das durch persönliche Schicksale bedingt ist, kann entweder durch die politische Situation und ein Sich-damit-Abfinden-müssen/wollen noch verstärkt werden, oder aber auch durch das Umfeld und ein beherztes Anders-sein-können/wollen einen Wandel zum guten Leben erfahren.

      • am 6.09.2021 um 05:44 Uhr
        Permalink

        Herzlichen Dank, Herr Keller !

        Wolfgang Gerlach
        scheinbar.org

  • am 4.09.2021 um 17:07 Uhr
    Permalink

    Beat Allenbach deckt hier kurz und bündig eine weitere Form der Verluderung der hochgelobten «humanitären Tradition» auf, dieses Mal beim Staatssekretariat für Migration – SEM. Die gleiche schnoddrige Antwort gibt das Departement Keller-Suter auf das nachvollziehbare Anliegen der in unserem Land lebenden afghanischen Flüchtlinge nach Aufenthaltssicherheit und Familiennachzug; sie werden mit Sicherheit in absehbarer Zeit nicht in ihr Land zurückkehren können. Und gleichermassen kaltherzig weisen Keller- Suter und Mario Gattiker die Forderung ab, sich auf die zu erwartende Flucht der Menschen aus Afghanistan einzurichten. Peinlich, wie sich die Schweiz in dieser Frage hinter der EU versteckt. Sie trägt Mitverantwortung und Schuld am fürchterlichen Debakel, das «der Westen» in Afghanistan zurückgelassen hat. Das wird durch die gegenwärtige zynische Diplomatie nur noch deutlicher.

  • am 4.09.2021 um 20:21 Uhr
    Permalink

    Eine seltsame Argumentation. Im Mittleren Osten gibt es noch einege andere Laender mit Vertretungen in der Schweiz welche auch so argumentieren koennten. Das Problem, insbesondere das Beziehungsnetz dieser Diplomaten, duerfte nicht nur an ihrem Status liegen. Im Uebrigen sind sicher auch die Tliban an einem Erhalt der Beziehung intressiert.

  • am 8.09.2021 um 09:28 Uhr
    Permalink

    Die «ach so armen», ach so bedauernswerten Diplomaten-Verwandtschaften in Afghanistan – und wir sind natürlich zu «humanitärstem Beistand» verpflichtet ?!

    Mich würgts, so etwas zu lesen, denn:

    die Afghanischen Diplom-Maden haben hunderte Milliarden Dollar Hilfs-Gelder auf die Seiten geschafft -brauchen also keine «Geschenke» unsererseits.

    Die wenigen dortigen Diplomaten, welche mehr an ihr Volk als an sich selbst dachten, brauchen sich nicht vor den Taliban zu fürchten

    Ab 40 Tsd Dollar kann man sich (Komoren) oder 70 Tsd (Russland) kaufen. Österreich kostet mit 20 Mio relativ viel.

    Aber, wer als Diplom-Made am Diebstahl von hunderten Milliarden beteiligt war, hat wohl auch damit nur «kleinere» Probleme.

    DER (und seine Familien-Bande) hat es weder nötig, noch «verdient», in der begehrten, wunderschönen Schweiz kosten-loses Asyl zu erhalten ! ! ! – Denn ER würde dort nur das Klima verpesten !

    Das Alles MUSS dem Autor hinreichend bekannt sein, weshalb ich meine:
    schämen Sie sich -bitte- für Ihre — so öffentlich, wie dramatisch —
    vergossenen «Krokodils-Tränen», Herr Allenbach !

    Wolfgang Gerlach
    scheinbar.org

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